Zuletzt kostete der Blumenkohl statt 1,99 nur noch einen Euro. Jetzt sind auch die Kartoffeln knapp einen Euro günstiger. Margot Dümler deutet auf einen Werbeprospekt von Edeka, der vor ihr auf dem Tisch liegt. "Das ist meiner Meinung nach Diskriminierung und grenzt an Nötigung", sagt sie. Gemeint ist die Preispolitik der Supermarkt-Kette. Bereits vor Monaten habe sie festgestellt, dass für Kundinnen und Kunden unterschiedliche Preise gelten, berichtet die 76-Jährige. Wer die Edeka-App nutze, erhalte wesentlich höhere Rabatte als die übrigen Kundinnen und Kunden.
Es ist aber nicht nur die Edeka-Kundschaft, die von Rabatten in der App profitiert. Das Ganze ist ebenso Praxis bei anderen Supermärkten und Discountern, wie Margot Dümler festgestellt hat. Die Zeilerin blättert in einem Prospekt von Lidl. Dort ist gerade die Tafel Schokolade von Milka im Angebot. Statt 1,35 Euro sind 0,65 Euro als Preis ausgewiesen. Ein Rabatt von 51 Prozent. Allerdings links oben in der Ecke mit dem Hinweis versehen: "Nur gültig mit Lidl Plus". Also der App des Discounters. "Der Hinweis ist so klein geschrieben, den übersieht man leicht", meint Dümler.
App-Rabatte der Supermärkte sind auch Thema bei Freunden und Bekannten
Sie berichtet, dass sie beim Einkauf an der Kasse gefragt worden sei, ob sie denn die App habe. Als sie dies verneinte und somit den Rabatt nicht erhielt, habe sie mit Blick auf die Schokolade kurzerhand entschieden: "Dann lass ich sie halt da." Direkt angewiesen ist die Zeilerin auf die Rabatte nicht. "Meinem Mann und mir geht es gut", sagt sie. "Ich achte aber trotzdem auf die Preise." Auch mit dem Smartphone, auf das sie sich die Apps herunterladen könnte, um die Rabatte zu erhalten, kennt die 76-Jährige sich aus.
Margot Dümler geht es eher allgemein um das Vorgehen der Supermärkte. In ihrem Freundes- und Bekanntenkreis seien die App-Rabatte immer wieder ein Thema, erzählt sie. Gerade viele ältere Menschen hätten ja kein Smartphone und müssten so den normalen Preis oder den aktuellen Aktionspreis zahlen – anstatt den günstigeren App-Preis zu erhalten.
Bei der Verbraucherzentrale sieht man das Thema Supermarkt-Apps ähnlich. Diejenigen, die kein Smartphone besitzen, würden abgehängt. Aber zum Beispiel auch alle, die sich die Apps nicht herunterladen können, weil ihre Smartphones ein älteres Betriebssystem haben, wie Felix Methmann, Leiter des Teams Recht und Handel, erklärt.
Und, "na klar, wenn wir darüber reden, wer kein Smartphone hat, sind das häufig die Älteren". Eine Forderung der Verbraucherzentrale sei es, digital nicht gegen analog auszuspielen, sagt Methmann. Mit Blick auf die Supermarkt-Apps wäre das etwa möglich, indem man die gleichen Rabatte auch über Heftchen anbiete. "Das wäre ein Stück weit auch Kundenservice."
Supermärkte verweisen auf Vorteile der Apps und Rabatte jenseits davon
Was sagen die Supermärkte und Discounter? Die Redaktion hat bei Edeka, Rewe, Lidl und Aldi Süd nachgefragt. Keines der Unternehmen antwortete dabei auf die einzeln gestellten Fragen. Alle hielten sich im Großen und Ganzen eher allgemein. So erklärt zum Beispiel Edeka, dass die App Teil eines Programms zur Kundenbindung sei. Man könne das Anliegen verstehen, heißt es aus der Pressestelle. Aber: Viele Kundinnen und Kunden würden derlei Programme gerne nutzen. Edeka verweist außerdem darauf, dass es auch ohne die App Rabatte für Kundinnen und Kunden gebe.
Ähnlich äußert sich Lidl. Den Mehrwert der App würden die positiven Rückmeldungen der Kundschaft bestätigen. Daneben gebe es zum Beispiel weiterhin auch den gedruckten Haushaltshandzettel, in dem sich etwa Ende 2023 vier Wochen lang jeweils ein Rabatt-Coupon zum Ausschneiden à fünf Euro für jeden Einkauf ab 40 Euro befunden habe.
Rewe führt eigene Tests und externe Studien an. Smartphones seien unter Seniorinnen und Senioren weit verbreitet. Im Schnitt besäßen drei von vier ein solches. Diese Zahlen widersprächen klar dem Vorwurf einer Altersdiskriminierung, so Rewe. In jedem Markt gebe es zudem sogenannte App-Expertinnen und -Experten, die bei Fragen oder auch der Installation behilflich seien.
Wegen der App-Rabatte hat Dümler einen Beschwerdebrief an Edeka geschickt
"Es stimmt, es ist sicherlich eine Minderheit, die heutzutage kein Smartphone besitzt", ist sich Margot Dümler bewusst. Was aber nicht heiße, dass diese Minderheit kein Gehör verdient habe. In einem Schreiben hat die Zeilerin sich daher vor eineinhalb Monaten direkt an Edeka gewandt und ihrem Ärger Luft gemacht. Zu den App-Rabatten schreibt Dümler in dem Brief, dass Verbraucherinnen und Verbraucher durch diese gegeneinander ausgespielt würden.
Die Preispolitik des Supermarkts entspreche einer "gewollten Ungleichbehandlung zu Lasten älterer Menschen. Gerade diese, oftmals verwitwet und mit schmaler Rente, werden mit Ihrer Werbeaktion benachteiligt." Und weiter: "Genauso gut könnten Sie folgende Aktion starten: Alle Verbraucher über 70 Jahre erhalten den Blumenkohl für einen Euro. [...] Das würde sicher einen Aufschrei geben, weil der Rest sich benachteiligt fühlen würde."
Auf ihr Schreiben an Edeka hat die Zeilerin bislang keine Antwort erhalten. "Ich habe schon vermutet, dass die sich sagen: 'Was will die Frau? Das interessiert uns nicht'", sagt Dümler. Wünschen würde sie sich aber, dass von den Supermärkten und Discountern zumindest einmal über diese Art der Preispolitik nachgedacht werde und darüber, ob es nicht auch anders ginge.
Ja, geht es wohl durchaus, wie die Anfrage der Redaktion an die Supermärkte und Discounter zeigt. Bei Aldi Süd gibt es nach Auskunft des Unternehmens keine exklusiven Rabatte oder Gutscheine für Nutzerinnen und Nutzer der App. Wurde das speziell mit Blick auf die älteren Kundinnen und Kunden so entschieden? Es handele sich um eine allgemeine Entscheidung, heißt es auf Nachfrage.
Datenschutz-Bedenken können ebenso gegen die Supermarkt-Apps sprechen
Das Vorgehen der Supermärkte und Discounter betreffe im Grunde aber gar nicht einmal nur ältere Menschen ohne Smartphone, merkt Margot Dümler im Gespräch mit der Redaktion an. "Ich lade mir die Apps zum Beispiel nicht auf mein Handy, weil ich das einfach nicht möchte", erklärt sie. "Die Konzerne gewähren die Rabatte dort ja nicht aus christlicher Nächstenliebe, sie schöpfen immer noch Gewinne ab und sammeln gleichzeitig Daten, um mir dann wieder gezielt Werbung zu schicken." Es gebe sicher auch Jüngere, die deswegen bewusst auf die Nutzung der Supermarkt-Apps verzichten.
Auf die Frage, welche Daten von Nutzerinnen und Nutzern gesammelt und wofür diese verwendet werden, gehen nur zwei der Supermärkte und Discounter in ihrer Antwort an die Redaktion ein. Rewe erklärt, dass unter einem Menüpunkt in der App für Nutzerinnen und Nutzer einsehbar sei, welche Daten gesammelt werden. Von Lidl heißt es, dass der Verwendung von Nutzungsdaten direkt nach dem Herunterladen der App zugestimmt oder widersprochen werden könne.
Die Verbraucherzentrale informiert auf ihrer Website zum Thema Supermarkt-Apps, dass diese zwar praktisch sein könnten, aber mitunter tiefe Einblicke in das Leben der Nutzerinnen und Nutzer nehmen würden. Wer das nicht möchte, solle die Einwilligungen und Einstellungen in Sachen Datenschutz sorgfältig prüfen und diese vor allem auch bei App-Updates im Blick behalten, heißt es dort unter anderem.
Wer ein bisschen Zeit investiere und genau auf den Datenschutz achte, könne von den Apps mitunter profitieren, sagt Felix Methmann. Als Positivbeispiel führt er die App der Drogeriemarkt-Kette Rossmann an. Diese sei wie ein Coupon-Heftchen auch anonym benutzbar. Insgesamt sei das aber die Ausnahme. "Die meisten Supermarkt-Apps sind so gebaut, dass man mit Daten zahlt", erklärt Methmann. Nutzerinnen und Nutzer sollten sich nicht der Illusion hingeben, dass sie etwas geschenkt bekämen. "Mit jedem Besuch wird man gläserner."
Wo wohnt man? Wie weit fährt man zum Einkauf? Was kauft man und wie oft? Auch Standortdaten würden dabei häufig erfasst. Bei einigen gebe es zudem eine "ellenlange Seite" an dritten Partnern, an die "enorm viele" der Daten gehen. Es sei ein großes Problem, sagt Methmann, dass das Ganze überhaupt nicht transparent sei und man nicht genau wisse, wie die Daten im Hintergrund tatsächlich verwendet werden, ob zum Beispiel zur Personalisierung von Preisen. Hier seien auch die Politik und entsprechende Transparenz-Gesetze gefragt.
Rabatt-Praxis aus Dümlers Sicht vor allem bei Lebensmitteln fragwürdig
Für Margot Dümler kommt schließlich noch ein weiterer Aspekt hinzu: Gerade bei Lebensmitteln sind die hohen Rabatte ausschließlich für App-Nutzerinnen und -Nutzer aus ihrer Sicht eine fragwürdige Praxis. "Bei Kartoffeln zum Beispiel handelt es sich um ein Grundnahrungsmittel. Wenn die nun in der App einen Euro weniger kosten, dann finde ich das einfach nicht in Ordnung", unterstreicht die Zeilerin. "Es ist etwas anderes, wenn ich Schuhe kaufe oder eine Gießkanne, das mache ich nicht zweimal die Woche. Aber Lebensmittel braucht jeder jeden Tag."
Bis zu zehn Euro ließen sich pro Einkauf wohl mit den App-Rabatten der Supermärkte und Discounter sparen, habe die Tochter einer Bekannten überschlagen, berichtet Margot Dümler. Im Monat kämen da schnell an die 40 oder 50 Euro zusammen, fügt sie an. Wer beim Einkauf auf jeden Cent achten müsse, sei so quasi gezwungen, die App des jeweiligen Supermarkts oder Discounters zu nutzen, was aber wiederum den Besitz eines Smartphones voraussetze.
Wer heute mit 70-80 absolut nichts mit dem Computer/Handy anfangen kann, hat es offensichtlich schon in den 90er Jahren verweigert, als die digitale Welt für jedermann begann. Und war da unter 50 ! Man wird schließlich nicht alt und abgehängt von allem geboren. Heute wird 50-60-Jährigen z. B. in der Arbeitswelt viel Anpassung an neue Technologien abverlangt und die Menschen schaffen das auch.
Warum macht man da so ein Damm-Damm?
Die Kunden haben es in der Hand durch ihr Verhalten Druck auf die Händler auszuüben.
Heute haben wir 1, 21 Euro bei der App Nutzung eingespart.
Wer sich für eine solche App entscheidet, wer sich also dazu entscheidet, dem jeweiligen Supermarkt seine Daten zu überlassen, der bekommt eben einen weiteren Rabatt dafür.
Wo ist das Problem?
Weil irgendwer auch was von ADAC geschrieben hat: gleiches Prinzip. Ich als Mitglied bekomme hier und da Ermäßigungen, und der ADAC sicherlich auch wertvolle Daten von mir. Ich dafür profitiere ja auch andersrum von meiner Mitgliedschaft.
Mir völlig unbegreiflich, wo hier ein Problem liegen soll...
das mit dem ADAC war ein blödes Beispiel von mir.
Darüberhinaus hat es mich auch schon immer geärgert, daß ADAC-Mitglieder bei bestimmten Mineralölkonzernen (z.B. Shell, etc.) einen Rabatt von 1 - 2 Eurocent pro getanktem Liter Kraftstoff erhalten.
Ja, ich weiß, jetzt kommt: "werde halt auch ADAC-Mitglied!".
Sorry, ich bin halt im AvD.
z.B. bietet in meiner Gemeinde Rimpar der "Seniorenrat" 14-tägig einen "Internet-Treff für Senioren" an. Dort kann jeder mit seinen Problemen hinkommen und dort werden solche Probleme altersgerecht gelöst.
Andere Gemeinden bieten ähnliche Angebote z.B. Veitshöchheim, Ochsenfurt, Höchberg und Würzburg sind mir diesbezüglich bekannt.
Das Problem - die guten alten deutschen Tugenden.
Allen voran die Ehrlichkeit und das Bedürfnis, sich zu outen.
Dabei überprüft keine App, ob die eingegeben Daten auch richtig sind. Was bei diesen Apps letztlich auch rechtlich egal sein dürfte, da deren Nutzung nicht beschränkt ist.
Andererseits breiten die Menschen, auch die älteren, ihr Leben bei Facebook, Instagram und sonstigen "sozialen" Medien aus.
Uns ständig liest man in der Zeitung, dass wieder ein älterer Mensch hunderte und tausende von Euros an Gauner überwiesen hat, welcher ihm per Handy oder eMail etwas vorgegaukelt hat.
Nur mit der App von seriösen deutschen Unternehmen hat man plötzlich Probleme?
Ein Tipp: noch vor 1990 konnten die Menschen auch ohne Handy und Computer überleben, weil sie zum anderen ihren Menschenverstand nutzten und nicht so gierig waren.
In Abwandlung eines Werbespruchs: Geiz ist eben nicht geil.