Warum sollen nur die Städte eine Vorreiterrolle in Sachen digitalem Wandel einnehmen? Haßfurt ist eine von zehn Modell-Smart-Cities in Deutschland - eine viel gepriesene Auszeichnung für die Kreisstadt. Aber der Gemeindeverbund Hofheimer Allianz will da nicht nachstehen. Die sieben Gemeinden im Hofheimer Land haben sich beim Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr als "Smart Region" beworben. Während Haßfurt vom Bundesinnenministerium gefördert wird, wäre es bei der Hofheimer Allianz also das Land Bayern. Offiziell heißt das Modellprojekt "Smart Cities Smart Regions - Kommunale Digitalisierungsstrategien für Städtebau und Mobilität der Zukunft".
Maximal zehn Kommunen und kommunale Zusammenschlüsse sollen es sein
Der Freistaat will bis zu zehn Städte, Märkte, Gemeinden, aber auch Verwaltungsgemeinschaften, Zweckverbände oder interkommunale Zusammenschlüsse dabei unterstützen, im Rahmen von "Smart Cities Smart Regions" ihre Potenziale bei der Digitalisierung zu erkennen und zu nutzen. "Erarbeitung von integrierten digitalen Entwicklungskonzepten" (IDEK) heißt das in der Sprache der Planer. Das Bauministerium verlangt bei allen Maßnahmen einen klaren lokalen Bezug und die Einbindung der Akteure vor Ort, aber auch den Austausch und die Vernetzung der teilnehmenden Modellgemeinden untereinander.
Gegenüber dieser Redaktion bestätigte das Ministerium, dass sich zum Ablauf der Frist im Juli 36 Kommunen und interkommunale Zusammenschlüsse aus allen bayerischen Regierungsbezirken beworben haben. Angaben zu möglichen weiteren Bewerbern aus Unterfranken machte das Haus nicht. In der Hofheimer Allianz weiß aktuell niemand von einem Konkurrenten innerhalb des Regierungsbezirks.
Über 300 leer stehende Häuser revitalisiert
Dass der Zusammenschluss der Gemeinden Aidhausen, Bundorf, Burgpreppach, Ermershausen, Hofheim, Maroldsweisach und Riedbach auch bei der Digitalisierung die Nase vorn haben will, dürfte kaum überraschen, nicht nur wegen der möglichen Anknüpfungspunkte an die Smart City Haßfurt. Die auf nationaler und internationaler Ebene vielfach ausgezeichnete Allianz hat auf allen möglichen Terrains eine Vorreiterrolle für ländliche Räume eingenommen - etwa wenn es darum geht, die Ortskerne lebendig zu erhalten. "Seit 2008 haben wir über 300 Leerstände revitalisieren können", hielt dieser Tage Wolfgang Borst, Bürgermeister von Hofheim und Allianzvorsitzender, dieser Redaktion die in dieser Hinsicht wohl einzigartige Erfolgsbilanz vor Augen. Im besagten Jahr wurde die Allianz gegründet, sie umfasst sieben Kommunen mit 53 Ortsteilen und rund 15 500 Einwohnern.
Für Borst und für Allianzmanager Philipp Lurz sind ein erfolgreiches Leerstandsmanagement, der Kampf gegen die Landflucht, der Erhalt der Arbeitsplätze, in der Summe die Lebensqualität im ländlichen Raum, eng mit der Digitalisierung verbunden. Eigentlich unterstreiche doch gerade die Corona-Krise den hohen Wert des Lebens auf dem Lande, wo die Menschen weitestgehend sicher und geschützt seien. Aber für die Zukunft reicht das nicht, meinen die beiden. Borst weiß aufgrund entsprechender Nachfragen, dass sich durchaus junge Familien aus Berlin, München oder Hamburg für Wohnraum im Allianzgebiet interessieren. Die Entscheidung für ein Anwesen in Kerbfeld oder Wasmuthhausen sei aber immer stärker daran gebunden, ob in den eigenen vier Wänden Homeoffice und die Teilnahme an jeglicher Form moderner Kommunikation möglich sei. "Es reicht nicht, dass wir Glasfaser bis zu jedem Verteilerkasten haben, wir brauchen es bis in jedes Haus", fordert Borst.
Eine Idee: Coworking Spaces
Ein Ansatz unter vielen für die Smart Region wäre es zum Beispiel, Orte einzurichten, an denen sich mehrere Firmen - Freiberufler etwa oder Startups - Geschäftsräume teilen. "Coworking Spaces" heißt der aus dem Englischen stammende Fachbegriff dafür. Borst und Lurz denken da an die Dorfgemeinschaftshäuser. "So etwas gibt es anderswo schon - aber wir müssen ja nicht alles neu erfinden, sondern vorhandene Ideen nur umsetzen", meint der Allianzvorsitzende.
Sollte die Bewerbung erfolgreich sein, dürfte der Hofheimer Raum auf beträchtliche Geldmittel aus München setzen: Die Finanzierung der einzelnen Konzepte erfolge im Rahmen einer Projektförderung "in Form von zweckgebundenen Zuschüssen mit einem Fördersatz in Höhe von grundsätzlich 60 Prozent der förderfähigen Kosten", führte eine Ministeriumssprecherin aus. Ende September will eine Fachjury, bestehend aus Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und des Ministeriums, die auserwählten Kommunen bekannt geben - damit erfolgt unverzüglich der offizielle Projektstart.
Auch ohne "digital": Die Allianz erfindet sich ein Stück weit neu
Intensiv geplant wird in der Hofheimer Allianz gegenwärtig aber nicht nur wegen der digitalen Modellregion. Sieben Jahre nach Gründung des Vereins "Hofheimer Land" als Motor aller Aktivitäten, nach Fertigstellung eines gemeinsamen Integrierten Entwicklungskonzeptes (ILEK) und Einführung des Allianzmanagements, stand nun nach dem Willen des Amtes für Ländliche Entwicklung (ALE) als Fördermittelgeber die Allianz selbst auf dem Prüfstand.
Philipp Lurz, der sein Amt als Allianzmanager im Februar antrat, berichtet von einem gemeinsamen Wochenende der Bürgermeister mit Vertretern des ALE und der Regierung von Unterfranken in Klosterlangheim. Quintessenz des Seminars sei gewesen: "Die erfolgreiche interkommunale Zusammenarbeit soll fortgeführt werden." Hierfür allerdings verpassen sich die Akteure ein neues Entwicklungskonzept. Gut ein Jahr haben sie von nun an Zeit, bisherige Strukturen zu hinterfragen und neue Projekte in Angriff zu nehmen. Zwei Planungsbüros begleiten die Hofheimer Allianz auf diesem Weg: Futour aus München, Spezialist in Sachen Tourismus und Regionalentwicklung; und Coopolis in Berlin, Experte für kooperative Stadtentwicklung.
Gelbes Band heißt: Obst ernten ausdrücklich erlaubt
Schon jetzt kristallisieren sich neue Handlungsschwerpunkte heraus. Neben der Digitalisierung ist das zum Beispiel das Themenfeld "Natur, Umwelt und Biodiversität". Dahinter steckt das gerade in Zeiten des Klimawandels gewachsene Bewusstsein, dass Kultur- und Naturlandschaft, jene Pfunde, mit denen ländliche Regionen gerne wuchern, auch geschützt werden müssen. Die Ansätze dazu sind vielfältig. Ein Beispiel: Schon ab diesem September will die Mitgliedsgemeinden die Obstbäume auf eigenem Grund mit einem gelben Band kennzeichnen, das signalisiert: Hier darf jeder Bürger Obst ernten.
Im Hofheimer Land leben Menschen aus 60 Nationen
"Wir & Hier" ist der Name eines weiteren Handlungsfeldes, in das die Allianz künftig verstärkt investieren will. Vieles dabei hat mit Integration zu tun, mit der Entwicklung eines Gemeinschaftssinnes und Wir-Gefühls. Als Reaktion auf die Flüchtlingskrise Mitte des vergangenen Jahrzehnts setzte der Gemeindeverbund 2016 Kerstin Brückner als Asylkoordinatorin ein. Inzwischen habe sich ihre Aufgabe gewandelt, Brückner sei inzwischen Anlaufstelle für alle Neubürger. "Künftig soll die Stelle noch stärker alle Bürgerinnen und Bürger des Hofheimer Landes einschließen", gibt Philipp Lurz die Richtung vor. Gemeint sind damit zum Beispiel gut 50 Rumänen, die in der Vergangenheit, teils auch wegen der Sprachbarrieren, eher unter sich geblieben sind. Überhaupt gilt es, viele Ausländer besser in die Gemeinschaft aufzunehmen: "Wir haben in der Hofheimer Allianz 60 verschiedene Nationalitäten", verkündet Bürgermeister Borst, das habe ihn selber überrascht.
Im Kampf gegen das Ausbluten nicht nachlassen
Das neue Integrierte Entwicklungskonzept, das Mitte nächsten Jahres fortgeschrieben sein soll, bedeutet nicht, dass jetzt Stillstand herrscht. Alte Projekte werden fortgeführt und neue in Angriff genommen. Es ist ein fließender Übergang vom alten zum neuen Leitfaden. Im Oktober läuft eine Online-Befragung der Bürger zu ihren Zukunftsideen an. Stillstand würde Rückschritt bedeuten. Den kann und will sich die Hofheimer Allianz ungeachtet aller Erfolge nicht leisten. Allianz-Vorsitzender Wolfgang Borst weiß, dass es "kein Nachlassen im Kampf gegen das Ausbluten geben darf".