
"So, dann gehen wir mal die Autobahn odeln", scherzt der Kabarettist, dessen "Kostüm" an diesem Januartag aus oranger Dienstjacke und oranger Diensthose besteht. Dazu schweres Schuhwerk und ein Hut auf dem Kopf. Es ist Oti Schmelzer, bekannt einem Millionenpublikum durch seine Auftritte bei "Fastnacht in Franken". Doch gerade übt der 63-Jährige aus Oberschwappach im Landkreis Haßberge seinen Hauptberuf aus: Straßenwärter der an der A70 gelegenen Autobahnmeisterei Knetzgau.
Nach einem Sonntag voller Sonnenschein ist eine klare Nacht über dem Maintal hereingebrochen. Auf dem Betriebshof ist es kalt, die Temperatur liegt wenige Grade über dem Gefrierpunkt. "Gefährlich", sagt Schmelzer, ganz ernst.
Autobahn im Winter: Wenn trockene Straßen trügerisch sein können
Zwar hat es tagsüber keinen Niederschlag gegeben, auch für die Nacht sind weder Schnee noch Regen angekündigt, die Straßen weitgehend trocken. Das verleitet Autofahrerinnen und Autofahrer, keinen Gedanken an Straßenglätte zu verschwenden. Wenn aber der Straßenbelag auf unter Null abkühlt und aus der Luft darüber Feuchtigkeit kondensiert, bildet sich leicht stellenweise Reifglätte. Und Fahrzeuge können ins Rutschen kommen.
Es ist Oti Schmelzers Aufgabe, genau das zu verhindern. Seine Schicht bei der Autobahnmeisterei hat am frühen Nachmittag begonnen und wird eine Stunde vor Mitternacht enden. Jetzt, kurz nach 18 Uhr, zieht er mit seinem 400 PS starken Lastwagen samt Anhänger los, um Flüssigsalz auf der Autobahn aufzubringen.
Das ist es, was er im Scherz "odeln" genannt hat. Die Sole verhindert die Glättebildung, solange es nicht kälter als minus 6 Grad Celsius wird. Dazu soll es in dieser Nacht den lokalen Wetterdaten zufolge, die die Knetzgauer Straßenwärter genau studieren, nicht kommen.
Der Platz im Führerhaus neben Schmelzer ist an diesem Abend frei. Wie immer, wenn die Aufgabe des Straßenwärters "nur" darin besteht, die Fahrspuren der Autobahn vorsorglich zu streuen. Anders wäre es, wenn er Schnee räumen oder die Nebenanlagen mitbedienen müsste. Geht es auch um Parkplätze, die Aus- und Auffahrten oder die Autobahnmeisterei selbst, müsste ein Kollege mitfahren, um einen von zwei Schneeschiebern am Fahrzeug zu bedienen und beim Rangieren für zusätzliche Sicherheit zu sorgen.

Es geht auf der A70 zuerst Richtung Schweinfurt, dann auf der Gegenspur bis Oberfranken. Zwischendrin muss der 63-Jährige auf dem Betriebshof in Knetzgau seinen 1600 Liter fassenden Flüssigsalzanhänger nachtanken. Die rund 110 Kilometer lange Tour wird genau den Zuständigkeitsbereich der Autobahnmeisterei abdecken: die A70 von Bergrheinfeld im Westen bis Bamberg Hafen im Osten, einschließlich der beiden Anschlussstellen. Fast drei Stunden wird Schmelzers Einsatz dauern.
Kabarett und Winterdienst: "Für mich ist das ganz normal"
Wie passt das zusammen, als Kabarettist und Fastnacht-Akteur sein großes Publikum zu unterhalten und dann wieder als Straßenwärter einsam durch die Nacht zu cruisen? "Für mich ist das ganz normal", sagt Schmelzer, der auch Winzer ist. "Ich habe der Fasenacht viel zu verdanken, ich habe mich weiterentwickeln können und mein Kabarett und meine Bühne aufgebaut."
Damit ist die "Bescheuerte Weindunstbühne" in Oberschwappach gemeint. Eigentlich könnte Oti Schmelzer sein Amt als Straßenwärter an den Nagel hängen. Aber er sei froh, gerade mit Blick auf die Corona-Krise, mehrere Standbeine zu haben, sagt der 63-Jährige.

Vor allem aber: Er mag seinen Job bei der Autobahn. Seit 34 Jahren sorgt er für saubere sowie schnee- und eisfreie Fahrbahnen. Führt Mäharbeiten und Gehölzpflege durch, sichert Baustellen und Unfälle ab oder wirkt bei der Wartung der Tunnelröhren bei Eltmann mit. Als einer von etwa 20 Straßenwärtern in Knetzgau. Aber, sagt er, ganz bestimmt nicht als Star in der Truppe! "Das Wort will ich gar nicht erst hören. Auf der Arbeit, im Dorf, wo auch immer: Ich bin einfach der Oti."
Derweil steuert er mit stoischer Gelassenheit und exakt Tempo 60 - "schneller darf ich auch gar nicht fahren" - auf den 700 Meter langen Tunnel "Schwarzer Berg" zu. Man spürt: Schmelzer genießt das langsame und gleichförmige Dahinbrummeln. "Für mich ist das manchmal wie Meditation."
Hektik sei in seinem Beruf "sowieso fehl am Platz". Und der Straßenmeister verrät: Jetzt, wo sein Auftritt in Veitshöchheim näher rückt, nutze er die Zeit im Winderdienstfahrzeug immer mal wieder, um einzelne Textpassagen im Geiste durchzugehen.
Damit die Ampel nicht auf Rot schaltet: Kein Streusalz im Autobahn-Tunnel
Freilich muss er dabei konzentriert bleiben. Gegen 19.45 Uhr, am Eingang des Eltmanner Tunnels, drückt Schmelzer einen Knopf auf dem großen Display rechts neben ihm. Es zeigt die aktuelle Streubreite und Streumenge. "Hier in der Röhre darf ich jetzt nicht streuen." Die versprühte Sole würde die Luft im Tunnel sonst trüben. Die Trübsichtanlage würde Alarm geben, die Ampel vor dem Tunnelportal auf Rot schalten. Nur bei extremer Kälte, erklärt der Straßenmeister, bekommt auch der Tunnel sein Salz ab.
Eine Dreiviertelstunde später liegt der Wendepunkt der Tour, die Anschlussstelle Bamberg Hafen, schon wieder hinter Oti Schmelzer. Gelassen steuert er auf den kurvigen und recht steilen Abschnitt an der Flanke des Spitzelberges bei Stettfeld zu.
Immer wieder haben sich hier schwere und auch tödliche Unfälle ereignet, auch bei besten Wetterbedingungen. Die Temperaturanzeige meldet 1 Grad Celsius. Es wird kritisch. Man sollte meinen, Schmelzers Streufahrzeug mit seinen orange blinkenden Rundumleuchten sei die beste Warnung. Doch viele Autos und Kleintransporter schießen unbeeindruckt an ihm vorbei.

"Die Leute glauben einfach, die Straße ist gestreut und frei und ihnen kann nichts passieren", wundert sich Schmelzer über die Ignoranz gegenüber Witterung und physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Eigentlich leuchte doch in jedem modernen Fahrzeug ein Sternchen in der Instrumententafel auf, wenn es draußen kälter als 4 Grad plus sei.
Für ihn als normalen Verkehrsteilnehmer heißt das: runter vom Gas und vorsichtig fahren. Vor allem in den kritischen Bereichen, zu denen auch die 1000 Meter lange Maintalbrücke gehört, die jetzt auf dem Heimweg unmittelbar vor dem einzigen Tunnel der A70 liegt: Auf jedem Brückenbauwerk herrscht erhöhte Glättegefahr.
Keine Raserei: Oti Schmelzer ist für ein Tempolimit auf der Autobahn
Oti Schmelzer, der in den Ruhephasen seines Straßenwärterdienstes gerne in der Bibel oder im Koran liest und sich mit Philosophie befasst, hält generell nichts von Raserei. Er kann nicht nachvollziehen, dass so viele Menschen so getrieben sind, auch und gerade am Steuer. "Ich bin, völlig parteibuchunabhängig, für ein Tempolimit."
Die Fahrt im gefühlten Schneckentempo zieht sich hin. Schmelzer kann von seiner Leidenschaft, dem Schachspiel, erzählen. Von seiner Liebe zu Natur und Landwirtschaft. Und seinem Kummer, dass die Gesellschaft viele Arbeiten wie der Müllabfuhr nur geringschätze und bescheiden bezahle.
Gegen 21 Uhr steht der schwere Lastwagen wieder vor dem Salzlager mit Flüssigsalztankstelle, die Tour ist vorbei. Straßenwärter Schmelzer muss im Betriebsgebäude noch Formulare ausfüllen und kocht sich erst einmal einen Espresso.

Bleibt die Frage, ob Oti Schmelzer, der schon der Struwwelpeter oder zuletzt das Sandmännchen war, eines Tages bei Fastnacht in Franken auch als er selbst, als Straßenwärter auftreten wird?
Er würde es vorher nie verraten. Auf jeden Fall hätten ihm seine Beobachtungen an der Autobahn viel Material geliefert, sagt der Kabarettist. Und muss lachen, als er daran denkt, wie verdutzt viele Autofahrer geschaut haben, als er mal im Sommer mit Schneeschieber auf der A70 zu Werke war. Ein Sturm hatte so viel Äste und Unrat auf die Autobahn verfrachtet, dass er sich zum Beseitigen für den "Winterdienst-Einsatz" als effektivster Methode entschied.