So mancher Spaziergänger und Wanderer wunderte sich dieser Tage über das Treiben im Sailershäuser Wald. Forstarbeiter waren zu Gange, warfen Bäume um oder schälten deren Rinde. Das Holz blieb im Wald. Was hat es damit auf sich?
Hans Stark, der Leiter des Universitätsforstamtes Sailershausen, klärt auf über das internationale Projekt, an dem auch das Waldstück im Haßbergkreis beteiligt ist. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und einem italienischen Forstamt werden hier gezielt Totholz und beschädigte Bäume angelegt, um die biologische Vielfalt in bewirtschafteten Wäldern zu verbessern.
Ökologische, ökonomische und soziale Aspekt
Das Hauptinstrument des Projekts "LIFE SPAN" ist das Saproxylic Habitat Network (SHN). Ein Netzwerk von Schutzgebieten, auch Saproxylic Habitat Sites (SHS) genannt, das unter anderem das Vorkommen und die Verbreitung sogenannter xylobionten Arten unterstützen soll - also Insekten, deren Lebensraum das Totholz ist. Das SHS ist ein Werkzeug für eine nachhaltige Forstwirtschaft. Es soll ökologische, ökonomische und soziale Aspekte miteinander verbinden. Durch das Schaffen neuer und die Verbesserung bestehender Lebensräume für Totholzbewohner tragen auch Wirtschaftswälder zur Steigerung der Biodiversität bei.
Ins Leben gerufen hat das Projekt Professor Dr. Jörg Müller, Leiter der ökologischen Station an der Universität Würzburg, zusammen mit Kollegen aus Italien. Am Alpensüdrand im Cansiglio-Wald werden die Maßnahmen zeitgleich durchgeführt, auch wenn die Voraussetzungen mit zum Beispiel gebirgigen Steilhängen andere sind als im heimatlichen Universitätswald. Hier im Bereich zwischen Kreuzthal im Landkreis Schweinfurt und Mariaburghausen bei Haßfurt werden insgesamt eineinhalb Hektar Wald an 18 verschiedenen Standorten genau unter die Lupe genommen.
Gleich mehrere Probleme bei biologischer Vielfalt
Das Projekt geht gezielt vier typische Probleme für die biologische Vielfalt in bewirtschafteten Wäldern an, erklärt Projektleiter Michael Junginger vor Ort. Das ist der Mangel an Totholz und alten Bäumen mit Mikrohabitaten, das Fehlen von Lücken (Mangel an Licht), die Aufforstungen mit nicht standortheimischen Nadelbaumarten und der Mangel an heterogenen Strukturen (großflächig homogene Waldbestände).
Selbst wenn die Stilllegung von fünf Prozent der Waldfläche in Deutschland umgesetzt sein wird, könne damit nicht die Vielfalt in unseren Wäldern gesichert werden, so der Fachmann. Denn erstens befinden sich viele Arten nicht in diesen fünf Prozent und zweitens weisen viele Stilllegungsflächen zu wenig Dynamik auf, um binnen von Jahrzehnten eine ausreichend positive Wirkung für bedrohte Arten zu entfalten. Für die 95 Prozent der übrigen Waldfläche seien dringend Konzepte erforderlich, die eine hohe Wirksamkeit zeigen, sagt Junginger.
Nutzung des Waldes hat sich über Jahrhunderte gewandelt
Wie es zu der heutigen Situation kam, lässt sich im Universitätsforstamt Sailershausen mit seiner Geschichte gut beispielhaft darstellen. Über Jahrhunderte wurde das relativ kleinflächige Mosaik aus Waldbeständen mit sehr unterschiedlicher Struktur als Mittelwald bewirtschaftet. Die rund 100 Festmeter je Hektar wurden intensiv durch Holzentnahme, zur Schweinemast oder als Waldweide genutzt. Circa 1850 begann der Umbau zum Hochwald, im Jahr 1921 fand der letzte Mittelwaldhieb statt. "Der Hochwald ist viel vorratsreicher, leistet viel höhere Zuwächse und liefert auch viel mehr Nutzholz", sagt Forstamtsleiter Hans Stark.
Im vergleich zur Mittelwaldzeit wurde der Vorrat um 176 auf 276 Festmeter je Hektar erhöht und auch die Nutzung von einst 1,5 Festmeter je Hektar stieg auf 6,7 Festmeter je Hektar an. Durch die Forstwirtschaft der letzten zwei Jahrhunderte sind flächig vorratsreiche und zuwachsstarke Waldbestände entstanden. Diese Bestände sind überwiegend geschlossen und lassen wenig Licht auf den Waldboden. Durch die Nutzung blieb kaum Totholz im Bestand, Mittelwaldeichen wurden bei der Umwandlung geerntet, weil ihr Holzwert gering war und der Wert der Mast keine Rolle mehr spielte. Aber bessere Eichen blieben in gewissem Umfang stehen und sind zum teil als Biotopbäume erhalten. Stümpfe der ehemaligen Mittelwald-Eichen sind wichtiges Totholz.
Maßnahmen sollen mehr Lebensraum bieten
Konkret wurden für das Projekt verschiedene Maßnahmen vorgenommen. So schufen die Beteiligten kleine Lichtungen, damit mehr Tageslicht in den Wald eindringen kann. Verschiedene Bäume, die Hans Stark vorher persönlich ausgesucht hatte, wurden zu stehendem oder liegenden Totholz umgewandelt. Sei es durch Umdrücken mit samt den Wurzeln oder durch Fällen sowie Köpfen. Manche Bäume wurden auch an der Rinde geschält, um so Lebensraum für die verschiedenen Tierarten zu schaffen.
Bereits im vergangenen Jahr wurden Insekten kartiert, deren Bestand dann nach Abschluss des Projektes mit dem aktuellen Ergebnis verglichen wird. Dazu werden beispielsweise autonome Soundrekorder eingesetzt, die an Bäumen hängen und zu gewissen Zeiten Naturgeräusche über drei Monate hinweg aufzeichnen. Aus diesen Aufzeichnungen werden dann die Vogelarten bestimmt. Zum bestimmen der Insekten sind Flug-Fenster-Fallen installiert. Käfer und ähnliches, die dort hinein geraten, werden in Salzwasser konserviert und anschließend daraus die Arten bestimmt.
Lehrpfad für Sailershäuser Wald geplant
Für eine virtuelle Holzernte haben Michael Junginger und sein Team zusätzlich auf circa einem Hektar die Koordinaten aller Bäume digitalisiert. Am Laptop kann dann simuliert werden, wie sich der Waldbestand nach einer Holzernte weiter entwickelt - nach wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten. Wenn das Projekt beendet ist, soll das Programm auch der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Außerdem ist für die Zukunft im Sailershäuser Wald ein Lehrpfad geplant, an dem die einzelnen Maßnahmen anschaulich erklärt werden. Das soll dann sowohl Praktikern als auch Naturschützern dienen, damit "jeder die Anschauungen der anderen Seite" verstehen kann. Denn nur gemeinsam kann es gelingen, den Wald für die Forstwirtschaft und den Naturschutz gleichermaßen zu optimieren, sind sich die beiden Diplom-Forstwirte Hans Stark und Michael Junginger einig.