
Heftige Winde rütteln derzeit am Laubkleid im Steigerwald und in den Haßbergen. Und doch zeigt sich der Blätterwald für die aktuelle Jahreszeit noch außergewöhnlich dicht und grün. Woran liegt das? Diese Redaktion hat sich erkundigt, wieso der Blattabfall so lange auf sich warten lässt.
Einer, der Antworten dazu hat, ist Christian Bartsch. Er ist Förster und Betriebsleiter in den Städten Eltmann und Königsberg und weiterhin Revierleiter in Eltmann. Er blickt auf die Monate September und Oktober zurück und erklärt: "Aufgrund des langen Altweibersommers 2023 konnten die Pflanzen beziehungsweise Bäume durch hohe Temperaturen und ausreichend vorhandenes Sonnenlicht länger Stoffaufbau durch die Fotosynthese in den grünen Blattteilen betreiben."

Aufschluss zu der Kraft des Altweibersommers 2023 in der Region liefert auch die Wetterstation Köslau: 355 Sonnenstunden in den Monaten September und Oktober 2023 stehen deren Aufzeichnungen zufolge 218 im Vergleichszeitraum des Vorjahres gegenüber.
Trend zu verlängerten Vegetationsperioden
Diplom-Forstwirt Hans Stark leitet das Universitätsforstamt Sailershausen. Er spricht von einem Trend zu Vegetationsperioden, die sich seit Jahrzehnten ausweiteten: Laubabfall, der vor drei Jahrzehnten üblicherweise Ende September einsetzte und im Oktober seinen Abschluss fand, sei Vergangenheit. Er rechne in diesem Jahr mit dem Eintritt laubfreier Zeit erst in der dritten Novemberwoche. Zeitgleich verfrühe sich der Blattaustrieb, bei der Roteiche habe er noch vor 30 Jahren frühestens Anfang Mai eingesetzt, mittlerweile beobachte Stark ihn bereits Anfang April.

Auch hierzu liefert die Wetterstation Köslau Daten, anhand sogenannter Vegetationstage, bei welchen es durchweg fünf Grad Celsius oder wärmer ist. 1992 gab es 222 Vegetationstage – innerhalb von 30 Jahren ist die Anzahl auf 257 gestiegen – also 35 Vegetationstage mehr. Doch nicht nur der Blick ins Kalenderjahr, sondern auch in die Daten der einzelne Monate zeigt: Die Vegetationstage nehmen zu. Im Oktober 1993 gab es 15 dieser Tage. In diesem Jahr waren es 30.
Frisches Blattgrün im Herbst
Doch nicht nur das – manchen Spaziergängerinnen und Spaziergänger fällt derzeit der Anblick von frischem Blattgrün, insbesondere bei jungen Buchen, ins Auge. Die Blätter bleiben also teils nicht nur länger hängen, sondern es gibt auch neues Blattgrün.
Daniel Steuer, stellvertretender Betriebsleiter der bayerischen Staatsforsten im Forstbetrieb Ebrach, erklärt dies mit der milden Witterung und den vielen Sonnenstunden. "Knospen, die im ausgehenden Sommer gebildet wurden, treiben teilweise vorzeitig."

Das Phänomen als solches sei nicht ungewöhnlich und wurde, berichtet er, in der Vergangenheit schon häufiger beobachtet und nachgewiesen. Unüblich seien hierbei nicht die Reaktionen der Bäume, sondern die milden Temperaturen.
Für Bartsch zeigt sich hierin "die Klimaveränderung und die entsprechende Anpassung an die Situation." Er hegt gemischte Gefühle, aufgrund der Folgen: "Wenn die frischen Triebe nicht mehr verholzen und in der Winterzeit durch Frosteintritt erfrieren, muss die Pflanze im folgenden Jahr mit einem erhöhten Energieaufwand einen Ersatztrieb bilden."
Warme Herbsttage: Die Gewinner und Verlierer
Und noch etwas hat Bartsch beobachtet: "Durch das lang verbleibende Laub ist es im Wald derzeit recht mild und recht windstill." Das hat nicht nur Folgen für die Flora, sondern auch für die Fauna: Tiere, die sich um diese Zeit eigentlich zur Winterruhe begeben, seien noch unterwegs – beispielsweise Igel und Fledermäuse. "Es sind noch zahlreiche Zugvögel da, sie finden derzeit noch ausreichend Nahrung bei uns." Denn derzeit seien ebenfalls noch viele Insekten unterwegs, wie Stechmücken und auch Zecken.
Auch verlängere sich die Zeit des Schädlingsbefalls durch Borkenkäfer und Bockkäfer, erklärt er. "An den Waldbäumen haben wir dadurch viel Schadholz zu verbuchen." Und jagdlich gesehen? Da sind sich die Forstleute einig, sei es gerade schwierig. Denn durch das viele bunte Laub an den jungen Bäumen sei die notwendige Sicht für die Jagd nicht gegeben. Immerhin: Kräuter, welche sonst eigentlich schon nicht mehr sichtbar sind, gediehen noch.
Hoffnung auf einen kalten Winter samt Schneedecke
Es kreucht und fleucht also noch, da draußen im Wald. Dabei wäre Ruhe wichtig – für den Wald und seine Bewohner. Bartsch hofft deshalb auf Schneefall im Winter: "Schnee ist wichtig, denn unter der Schneedecke 'kommt die Natur' zur Ruhe und bei einsetzender Schmelze kann die Feuchtigkeit langsam und nachhaltig vom Boden aufgenommen werden." Bei Starkregenereignissen hingegen könne der Niederschlag vom Boden nicht schnell aufgenommen werden und nur oberirdisch abfließen. "Das hilft den Pflanzen und dem gesunkenen Grundwasserspiegel nicht."
Und noch eine weitere Veränderung gibt es laut Stark. Temperatur und Stickstoffgehalt in der Luft beeinflussen menschengemacht die Vegetation, ist er überzeugt. Es sei belegt, dass der Holzzuwachs in den vergangenen 100 Jahren um 20 bis 25 Prozent angestiegen sei, erklärt Stark. Seit circa zehn Jahren sei jedoch ein gegenläufiger Trend zu beobachten, bedingt durch Hitzeperioden und Wassermangel.
Auch die Holzfällung im Wald sei dem Klimawandel unterworfen: auf Winterwochen, in denen der Boden zuverlässig über Wochen hinweg gefroren ist, könne die Forstwirtschaft nicht mehr setzen.
Aktuell lohne sich ein Aufenthalt im Wald aber allemal. Die einsetzende Laubverfärbung habe ihren ganz besonderen Reiz, so Stark. Es sei eine "schöne Zeit zum Wandern."
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass der Holzzuwachs in den vergangenen zehn Jahren um 20 bis 25 Prozent angestiegen sei, sowie, dass es im Oktober 1913 15 Vegetationstage gegeben hat. Die richtigen Zahlen sind 100 statt zehn Jahren und 1993, statt 1913. Hier haben sich bei der redaktionsinternen Bearbeitung zwei Zahlenfehler eingeschlichen. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen.