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Zeil
Als Sühne für den Totschlag: Das dunkle Geheimnis der Zeiler Golgatha-Kapelle
Die Golgatha-Kapelle am alten Friedhof dürfte den meisten Zeilerinnen und Zeilern bekannt sein. Doch kaum einer weiß mehr, welche Geschichte hinter dem Denkmal steckt.
Trotz ihrer 400 Jahre und einigen Blessuren, ist die Golgatha-Kapelle am alten Friedhof auch heute noch ein beeindruckendes Kunstwerk und ein interessantes Stück Zeiler Geschichte.
Foto: Ludwig Leisentritt | Trotz ihrer 400 Jahre und einigen Blessuren, ist die Golgatha-Kapelle am alten Friedhof auch heute noch ein beeindruckendes Kunstwerk und ein interessantes Stück Zeiler Geschichte.
Ludwig Leisentritt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 19:37 Uhr

Vor 400 Jahren ließ Georgius Pfersmann die Golgatha-Kapelle unterhalb des Zeiler Kreuzfriedhofs errichten. Dieses Kunstwerk ist eine bemerkenswerte Renaissance-Arbeit. Sie wird sogar im Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler als besonders schönes Beispiel einer offenen Kreuzkapelle erwähnt. Doch dass diese ein Denkmal der Sühne für einen begangenen Totschlag ist, wurde erst in jüngster Zeit durch Archivfunde belegt.

Gedenken an die unglücklichen Toten

Sühnestätten pflegte man bewusst, wenn schon nicht am Tatort, so doch an viel begangenen Wegen zu errichten. Bis etwa 1845 führte die Hauptstraße stadtein- und stadtauswärts am alten Friedhof vorbei. Durchreisende sollten an derartigen Stätten des unglücklichen Toten gedenken und ein Gebet für dessen Seelenheil verrichten. Stattdessen erbat die Inschrift von Gott "zeitliche und ewige Wohlfahrt" für den Stifter.

Zu den Füßen des am Kreuz hängenden leidenden Christus trauern die Muttergottes und sein Lieblingsjünger Johannes. Zu beiden Seiten hängen die Schächer. An der Decke zeigen drei Holzkassetten Szenen aus der biblischen Geschichte: Die Darstellung des Sündenfalls, die eherne Schlange des Moses und die Anbetung der Heiligen Drei Könige. Ein kleines unscheinbares Wappen, das je zur Hälfte ein Pferd und einen Mann darstellt, wird von den Initialen JP (Jörg Pfersmann) ergänzt.

Pfersmann Wappen-Symbol: Ein kleines unscheinbares Wappen, das je zur Hälfte ein Pferd und einen Mann darstellt, wird von den Initialen JP (Jörg Pfersmann) ergänzt.
Foto: Ludwig Leisentritt | Pfersmann Wappen-Symbol: Ein kleines unscheinbares Wappen, das je zur Hälfte ein Pferd und einen Mann darstellt, wird von den Initialen JP (Jörg Pfersmann) ergänzt.

Vorbeireisende konnte in den noch vorhandenen Opferstock eine Münze werfen und auf eine gute Weiterreise hoffen. Die relativ umfangreiche Inschrift verschweigt seltsamerweise das Verbrechen an dem Schulmeister Valtin Ditz. Nur die Einheimischen kannten einige Generationen lang den genauen Tathergang. So hat das kollektive Gedächtnis die Einzelheiten der Bluttat immer mehr vergessen. Ihre Nachfahren sprachen dann bis in die jüngste Zeit fälschlich von einem Brudermord.

Bis ins Hochmittelalter bestand bei der Tötung eines Menschen kein Strafanspruch des Staates gegenüber dem Täter. Der bestand nur der Familie des Getöteten gegenüber. Die konnte auf einen Schadensersatz bestehen. Hatte man sich darauf geeinigt, war eine Blutrache durch die Sippe nicht mehr erlaubt.

Sühnekreuz als Zeichen der Einigung

Als ein Zeichen der Einigung zwischen den Familien ließ der Täter oft ein Sühnekreuz errichten. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese einst schmucklosen Gedenksteine immer aufwendiger gestaltet. Für seine Tat hätte die Obrigkeit den Spross der einflussreichen Zeiler Familie zu Tode befördern können, denn zum Tatzeitpunkt gab es für den Totschlag bereits den Strafanspruch des Staates. Ganz ungeschoren kam daher der Übeltäter nicht davon. Er wurde nämlich des Landes verwiesen.

Im Hochstift Bamberg gab es einige Jahre später noch einen ähnlichen Fall, der sich ebenfalls in Zeil abspielte. Das geht aus einem Hinweis auf die in den Kriegswirren verschollenen Hochgerichtsakten hervor. Danach hat der Zeiler Georg Grober um 1630 einen nicht namentlich genannten Mann getötet.

Der Hinrichtung entging Grober nur deshalb, weil die Angehörigen und Freunde des Opfers den Täter nicht an den Henker liefern wollten. Er wurde jedoch durch die Obrigkeit zwangsweise der kaiserlichen Armee übergeben. Ob und wie er während des 30-jährigen Krieges den mehrjährigen Militärdienst überlebt hat, lässt sich nur denken.

In den Unterlagen des Zeiler Stadtarchivs finden sich nur spärliche Hinweise auf die Bluttat durch Georgius Pfersmann. Auch über die Errichtung der Kreuzigungsgruppe gibt es keine Hinweise auf den Bildhauer. Der Bürgermeister Hans Langhans hat in seinem bekannten Tagebuch etwas über die Umstände der Tat niedergeschrieben.

Ein verhängnisvoller Streit am 2. Weihnachtsfeiertag

Er war wohl Altersgenosse des Georgius Pfersmann gewesen und gehörte 1616 zu der Laienspielgruppe, die im Ratssaal, unter Leitung des Schullehrers Ditz, das Historienschauspiel Judith aufführte. Da Frauen nicht mitwirkten, agierte Langhans als Judith, eine Person des Alten Testaments. Nach dem Ende der Aufführung am 2. Weihnachtsfeiertag, kam es zu einem verhängnisvollen Streit.

Inschrift der Kreuz-Kapelle: Der vom Stifter umgebrachte Schullehrer Ditz wird auf der Inschrift des Sühnemals nicht erwähnt.
Foto: Ludwig Leisentritt | Inschrift der Kreuz-Kapelle: Der vom Stifter umgebrachte Schullehrer Ditz wird auf der Inschrift des Sühnemals nicht erwähnt.

Erst in den 60er Jahren fand man zufällig im Staatsarchiv Bamberg einen Eintrag, der noch einige weitere Details dieser bislang mysteriösen Tat ans Licht bringen sollte. Danach waren nach Ende des Spiels sämtliche aktiv Beteiligte von Bürgermeister und Rat zu einem Ehrentrunk auf die Ratsstube gebeten worden. Ohne eingeladen zu sein, stieß auch Georgius Pfersman zu den Versammelten.

Er überhäufte den Schulmeister mit Vorwürfen, weshalb er ihn nicht auch in die Spielschar aufgenommen hat. Valtin Ditz hat, um in Frieden gelassen zu werden, nach Hause gehen wollen, doch der zornige Pfersmann folgte ihm. Außerhalb des Rathaussaales kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf er ein Messer aus der Scheide zog und den Schulmeister "ganz jemmerlicher unschuldiger weiß erstochen" hat.

Pfersmann konnte sich offenbar zunächst in Sicherheit bringen, denn das Bamberger Malefiz-Amt ließ nach ihm suchen und sogar Vermögenswerte beschlagnahmen. Die alten Zeilerinnen und Zeiler erzählten sich, der ausgewiesene Pfersmann hätte sich in Böhmen niedergelassen.

Eine Familienforscherin verfolgte die Spuren

Nach der Erinnerung des Lehrers Josef Gassner, weilte in den 30er Jahren eine Frau Roßmann aus dem österreichischen Kärnten in Zeil. Sie erzählte damals, nach der Familienüberlieferung sei ihr Vorfahre namens Roßmann kurz vor Ausbruch des 30-jährigen Krieges aus dem ehemals bambergischen Städtchen Zeil geflohen.

Den richtigen Namen erfuhr die Familienforscherin erst bei der Besichtigung der Kreuzigungsgruppe und bei Gesprächen mit Zeiler Bürgern. Die erzählten ihr allerdings noch fälschlich die Sage, dass Pfersmann seinen Bruder im Streit erschlagen habe.

Totschlag wegen eines Linsengerichts

Ganz so, was heute noch über den Linsenstein oberhalb der Brühlsteige erzählt wird: Wegen eines Linsengerichts soll ein Schafhirte im Streit seinen Bruder umgebracht haben. Der Linsenstein ist sehr alt und soll ebenfalls ein Sühnedenkmal für einen begangenen Totschlag sein.

Der Linsenstein oberhalb der Zeiler Brühlsteige gilt der Sage nach als ein Sühnestein für eine Mordtat. Zwei Schafhirten sollen sich wegen eines Linsengerichts gestritten haben.
Foto: Ludwig Leisentritt | Der Linsenstein oberhalb der Zeiler Brühlsteige gilt der Sage nach als ein Sühnestein für eine Mordtat. Zwei Schafhirten sollen sich wegen eines Linsengerichts gestritten haben.

Die Frau aus Österreich berichtete den Zeilern noch, Roßmann habe in seinem bürgerlichen Wappen einen Roßmenschen, auch Zentaur genannt, geführt. Das Wappen über der Inschrift der Kreuzigungsgruppe und was sie ihr bei ihrem Besuch erfahren hat, genügten der Frau als Beweis, dass ihr Vorfahre tatsächlich aus Zeil gekommen ist.

In den 70er Jahren kam noch ein anderer Spross der Pfersmann-Familie nach Zeil. Vor dem Rathaus entdeckte der damalige Bürgermeister Rudolf Winkler ein Ehepaar. Es schaute sich gerade den Pranger an. Nach einem Gespräch erfuhr das Stadtoberhaupt, dass es sich um das Ehepaar Ludwig Pfersmann-Eichtal aus Wien handelte. Bis zur Abschaffung der Adelstitel 1919 in Österreich, lautete der vollständige Name Ludwig Pfersmann, Freiherr Ritter von Eichthal.

Verbindungen zu Zeil

Er war auch ein Onkel des ehemaligen österreichischen Generalstabsoffiziers, Liederkomponisten und Schriftstellers Rudolf Pfersmann von Eichthal. Der damalige Besucher sah sich ebenfalls als Nachfahre des Georgius Pfersmann, der 1623 das Sühnemal am Kreuzfriedhof errichten ließ. Und noch etwas verbindet diese Pfersmann-Familie mit Zeil: Ludwig Pfersmann war in der Zeiler Patenstadt Römerstadt geboren und hatte dort sein ansehnliches Vermögen an die Tschechen verloren.

Unter dem Dach der Kreuzigungsgruppe verbirgt sich ein kaum wahrnehmbarer Text, welcher darauf hinweist, dass es der Ratsherr Caspar Schell und die zwei Familienmitglieder Jakob und Hans Pfersmann waren, welche das stattliche Sühnedenkmal auf Geheiß des verstoßenen Verwandten errichten ließen. Die Inschrift enthält das Wappen der beiden, das einen Reiter auf einem gezäumten Pferd zeigt.

Warum sich das Wappen unterscheidet

Das unterscheidet sich jedoch von dem Wappen des Stifters, welches unterhalb des gekreuzigten Jesus zu sehen ist. Hermann Mauer vermutete, dass es wohl gewichtige Gründe gewesen seien, dass die Zeiler Verwandten dem in Ungnade gefallenen Georgius ihr Familienwappen vorenthalten haben. Stattdessen musste der unbekannte Steinmetz einen Zentauren – halb Mensch, halb Pferd – einmeißeln. Möglicherweise wollte sich die angesehene Familie in Zeil dadurch von ihm absetzen.

Dieser Aspekt erklärt vielleicht auch, warum sich die Frau in den 30er Jahren als Roßmann ausgewiesen hat. Anders als der zu Adelswürden gekommene Ludwig Pfersmann, Freiherr Ritter von Eichthal. Seine Vorfahren haben oder brauchten ihre Abstammung wohl nicht zu verleugnen.

Der Bürgermeister sollte einschreiten

Die Bluttat von Pfersmann wirkte noch lange nach. Manche Bürger taten sich offenbar schwer, dem Mörder zu vergeben, den die Inschrift auch noch als "achtbar" bezeichnet. Der Volksmund nannte die Sühnekapelle geringschätzig "Schächer-Kapelle". Das empfand die Pfersmann-Familie als eine Schmähung. Sie verlangte vom Bürgermeister und Stadtrat öffentlich einzuschreiten.

So erging dann die Weisung, das "Kruzifixbild nicht mehr zu den Schächern zu nennen". Vermutlich wussten die Schandmäuler nicht, dass Lukas, die zusammen mit Jesus Gekreuzigten als Verbrecher bezeichnet hat. Als Teil einer Kreuzigungsgruppe werden sie jedoch in der christlichen Kunst oft Schächer genannt.

An der Stelle, an der heute das Zeiler Käppele steht, stand früher die kleine Maria-Hilf-Kapelle. Sie wurde damals verspottet. (Archivbild)
Foto: René Ruprecht | An der Stelle, an der heute das Zeiler Käppele steht, stand früher die kleine Maria-Hilf-Kapelle. Sie wurde damals verspottet. (Archivbild)

1748 spottete man in Zeil wieder über eine Kapelle. Diesmal handelte es sich um die kleine Maria-Hilf-Kapelle, die 1894 dem Bau des heutigen Käppele weichen musste. "Es ist ja nur ein Büttels-Cäpelein" höhnten einige Leute. Gestiftet hatte es nämlich der Zeiler Steuerschätzer Wernhammer. Und der war wohl auch nicht von jedermann gelitten.

Die Inschrift auf der Tafel

Eine Inschrift auf der steinernen Tafel gibt Aufschluss über den Stifter: "Gott dem Allmächtigen zu Lob, Christo Jesu heyligsten Leiden und Sterben zu ehrn hat mehrer Anreitzung christlicher Andacht der ehrn und achtbar Georgius Pfersmann, noch ledigs Stands, dieses Werck hieher verschafft im Jahr 1617 welches 1623 verfertigt und aufgericht worden. Gott verleihe ihm zeidlich und ewige Wolfahrt."
Quelle: Ludwig Leisentritt
 
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