Anne Marie Reiser-Meyerweissflog ist traurig. "Der Kunsthandwerkerhof ist doch mein Kind." Knapp 25 Jahre nach der Geburt wird aber nicht ein Jubiläum gefeiert, sondern die Bildhauerin und ihr Mann Alexander müssen mit der Kündigung leben lernen. Im Dezember hat die Betreiberin dieser Kultureinrichtung von der Stadt Königsberg per Einschreiben fristgerecht zum 30. Juni ihren Rauswurf erhalten.
Mit Entsetzen hat das Ehepaar die zum Teil veröffentlichten Begründungen der Stadt und hier vor allem von Bürgermeister Claus Bittenbrünn hingenommen. Im Gespräch mit der Redaktion nehmen Anne Marie Reiser-Meyerweissflog, ihr Gatte Alexander und auch Kurt Sieber, der ehemalige Bürgermeister von Königsberg, Stellung zu dieser Entwicklung.
Als Hauptgrund für die Kündigung hatte die Stadt genannt, dass der Kunsthandwerkerhof "seit einem Jahr geschlossen" sei, so Bürgermeister Bittenbrünn in einer Stellungnahme an die Redaktion. Im Schriftverkehr zwischen Bürgermeister und Familie Meyerweissflog (liegt der Redaktion vor) schreibt Bittenbrünn am 7. Oktober 2021: "Uns ist bewusst, dass es momentan schwierige Zeiten sind. Allerdings besteht die Möglichkeit, das Café und die Verkaufsräume mit gewissen gesetzlichen Vorgaben zu betreiben." Und weiter: "Wann werden Sie den Betrieb wieder aufnehmen?"
"Zeitnah" ist nicht genug
Darauf antworteten die Meyerweissflogs am 14. Oktober: "Dieses vor mir ins Leben gerufene Projekt ist uns wie unseren Gästen in den letzten 23 Jahren ans Herz gewachsen. Erfreut teilen wir Ihnen mit, dass es in unserem eigenen Interesse liegt, als freie unabhängige Unternehmer unser Geschäft mit Kunstgalerie, Laden und Café so zeitnah wie möglich wieder zu öffnen." Mit dieser Antwort zeigte sich der Bürgermeister nicht zufrieden und avisierte in einem weiteren Schreiben am 20. Oktober, den Mietvertrag zu kündigen, da "von Ihrer Seite keinerlei klare Absicht zur Wiedereröffnung zu einem bestimmbaren Datum genannt werden konnte". Am 8. Dezember erfolgte dann die Kündigung.
Daran änderte auch nichts, dass Meyerweissflogs noch einmal beteuerten: "Natürlich haben wir die feste Absicht, den Kunsthandwerkerhof wieder zu eröffnen und mit vollem Engagement weiterzuführen. Allerdings sind uns im Moment die Hände gebunden." Im Gespräch mit der Redaktion unterstreicht Anne Marie Reiser-Meyerweissflog, man habe mehrere Anläufe genommen, um zu öffnen. "Es ist ja nicht so, dass wir nicht aufmachen wollten, wir verdienen ja unseren Lebensunterhalt damit." Aber aufgrund der baulichen Voraussetzungen sei es während der Pandemie wegen der geltenden Vorschriften gar nicht möglich gewesen, den Kunsthandwerkerhof zu öffnen.
"Diese Aufforderung war undurchführbar", so Reiser-Meyerweissflog, "sie hätte gegen das Gesetz verstoßen. Ganz offenbar war der Stadt die aktuelle räumliche Struktur der Verkaufs- und Gastraumbereiche vollkommen unbekannt." Und weiter. "Es wäre sinnvoll gewesen, vorher in einem Ortstermin sich über die tatsächlichen Innenraum-verhältnisse zu informieren, als eine durch die Auflagen der Behörden unzulässige Lösung zu fordern, die von den Mietern nicht hätte verantwortet werden können."
Reiser-Meyerweissflog nennt als Begründung die geringe Quadratmeterzahl, die einen geforderten Abstand von 1,50 Metern nicht möglich gemacht hätte. Zudem gab es nur einen einzigen Ein- und Ausgang, sodass eine direkte Begegnung der Besucher nicht hätte vermieden werden können. Ebenso hätten im Sudhaus aufgrund der geringen Fläche nur wenige Besucher Platz finden können, sodass Vernissagen mit zahlreichen Gästen ebenfalls nicht zulässig gewesen wären.
Aber woher hätte die Stadt das wissen sollen, fragt sich die Bildhauerin. Denn in den über zwei Jahrzehnten, die der Kunsthandwerkerhof als "Ort der vorurteilsfreien Begegnung" existiere, hätten neben mehreren Kamerateams des Bayerischen Fernsehens hochrangige Persönlichkeiten wie Ex-Staatsminister Wolfgang Heubisch, Bundesminister Hubertus Heil, MdB Dorothee Bär, Kameramann Michael Ballhaus, Schriftsteller Paul Maar, Moderatorin Carolin Reiber, Professoren und Bürgermeister hier ihre Visitenkarte abgegeben. Aber "Bürgermeister Bittenbrünn war leider nie da", im Gegensatz zu seinen Vorgängern. Nicht zuletzt deshalb vermutet sie auch persönliche Animositäten des Bürgermeisters als Hauptgrund für sein rigoroses Vorgehen.
Baustelle vor der Haustür
Im vergangenen Sommer hatte man sogar geplant, wieder zu öffnen. Da erreichte die Familie ein Schreiben der Stadtverwaltung, sie solle die Bestuhlung im Freien entfernen, da hier in Kürze Versorgungsleitungen eingebaut würden. Auf die Nachfrage der Meyerweissflogs, wann das geschehen und wie lange es dauern würde, lautete die lapidare Antwort, man wisse es nicht. Ohne die geringste Planungssicherheit - "Ich muss ja frische Lebensmittel kaufen" - habe man dann folglich von einer Öffnung Abstand genommen.
Während der gesamten Pandemie die volle Miete bezahlt
Die inzwischen knapp 25 Jahre Kunsthandwerkerhof seien auch zweieinhalb Jahrzehnte Kampf gegen Vorurteile gewesen. Deshalb stellt Anne Marie Reiser-Meyerweissflog klar: "Die Stadt Königsberg ist nur der Vermieter des Gebäudes, nicht der Betreiber und nicht mein Arbeitgeber. Ich habe nie ein Gehalt von der Stadt bezogen, sondern während der gesamten Pandemie die volle Miete bezahlt." Eine Anfrage an die Stadt, ob es während des Lockdowns eventuell eine Stundung oder Minderung der Miete geben könne, wurde mit der Antwort abgespeist, man solle sich "das Geld doch aus Berlin holen". "So zahlten wir weiter, ohne Einnahmen, zehrten Gespartes auf, fassten tief in private Mittel."
Erst Corona - dann die Kündigung
Der Kunsthandwerkerhof habe nie finanzielle Unterstützung von der Stadt erhalten. Die Finanzierung der Sanierung, so Reiser-Meyerweissflog, "erfolgte zu 90 Prozent über Städtebaufinanzierung, es war also keinesfalls so, dass die Königsberger das selbst bezahlen mussten". Sie habe im Rahmen ihrer Tätigkeit als Betreiberin "rund 150 Ausstellungen organisiert und durchgeführt, ehrenamtlich und ohne Vergütung". Dadurch habe sie die Einrichtung überregional bekannt gemacht. Im Laufe der Jahre kamen und gingen verschiedene Künstler. Um Leerstände zu vermeiden, übernahm Reiser-Meyerweissflog einige zusätzliche Räume, richtete ein Café ein, das sich aus der Nachfrage der Kundschaft entwickelt hatte. Als es nach vielen Jahren mit unermüdlichem Einsatz aussah, als sei aus dem Traum nun Wirklichkeit geworden, kam erst Corona - und dann die Kündigung.
Anne Marie Reiser-Meyerweissflog hatte Anfang der 90er Jahre die Idee, Kunst und Kultur auf dem freien Land - weg von teuren Innenstädten - möglich zu machen. Das ehemalige Brauhaus mit seiner langgezogenen Architektur und einer Darre schien der perfekte Ort zu sein. "Viele Königsberger waren der Meinung, man solle es doch einfach abreißen." Nicht so der damalige Bürgermeister Kurt Sieber. Der sah das Potenzial, das in der Idee schlummerte, und schaffte es nach jahrelangen Verhandlungen, dass der Freistaat 90 Prozent der Sanierungskosten übernahm; Mittel, die sonst der Stadt Königsberg nicht zugutegekommen wären.
Entsprechend groß ist die Enttäuschung, ja das Entsetzen beim Altbürgermeister, der das Baby vor rund 25 Jahren mit der Bildhauerin aus der Taufe gehoben hatte. "Was kann einen Bürgermeister dazu bringen, einem Publikums- und Besuchermagneten in seiner Stadt den Garaus zu machen?", fragt Kurt Sieber im Gespräch mit der Redaktion. "Der Kunsthandwerkerhof ist geradezu zu einem Symbol für Qualität, Attraktivität und neues Leben in der Königsberger Altstadt geworden", so der Altbürgermeister. "Man fragt sich verwundert, welche Gründe könnte es für den Rauswurf gegeben haben? Sachlich begründete existieren offenbar nicht."
Der Blick der Meyerweissflogs geht nun in die Zukunft: "Jetzt werden wir uns anders aufstellen. Wir werden uns verkleinern, aber das Ethos, mit dem wir den Kunsthandwerkerhof aufgebaut und erfolgreich gemacht haben, weiterführen. Nur eben anders. Wir freuen uns schon sehr, unsere Gäste so zeitnah wie möglich in unserem ,Marktplätzchen' - schräg gegenüber dem Rathaus der Stadt Königsberg - willkommen zu heißen." Solange niemand was dagegen hat.