
Der mutmaßliche Anschlag auf einen ICE auf der Werntalbahn am 6. Januar 2021 in Main-Spessart galt vielen als Beleg für eine Radikalisierung der Proteste sogenannter Querdenker gegen die Corona-Maßnahmen. Nun deutet sich an, dass das Berufungsverfahren zu dem Fall am Würzburger Landgericht zu einem raschen Ende kommen könnte.
Am Dienstag ließ der Vorsitzende Richter Thomas Trapp keinen Zweifel daran, dass er die Verhandlung gegen die beiden in erster Instanz wegen "gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr" zu Freiheitsstrafen verurteilten Angeklagten zeitnah beenden möchte.
Berufungsgericht will Verfahren zügig beenden
Der 40-jährige Mann aus Bad Bocklet und eine 63 Jahre alte Frau aus Bad Kissingen waren vom Amtsgericht Gemünden wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und Nötigung zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Schon am kommenden Dienstag könnte das Berufungsgericht sein Urteil sprechen.
Die beiden der Querdenker-Szene zugeordneten Angeklagten wirkten bei der Verhandlung vor dem Würzburger Landgericht gelassen. Es gab nur einen kurzen Moment, in dem der 40-Jährige, damals zentrale Figur als Organisator und Sprecher der Proteste, wieder in seine alte Rolle verfiel: Als er dem Gericht seine Beweggründe erklären sollte.
Angeklagter: Es ging um die Kinder und die Ausgrenzung in der Pandemie
Es sei ihm in erster Linie um seine Kinder gegangen, die Maskenpflicht und ihre Ausgrenzung: "Das sind Sachen, die aufgearbeitet werden müssen, es wurden viele Fehler bei den Kindern gemacht", sagte er. Dafür würde er weiter auf die Straße gehen.
Auf Nachfrage des Richters erklärte der 40-Jährige, er habe sich aus der Politik zurückgezogen. Die letzte Demo habe er im Mai 2023 – es war die insgesamt zweihundertste – organisiert. Ein weiteres Mal wurde der Angeklagte leidenschaftlich, als ihn das Gericht mit einem Artikel der linksalternativen Tageszeitung "taz" aus dem März 2021 konfrontierte. Eine Reporterin hatte den Familienvater in seinem Heimatort im Landkreis Bad Kissingen aufgespürt. Aus seiner Stellungnahme sei ein manipulativer Bericht verfasst worden, sagt der 40-Jährige.
Mit dem lange erwarteten Gutachten, das Marco Brey, Professor für spurgeführte Verkehrssysteme aus Braunschweig, nur vor Gericht vorstellte, hat die Anklage deutlich an Wucht eingebüßt. Der Führer des Hochgeschwindigkeitszuges hatte bei dem Vorfall die höchste Abbremsstufe mit zusätzlicher Sandstreuung eingeleitet. Dennoch seien von den an der Strecke aufgespannten 1,50 Meter großen Plakatwänden mit einem Gewicht von fünf Kilo keine größeren Schäden zu erwarten gewesen, sagt der Sachverständige. Für stehende Fahrgäste, vor allem Kleinkinder und Ältere, habe im ICE damals dagegen ein "hohes Sturzrisiko" bestanden.
Gutachter: Mehr als zwei Täter wahrscheinlich
Breys Gutachten bestätigt zudem eine Vermutung, die die Ermittler der Soko "Werntal" von Beginn an gehegt hatten: Es muss mehr als zwei Täter geben. "Jemand wusste, was er tut, er muss sich vorbereitet haben." Die Akteure hatten kaum mehr als eine Viertelstunde, um die fünf Ständer akkurat zwischen den Gleisen zu platzieren. Das Gericht geht von mindestens drei, wahrscheinlicher vier Personen aus.