
Auf einem Campingplatz kommen wir mit Jim aus San Diego ins Gespräch. Er will wissen, wo wir schon überall geradelt sind. Als wir ihm erzählen, dass wir mit unserer jetzigen Tour die gesamte Strecke von Alaska bis nach Panama vollenden, schaut er uns verwundert an und antwortet mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen: "Are you okay?" - auf gut Deutsch: Aber sonst geht's euch gut, oder?
Vor kurzem reisten wir – meine Frau Inge und ich, beide 69 Jahre alt – zwei Monate lang mit unseren Fahrrädern (keine E-Bikes) quer durch die USA von Nord nach Süd. Unser Plan: Wir wollten eine ziemlich große Lücke schließen. Schließlich waren wir in früheren Jahren einerseits schon durch Alaska und Kanada und andererseits durch ganz Mittelamerika geradelt. So entstand die Idee, von Vancouver bis an die mexikanische Grenze zu fahren und so diese Lücke zu schließen.
Hohe Preise belasten Reisebudget
Die ersten Wochen erwartet uns kühles Wetter und Dauerregen. Obwohl wir gerne zelten, müssen wir oft in einfachen Motels übernachten. Das belastet unser Reisebudget, denn die Preise sind enorm hoch. Ein einfacher Camembert beispielsweise kostet rund 10 Dollar. Die hohen Preise sind vielleicht ein Grund für die weitverbreitete Armut.

Vor allem in den Großstädten sehen wir unzählige Obdachlose und Drogenabhängige mit Einkaufswägen voller Habseligkeiten und Gerümpel. Sie wühlen in Mülltonnen und hausen unter primitiven Zeltplanen oder Kartonagen.
Ein Nationalpark wie ein Märchenwald
Im Bundesstaat Washington im äußersten Nordwesten der USA kommen wir durch den Olympic Nationalpark. Hier wuchern an den Bäumen dichte Moose und Flechten wie in einem Märchenwald. Eine solch üppige Vegetation kann nur durch langanhaltende Regenfälle entstehen.
Entsprechend oft sind wir mit Regenjacken unterwegs. Einige Male campieren wir in sogenannten Campgrounds – rustikale und preiswerte Campingplätze mit einfachen Toiletten und Grillplätzen. Zweimal bekommen wir nachts ungebetenen Besuch: Waschbären plündern unsere Vorratstüten.

Je weiter wir in den Süden kommen, desto wärmer und sonniger wird es. Als wir den Bundesstaat Oregon hinter uns lassen und Kalifornien erreichen, haben wir den Regen hinter uns gelassen. Jetzt sind wir an der Pazifikküste unterwegs.
Die Landschaft hier ist unglaublich schön. Immer wieder tauchen Felsenküsten mit Tausenden von haushohen Felsbrocken auf – mit Recht gilt die Küstenstraße hier als eine der schönsten der Welt. Wir sehen Seehunde und beobachten Pelikane beim Fischfang.

Und hier an der Küste erreichen wir auch den tollen Redwood Nationalpark. Unglaublich dicke und hohe Bäume wachsen in den Himmel. Manche dieser Kolosse sind über 1500 Jahre alt und an die hundert Meter hoch. Im Vergleich zu den Giganten kommen wir uns ameisenklein und vergänglich vor. Uns ergreift ein Gefühl der Ehrfurcht.

Später erreichen wir den Nationalpark Yosemite. Hier bewundern wir einen malerischen Wasserfall und bestaunen die Kletterfreaks aus aller Welt, die in scheinbar endlos hohen und senkrecht emporragenden Felswänden hängen. Etliche der Abenteurer übernachten mit Biwaks in der Wand.

Danach kommt die große Hitze und die Tagestemperaturen überschreiten ständig die 40 Grad – im Schatten, den es aber nirgends gibt. Unsere Route führt einige Hundert Kilometer durch die heiße Mojave Wüste.
Wir können nur vormittags radeln. Wir stehen vor fünf Uhr in der Früh auf und sitzen um sechs Uhr im Sattel.

Die Wettervorhersage kündigt uns mehrmals 47 Grad Celsius an. Unweit der mexikanischen Grenze in einem Städtchen namens Mecca erreichen wir unser Ziel und schließen die Lücke. Damit haben wir Nord- und Mittelamerika vollständig durchradelt. Glücklich, aber auch erschöpft, fallen wir uns in die Arme.