
So kommt Leben ins Belebungsbecken. In allen Gewässern in der Natur sind Mikroorganismen - vor allem Bakterien und tierische Einzeller - vorhanden, die organische Schmutzstoffe als Nahrung aufnehmen. Dadurch gewinnen sie Energie für ihre Lebensvorgänge und verwandeln diese Schmutzstoffe in körpereigene Substanz, Kohlendioxid, Wasser und Mineralstoffe. Diese Eigenschaft machen sich Kläranlagen zunutze: Sie lassen die kleinen Lebewesen fleißig arbeiten, um die Abwässer zu reinigen. In einer solchen Anlage sind mehrere Quindezillionen (da ist eine Zahl mit 90 Nullen hinten dran) aktiv, um hier den Reinigungsprozess am Laufen zu halten.
Diese Mikroorganismen benötigen jedoch Sauerstoff, um ihre Arbeit auch sorgfältig und zuverlässig ausüben zu können. Dazu wird zum Beispiel in das Belebungsbecken der Haßfurter Kläranlage Luft eingeblasen, der darin enthaltene Sauerstoff löst sich im Wasser und kann so von den Einzellern verwertet werden. Dieses Hineinblasen kostet jedoch Energie und mit reinem Sauerstoff, ohne die störenden Beigaben wie zum Stickstoff, der sich ja reichlich in unserer Luft befindet, könnten die Pantoffel-, Geisel- und Wimpertierchen noch viel effektiver die Schadstoffe verschnabulieren. Nebenbei könnte man sich das stromschluckende Hineinpusten und damit Energie sparen.

Und aus dieser Überlegung entstand eine Idee. Eine Idee, deren möglichst kostengünstige Verwirklichung dazu dienen soll, die Effizienz der Haßfurter Kläranlage zu steigern und gleichzeitig Strom zu sparen. Denn Sauerstoff fällt bekanntlich beim Betrieb der Haßfurter Power-to-Gas-Anlage des Stadtwerks an, wenn mit dem überschüssigen Windstrom Wasserstoff hergestellt wird. Dieses "Abfallprodukt" wird derzeit noch in die Luft geblasen. "Und das ist schade", dachten sich Stadtwerkleiter Norbert Zösch und sein Ingenieur Markus Eichhorn. Hier fällt Sauerstoff ab, dort wird er dringend gebraucht. Da wäre es doch nur logisch, wenn eines zum anderen käme.
Besuch aus Thüringen
Wie so oft im Leben resultierte diese plötzliche Einsicht jedoch ein bisschen aus einem Zufall, wie Norbert Zösch im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt. Es begab sich, dass eine Delegation aus Sonneberg vom Abwasserzweckverband Thüringen in der Kreisstadt weilte, um die Haßfurter Anlage zu begutachten. Die Thüringer betreiben nämlich eine ähnliche Anlage, nur mit einem anderen Ziel. Sie extrahieren aus dem Wasser den Sauerstoff und der Wasserstoff ist dort nur ein Abfallprodukt, das sie in einem mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeug auf Dienstfahrten verpulvern.
Das wiederum brachte die Verantwortlichen in Haßfurt darauf, dass der in deren Power-to-Gas-Anlage gewonnene Sauerstoff doch zu wertvoll wäre, um ihn - wie bisher - einfach so entfleuchen zu lassen. Das Abfüllen in Flaschen wurde durch ein darauf spezialisiertes Unternehmen überprüft und verworfen, erklärt Markus Eichhorn. Also muss eine Leitung zur Kläranlage her, darüber sind sich Bürgermeister Günther Werner, Stadtwerkleiter Zösch und Ingenieur Eichhorn einig. Kläranlagenchef Matthias Langguth saß sofort mit im Boot. "In einigen Jahren wird die Kläranlage ohnehin gründlich saniert", so Langguth, "dann planen wir gleich einen Sauerstofftank mit ein." Der Sauerstoff aus der Leitung habe zudem den Vorteil, das man ihn nicht unter Einsatz von elektrischer Energie in das Abwasser blasen müsste, denn der Sauerstoff wird in der Power-to-Gas-Anlage unter hohem Druck erzeugt und dann auch in einer Druckleitung in die Kläranlage transportiert. Dieser Druck reiche vollkommen aus, um den Sauerstoff ins Belebungsbecken einzubringen.
Leitung am Main entlang
Eine solche Leitung bedeute allerdings einen gewissen finanziellen Aufwand und - so Markus Eichhorn - eine "gewisse technische Herausforderung". Wobei Norbert Zösch aber keine großen Probleme beim Leitungsbau sieht. "Wir legen die Leitung am Mainufer entlang. Nur im Bereich der Mainmühle wird es etwas komplizierter." Aber Sorgenfalten treibt dem Stadtwerkchef das nicht auf die Stirn. Und für die Kostendeckung haben sich die Verantwortlichen auch etwas einfallen lassen. Markus Eichhorn oblag es im Sommer letzten Jahres, eine passende Projektbeschreibung ans Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz zu schicken, wo gerade zu dem Thema ein Wettbewerb für den Abwasser-Innovationspreis 2020 durchgeführt wurde.
Prämie von 10 000 Euro
Einige Monate später erreichte die Stadt ein Schreiben von Staatsminister Thorsten Glauber. "Das von meinem Haus bestellte unabhängige Fachgremium, bestehend aus sieben Sachverständigen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung" habe über die eingereichten Arbeiten beraten. Bayerns Umweltminister betonte bei der Preisverleihung in München: "Sauberes Wasser ist unsere Lebensgrundlage. Mit innovativen Verfahren und zukunftsweisenden Konzepten wollen wir die Abwasserreinigung noch weiter verfeinern. High-Tech-Kläranlagen schützen unsere Gewässer, sparen Energie und schonen das Klima. Deshalb fördern wir neue Technologien und Ideen von Kommunen für Kommunen." Der Preis für innovative Abwasserentsorgung zeige, welche enormen Potenziale in diesem großen Thema der Daseinsvorsorge steckten. "Die Stadt Haßfurt wurde zwar nicht als Preisträger ausgewählt", so der Minister, aber das Fachgremium habe das Projekt als so interessant befunden, "dass dafür eine Prämie von 10 000 Euro bewilligt wird". Plus 1000 Euro Aufwandsentschädigung für die Ausarbeitung des Projekts. Damit können Norbert Zösch und Markus Eichhorn schon ein schönes Stück der Sauerstoffleitung von der Power-to-Gas-Anlage bis zur Kläranlage verlegen.
