zurück
HAßFURT
Tauchen im Klärschlamm „ein ganz normaler Job“
Pünktlich taucht Siegfried Richter nach drei Stunden aus der dunklen Brühe im Faulturm der Haßfurter Kläranlage auf.
Foto: Wolfgang Sandler | Pünktlich taucht Siegfried Richter nach drei Stunden aus der dunklen Brühe im Faulturm der Haßfurter Kläranlage auf.
Wolfgang Sandler
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:50 Uhr

Früher wollten Kinder Lokführer werden, heute vielleicht Software-Engineer. Aber kaum einer, weder damals noch heute, wäre auf die Idee gekommen, Faulturm-Taucher als Berufswunsch zu haben. Wie also kommt jemand auf die Idee, hauptberuflich im Faulturm einer Kläranlage zu tauchen? „Ich war Kampftaucher“, sagt Siegfried Richter, Chef der gleichnamigen Taucherfirma, die derzeit den Faulturm der Haßfurter Kläranlage auf Herz und Nieren prüfen. „Dann hat sich das so ergeben.“ Seine Taucher und er waren als Bautaucher im Einsatz zum Beispiel in Hafenbecken. „Da war es zum Tauchen in Güllebecken nicht weit.“

Fotoserie

Das braucht man zum Faulturmtaucher

Aber kostet es nicht jedes Mal eine Riesenüberwindung, in diese Brühe hineinzutauchen, von der jeder weiß, wo sie herkommt? „Überhaupt nicht, das ist ein ganz normaler Job.“ Natürlich habe er Respekt vor jedem Tauchgang, aber das habe nichts mit dem Faulturm und dessen Inhalt zu tun, das sei beim Tauchen immer so.

Faulturmtaucher kann man nur werden, wenn man zum einen eine bedingungslose Leidenschaft fürs Tauchen hat und zum anderen über eine abgeschlossene handwerkliche Berufsausbildung verfügt. „Wir führen unter Wasser (das nennt man wirklich so, die Red.) dieselben Arbeiten aus, die ein Schlosser an Land erledigt: Schweißen, Flexen, Brennen, Bohren, Biegen, Betonieren.“

Apropos Betonieren: Siegfried Richter macht der Kreisstadt ein Kompliment. Der Faulturm befindet sich in einem guten Zustand. Keine Betonabsplitterungen, keine Versandung des Bodens. Die Taucher müssen nur die im Laufe der Jahre sich einstellenden Verschmutzungen beseitigen. Hauptstörenfried sind sogenannte Zopfbildungen, bestehend vor allem aus Haaren und – man glaubt es kaum – Ohrenstäbchen. Die Verzopfungen wachsen immer weiter, bleiben an Rohren und Seilverspannungen hängen und wenn eine solche Verzopfung in die Pumpen gerät, können diese kaputtgehen. Oder es müssen gar Leitungen aufgegraben und dann der Zopf entfernt werden. In der Zeit falle dann aber der Faulturm über einen längeren Zeitraum aus.

Untersuchungen in regelmäßigen Abständen

Und gleich noch ein Lob für Haßfurt: Während die meisten Kommunen warten, „bis es gekracht hat und etwas kaputt ist“, so Richter, lasse Haßfurt in regelmäßigen zeitlichen Abständen den Faulturm untersuchen. „Das letzte Mal vor 20 Jahren“, erläutert Matthias Langguth, Betriebsleiter der Haßfurter Kläranlage. Wenn der Turm regelmäßig von den Tauchern untersucht werde, so Langguth, sei er danach wieder sauber und funktioniere einwandfrei.

Drei Stunden war Siegfried Richter am Donnerstagvormittag am Stück untergetaucht. Minutiös ist alles vorgeplant. „Um 11.22 Uhr taucht der Chef wieder auf“, sagt Matthias Langguth, denn der Capo war diesmal selbst im Einsatz, und man kann die Uhr danach stellen. Pünktlich blubbert es an der dunklen Oberfläche des Faulturminhalts.

Mit einer Winde wird Siegfried Richter nach seinem Tauchgang ans Tageslicht gezogen.
Foto: Wolfgang Sandler | Mit einer Winde wird Siegfried Richter nach seinem Tauchgang ans Tageslicht gezogen.

Erst kommt der gelbe Helm ins Bild, dann der ganze Taucher. Unter ständigem Abspritzen mit Wasser wird der Faulturmtaucher mit einer Winde aus der Brühe gezogen. Endlich hat Siegfried Richter wieder festen Boden unter den Füßen. Nach gründlichem Abspritzen schält sich der 60-Jährige aus seinem Anzug.

Die Handschuhe haben am Rand nicht ganz dicht gehalten, die Spuren des Tauchgangs sind aber schnell beseitigt.

Besondere Art von Humor

„Bis zu zehn Meter Tauchtiefe kann der Taucher so lange unten bleiben, bis die Blase drückt“, erklärt Richter mit einem Schmunzeln. Faulturmtaucher haben offensichtlich ihre eigene Art von Humor. Der Haßfurter Tauchturm ist jedoch tiefer (oder höher?). Insgesamt 21 Meter misst das Bauwerk von seiner „Spitze“, die im Boden steckt, bis ganz oben. Hier endet der Tauchgang eher, denn der Körper muss zunächst den gebildeten Stickstoff abbauen.

Suche nach Nachwuchs gestaltet sich schwer

Und wie sieht's mit dem Nachwuchs aus? „Es ist fast unmöglich, Leute zu finden“, sagt Richter. Und es gebe auch nicht sehr viele Tauchbetriebe, die Faultürme untersuchen. „Probiert haben es viele, aber...“, so Richter vielsagend. Deshalb sei seine Firma auch „gut ausgelastet“. Er verdiene zwar noch immer „ganz gut“, aber hier habe sich seit den 80er Jahren viel geändert. „Bei vielen Gemeinden sitzt das Geld nicht mehr so locker.“ Damals seien regelmäßige Kontrolluntersuchungen – wie in Haßfurt - die Regel gewesen, heute eher die Ausnahme.

Endlich weht wieder frische Luft um die Nase.
Foto: Wolfgang Sandler | Endlich weht wieder frische Luft um die Nase.

Der Zustand des Haßfurter Faulturmes stelle sich „auf die Jahre gerechnet nicht schlimm“ dar. „Das bekommen wir hin.“ es gebe keine Abplatzungen, keine kaputten Rohre. Und auch keine anderen Auffälligkeiten. „Das ist nicht so selbstverständlich“, plaudert der erfahrene Taucher aus dem Nähkästchen. „Es gibt nichts, was wir noch nicht in so einem Faulturm gefunden haben – sogar Mopeds und Fahrräder.“

Finanzieller Verlust für die Stadt bei einem Ausfall

Damit kann der Haßfurter Betriebsleiter nicht dienen. Dafür mit 1800 Kubikmetern Schlamm. Der kommt zum Teil „aus der Biologie“, also sogenannter Überschussschlamm, das sind zehn bis 15 Kubikmeter täglich, plus rund 25 Kubikmeter Primärschlamm pro Tag aus der Vorklärung. Dieser Schlamm muss 30 Tage im Faulturm bleiben, am besten bei 38 Grad Celsius, „dann produzieren die Bakterien nämlich am meisten Gas“, erklärt Langguth. Und dieses wird im Blockheizkraftwerk direkt neben dem Faulturm in Strom und Wärme umgewandelt.

Ein Ausfall des Faulturms hätte für die Stadt also einen deutlichen finanziellen Verlust zur Folge. „Wenn der Faulturm funktioniert, ist das für die Stadt bares Geld. Wenn er aber ausfällt, wird's für die Kommune teuer“, bringt es Matthias Langguth auf einen Nenner.

Deshalb ist seiner Meinung nach der regelmäßige Einsatz der Faulturmtaucher unumgänglich. Bevor allerdings die Tauchfirma antritt, erläutert Langguth, werde erst einmal in einem Kontrolltauchgang untersucht, welche Arbeiten überhaupt notwendig sind. In Haßfurt waren es diesmal nur Routineaufgaben. Also bis zum nächsten Mal – vielleicht wieder in zwanzig Jahren?

Bildtext
Foto: Wolfgang Sandler | Bildtext
Bildtext
Foto: Wolfgang Sandler | Bildtext
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Haßfurt
Wolfgang Sandler
Ideen
Kläranlagen
Klärschlamm
Leiter von Werken und Betrieben
Taucher
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top