Die Staatsbad Philharmonie Bad Kissingen spielt so viel wie kaum ein anderes Orchester und verdient dabei so wenig wie kaum ein anderes. Sie hat sogar einen Eintrag im Guiness Buch der Rekorde – für mehr als 700 Konzerte in einer Spielzeit. Das Missverhältnis wollen die Musikerinnen und Musiker nicht mehr hinnehmen und machen mit diversen Aktionen auf ihre Lage aufmerksam. Beim Festakt zur Aufnahme Bad Kissingens in die Weltkulturerbe-Liste der Unesco Ende Juli etwa trug Leiter Burghard Tölke auf der Bühne demonstrativ eine gelbe Streikweste, was für einiges mediales Aufsehen sorgte. Warum die Situation so festgefahren ist, erläutert Tölke im Interview. Der 39-Jährige ist gleichzeitig Dirigent, Konzertmeister, Intendant, Abteilungsleiter und "Mädchen für alles".
Burghard Tölke: Das liegt zum einen daran, dass niemand der Verantwortlichen bei der Stadt und der Staatsbad GmbH einen Bezug zu dem hat, was unsere Arbeit bedeutet. Manche waren zehn, elf Jahre nicht mehr im Konzert und sehen gar nicht, was da gewachsen ist. Zum anderen hat es historische Gründe.
Tölke: Die Geschichte reicht zurück ins Jahr 1836, mit erstaunlichen Blütezeiten und Besetzungen von bis zu 60 Musikern. Nach dem Krieg aber hat man umgestellt auf eine Bigband-Formation, die auch Klassik spielte. Dafür holte man Musiker, die eine Art Amateurstatus bekamen.
Tölke: Man hat die Besetzung reduziert und Leute eingestellt, die oft keine Musikausbildung hatten. Und die mussten dann drei, vier Instrumente spielen. Generell hat man sich am Tarifvertrag für Kurkapellen orientiert. Der sieht vor, dass man viele Konzerte spielt und nie probt.
Tölke: Genau. Die Verträge garantierten ein geringes Grundeinkommen. Für das Spielen möglichst vieler Instrumente gab es Geld extra. Das hat dazu geführt, dass die Musiker damals, in den 70er, 80er, 90er Jahren, alles getan haben, damit es möglichst viele Instrumenten-Wechsel gab, damit sie ihre Zulagen bekamen. Sinnvoll ist das nicht, ich kenne nur sehr wenige Menschen, die mehr als ein Instrument wirklich professionell spielen können.
Tölke: Als ich 2018 kam, habe ich gesagt, wir bekennen uns zu unserer Nische und bauen das Orchester zurück auf seine Ursprünge, nämlich auf das Salonorchester in großer Berliner Besetzung – damit sind wir weltweit das einzige Berufsorchester dieser Besetzung. Das hieß auch, dass kein Musiker mehrere Instrumente spielt. Unsere Mitglieder sind bestens ausgebildet, oft mit Master-Abschlüssen. Manche haben Wettbewerbe gewonnen, das Level ist inzwischen sehr, sehr hoch.
Tölke: Richtig. Kollegen mit Verträgen von vor 2009 verloren ihre Zulagen. Denen hat man aber versprochen, ihre Verträge optimal anzupassen. Aber wir müssen viele andere Aufgaben ausüben, etwa administrative Tätigkeiten oder Räumdienste, alles ohne Zulagen. Die Situation ist unübersichtlich, über die Jahre gab es immer wieder neue Formen von Anstellung und von Verträgen – mit Orientierung am Tarif, aber auch frei verhandelt. Ich habe damals gesagt, versuchen wir es mal ohne unsere Gewerkschaft, die Deutsche Orchestervereinigung, vielleicht schaffen wir das.
Tölke: Es gab zunächst viel Wohlwollen. Um den Makel des "Kurorchesters" loszuwerden, wurden wir in "Staatsbad Philharmonie" umbenannt. 2009 hatte es die letzte Anpassung im Tarifvertrag für Kurkapellen gegeben. Seither hat sich nichts getan, weil der bayerische Heilbäderverband aus dem deutschen Verband ausgestiegen ist. Seither schieben sich die Gesellschafter, die Stadt sowie der Freistaat den Schwarzen Peter zu, wenn es um Steigerungen geht. Außerdem gilt für den Großteil der Musiker inzwischen gar kein Tarifvertrag mehr.
Tölke: Eigentlich waren wir auf einem guten Weg. So wurde die Sechs-Tage-Woche in eine Fünf-Tage-Woche umgewandelt. Aber dann hieß es, die Neueinstellungen müssen 40 statt 30 Stunden arbeiten. Das ist höchst unüblich für ein Orchester. Wir spielen 13 Konzerte pro Woche, was natürlich auf die Knochen geht. Wir können danach auch nicht einfach verschwinden, weil wir uns immer dem Kontakt mit dem Publikum stellen. Für manche Gäste sind wir regelrecht Lebensinhalt. Dafür fehlt bei der Stadt wie bei der Staatsbad GmbH jedes Verständnis.
Tölke: Es sind viele Sachen zusammengekommen. Es wurde gesagt, wir hätten nie in Kurzarbeit gehen müssen. Das stimmt nicht, wir waren die ersten, die beim ersten Lockdown in Kurzarbeit gingen. Da hätte man ja auch sagen können: Proben ist auch wichtig. In Wahrheit wollte der damalige Oberbürgermeister Kay Blankenburg zu Beginn der Pandemie dem gesamten Orchester betriebsbedingt kündigen, dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen, aber das hat uns in die Not gebracht, quasi gezwungenermaßen die Kurzarbeit anzunehmen. Dazu haben wir noch im Impfzentrum gearbeitet, übrigens ohne Feiertagszuschläge. Trotzdem haben wir noch unter widrigsten Bedingungen Livestreams gemacht.
Tölke: Wir wollen mit Hilfe der Orchestervereinigung einen Haustarifvertrag erwirken. Mit besserer Bezahlung, Konzert-Reduzierung oder zumindest einer Perspektive. Sonst wird es schwer, gute Leute zu halten. Wenn unser Zweiter Geiger zum Beispiel ans Landestheater Detmold gehen würde, hätte er viel weniger Arbeit, weniger Stress, dafür 1000 Euro im Monat mehr.
Tölke: Unser Durchschnittslohn liegt bei 2900 Euro brutto. Wir verdienen 30 Prozent weniger als ein D-Orchester, also die niedrigste Vergütungsgruppe überhaupt für Berufsorchester. Leistungszulagen oder Instrumentengeld gibt es bei uns sowieso nicht.
Tölke: Wir sprechen mit der Orchestervereinigung. Ein paar Stadträte und der eine oder andere Bundestagsabgeordnete haben Kontakt mit uns aufgenommen. Stadt und Kurdirektorin haben verbesserte Angebote versprochen, sind aber nicht auf uns zugegangen. Aber das Problem ist: Sie wollen partout nicht mit der Gewerkschaft sprechen. Der Oberbürgermeister hat mich dringend gemahnt, die Aktion beim Festakt zu unterlassen. Dort wurde ja auch eine Komposition von mir uraufgeführt. Aber ich habe für meine eigene Komposition, in deren Partitur das Anlegen der Streikweste vermerkt ist, die Kunstfreiheit in Anspruch genommen, und für das Streiken die Koalitionsfreiheit, also das Recht, sich mit Gewerkschaften für Verbesserungen der eigenen Situation einzusetzen.
Tölke: Ich habe größten Respekt vor Musikschul-Lehrkräften. Das ist eine der härtesten Aufgaben, die man machen kann. In Deutschland werden sie weit schlechter bezahlt als in anderen Ländern. Dieser Vergleich des Oberbürgermeisters zeigt einfach eine gewisse Ahnungslosigkeit. Kein Musikschul-Lehrer würde für unseren Stundenlohn arbeiten. Für Musikschul-Lehrkräfte gilt der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD), damit bekommen sie regelmäßige Lohnerhöhungen, während die Orchestermitglieder dies nie erhalten, ebenso wenig wie Weihnachts- und Urlaubsgeld.
Eigene Gehaltsverhandlungen führt man persönlich und vertraulich. Gehen die Vorstellungen auseinander, kann man dies akzeptieren oder die Konsequenzen ziehen und sich einen anderen Arbeitgeber suchen. Man hat die Wahl.
Auf der anderen Seite könnte man sein mediales Verhalten so deuten, dass das Arbeitsverhältnis zerrüttet ist und es dem Arbeitgeber nicht weiter zugemutet werden kann, dieses weiter aufrecht zu halten.
Bad Kissingen kann sich lt einem Bericht keine gärtnerischen Fachkräfte leisten. Die Stadt und ihre Arbeitgeber zahlen schon immer niedrige Löhne, in der Gastro im Gesundheitswesen usw.Jetzt dieser Bericht über die Billiglöhne der Musiker.
Wer wundert sich jetzt noch, dass BK keine attraktive Stadt für junge Menschen ist, siehe Ärztemangel! Man sollte mal Geld in die Hand nehmen um junge Fachkräfte anzuwerben. Warum sollten Fachkräfte ihren gut bezahlten Job in z. b. Würzburg aufgeben?
Ich sehe nur eine Lösung, man sollte eine für beide Seiten gute und annehmbare Lösung schaffen und das Orchester ist es ja sicherlich wert. Wie ich schon einmal hier geschrieben habe, sind Dr. Vogel und Frau Thormann sicherlich voll in der Lage hier eine für beide Seiten annehmbare Lösung zu finden.
Die provokative Aktion mit der Streikweste von Herr Tölke war beschämend und OB Dr. Vogel dann noch eine gewisse Ahnungslosigkeit vorzuwerfen, ist schon sehr befremdlich. Allerdings muss Staatsbad und Rathaus sich auch überlegen, ob sie mit diesem Leiter weitere Wege gehen wollen und diese überhaupt möglich sind.
Sicher nicht schlechter!
Die meinten sicherlich OB, richtig? Sie können die Gehälter eines OB im Internet oder über bayerisch Besoldung von Bürgermeistern/innen offen NACHLESEN. Sie werden abhängig von der Einwohnerzahl bezahlt, aber das wissen Sie doch schon lange, oder❓❓❓
Ich gehe mal davon aus, er hat es gelesen und es war ihm bewußt. Warum hat er dann die Stelle angenommen?
Leute, bleibt von dieser Kurstadt weg. Es gibt bessere Kurorte in Deutschland.
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Stadt und Kurverwaltung müssen endlich in die Pötte kommen und das Gehalt der Musiker zeitgemäß anpassen .
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Sonst drucksen sie ja auch nicht solange herum .
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Eigentlich schlimm, wie man mit solchen Menschen umgeht .
Wohin soll es gehen?