Es dürfte für viele Menschen in Deutschland ein kleiner oder auch größerer Traum sein: Jeden Morgen am Strand aufwachen, das Meeresrauschen in den Ohren. Statt unter die Dusche zur Erfrischung in den Ozean springen. Das Leben genießen, im Hier und Jetzt. Für die Wassmers, das sind Sandra und Daniel mit ihren drei und sieben Jahre alten Töchtern, ist dieser Traum bald gelebte Realität.
Die Familie aus dem Landkreis Bad Kissingen sitzt auf gepackten Koffern. Ende August geht der Flieger, dann beginnt ihr neues Leben. Fernab von Bayern, Deutschland, sogar von Europa: in Madagaskar, dem Inselstaat vor der afrikanischen Südostküste im Indischen Ozean, fast 8000 Kilometer entfernt von Aschach.
Auf ihren Reisen merkten die Wassmers, dass sie nicht zurück nach Deutschland wollen
Dort, im Ortsteil von Bad Bocklet, besitzen die Wassmers seit einigen Jahren schon ein Haus. Der Plan war damals klar für den heute 34-Jährigen und seine 36-jährige Ehefrau: sich ein Leben aufbauen, wie man es in Deutschland gemeinhin als normal bezeichnen würde. Hochzeit, Haus und Kinder, sichere Jobs, in der Heimat zusammen alt werden, richtig schön spießbürgerlich. Es kam anders.
Die große Veränderung, erzählt Daniel Wassmer, brachte für das Paar die Geburt seiner älteren Tochter. "Wir haben es nicht so richtig geschafft, Familie und Beruf zu vereinen. Dann sind wir das erste Mal auf Reisen gegangen, waren mit der Großen drei Monate in Thailand unterwegs, als sie drei Jahre alt war." Später waren die Wassmers, inzwischen zu viert, noch einmal für drei Monate in Mexiko. "Da haben wir gemerkt, dass wir nicht mehr zurück nach Deutschland wollen. Wir hatten das Gefühl, angekommen zu sein", so Vater Daniel.
"Die Einstellung zum Leben, die Landesenergie war dort einfach anders", so Sandra Wassmer. Sie habe in Deutschland auch immer mehr gemerkt, dass der Winter sie in ein Loch fallen lässt. "Kälte mochte ich noch nie. Wärme, Sonne, Meer, das ist doch viel schöner", sagt sie lachend. In Mexiko habe die Familie schließlich den Entschluss gefasst, aus Deutschland auszuwandern.
Nur wie funktioniert das überhaupt, noch dazu mit einer schulpflichtigen Tochter? "Da haben wir verschiedene Wege ausprobiert", erzählt Daniel Wassmer. Wenn man länger als ein halbes Jahr nicht in Bayern sei, entfalle im Freistaat die Schulpflicht. "Deshalb haben wir versucht, erst einmal für mehr als sechs Monate zu reisen. Aber die Schule hat da nicht so mitgespielt. Also haben wir entschieden, uns einfach abzumelden und loszugehen." Dafür müsse man zwar im Vorfeld einige Dinge regeln, wahnsinnig kompliziert sei es allerdings nicht.
Vom Projekt "Paradisa" erhofft die Familie sich eine neue Heimat in Madagaskar
Für fast ein Jahr ist die Familie zuletzt durch Europa gereist. Den Winter verbrachten die Wassmers auf der Insel La Gomera. "Aber wir hatten noch nirgends das Gefühl, auch dort bleiben zu wollen", so Sandra Wassmer. Vom Inselstaat Madagaskar erhoffen sie sich jetzt genau das.
Über Soziale Netzwerke sind die Wassmers auf das Projekt "Paradisa" gestoßen. "Da wird gerade von Deutschen, die schon einige Jahre dort sind, ein Eco-Village aufgezogen", erzählt Sandra Wassmer. "Wir haben uns mit den Menschen unterhalten, sie sind auch viel gereist und dort jetzt angekommen. Genau das suchen wir." Über ihre Internetseite bieten die "Paradisa"-Betreiber an, sich als Shareholder in das Projekt einzukaufen, quasi im Tausch gegen ein Grundstück im Dorf, auf dem man sich sein Haus errichten kann. Die Preise liegen zwischen 15.000 und 60.000 Euro, je nach Variante.
Sandra und Daniel Wassmer finanzieren das über Mieteinnahmen für ihr Haus in Aschach, zudem sind beide im Online-Business aktiv, arbeiten also mobil. In der Dorfgemeinschaft könne man zudem sein Wissen und seine Leidenschaften einbringen, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
In Madagaskar gibt es keine Schulpflicht - Kinder sollen aus innerer Motivation lernen
Für Kinder gibt es bei "Paradisa" die sogenannte "Beach Academy", in der nach dem Modell des freien und natürlichen Lernens geschult wird. Vom deutschen Schulsystem sind die jungen Eltern nicht überzeugt. "Wir glauben einfach, dass es eine bessere Art gibt, den Kindern Wissen anzueignen", sagt Daniel Wassmer. "Wenn Kinder unter Kindern sind, brauchen sie weniger Betreuung als hier. Sie lernen im Prinzip das, worauf sie Lust haben. Wenn sie Lust auf das Lesen haben, sorgen wir dafür, dass sie alles bekommen, um es zu lernen. Wir unterstützen die Kinder, und wenn die intrinsische Motivation so stark ist, dann geht es viel schneller als im deutschen Schulsystem. Und es bleibt auch mehr hängen." Eine Schulpflicht gibt es in Madagaskar nicht.
"Wir sind auf der Suche nach einer Gemeinschaft, wo die Kinder rausgehen und spielen können, ohne dass man auf irgendwelche Gefahren aufpassen muss. Es macht alles so viel einfacher, wenn andere Menschen um einen herum sind", ergänzt Sandra Wassmer. So sei es für die Menschheit eigentlich ja auch gedacht: "Man lebt im Clan und nicht jeder für sich isoliert."
Sie habe früher in der Erziehungsberatung gearbeitet, erzählt die 36-Jährige. "Dabei habe ich gemerkt, dass es keiner so richtig auf die Reihe kriegt, aber dass es niemand zugeben möchte. Nach außen muss es so aussehen, als ob man alles locker hinbekommt. So ist es ja nicht. Die meisten sind echt verzweifelt und überfordert." Auch deshalb haben die Wassmers entschieden, einen anderen Weg zu gehen.
Einen Weg, für den es Mut braucht. Oder? "Für mich ist es eigentlich gar nicht so mutig", sagt Sandra Wassmer. "Weil ich mich hier einfach nicht mehr heimisch fühle. Und dann ist loszugehen und sich das Leben schön zu machen, der logische Schritt." Einen Notfallplan gebe es außerdem immer, ergänzt ihr Partner. "In Deutschland wird man aufgefangen. Wir haben beide eine Berufsausbildung, ich als Bautechniker, Sandra als Ergotherapeutin. Es gibt genug Sachen, die das System hergibt, hier auch wieder anzukommen, wenn man das möchte", so Daniel Wassmer.
Den größten Mut brauche es für den ersten Schritt. "Man muss sich aufraffen, aus der Trägheit aufbrechen", sagt der 34-Jährige. "Wenn man losgegangen ist, ist es gar nicht mehr schwer. Und bei uns war das Gefühl, jetzt losgehen zu müssen, viel stärker als die Sorge davor, dass etwas schiefgeht. Irgendwie geht es immer. Wir sind sehr klar in unseren Vorstellungen. Wir wissen, was wir wollen und was nicht."
Die Wassmers versprechen sich mehr vom Leben als auf die Rente hinzuarbeiten
Die Lebensweise stößt im Familien- und Freundeskreis auf unterschiedliche Reaktionen. "Meine Eltern sind wegen der Entfernung zu ihren Enkelkindern natürlich nicht so glücklich", sagt Daniel Wassmer. Von Freunden und Bekannten gebe es viel Zuspruch. "Die meisten sind zwar traurig, dass wir gehen, aber finden den Mut toll, dass wir in das investieren, was wir uns wünschen."
Warum das nicht jeder so handhabt? Wohl wegen des Sicherheitsdenkens, glauben die Wassmers. "Aber das darf einen nicht von dem abhalten, was einem im Leben wichtig ist. Und Sicherheit kann man in allem finden", so Daniel Wassmer. "Auf die Rente hinzuarbeiten, um dann irgendwann frei leben zu können, ist für mich nicht das Leben."
vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre Anregung.
Ich kann Ihnen zustimmen: Man kann "paradisa" durchaus kritisch betrachten. Aus meiner Sicht ist der Artikel aber keineswegs werblich. Er beschreibt in aller Kürze, was das Geschäftsmodell ist (Land für Anteile) und, dass dort auf eine andere Art der Erziehung gesetzt wird - zu der es sicher unterschiedliche Meinungen gibt und geben darf.
Natürlich hätte man das weiter ausführen und näher auf das Projekt und gewisse Ansichten eingehen können. Allerdings hätte das aus meiner Sicht zu weit vom Kern des Artikels weggeführt: Nämlich der Geschichte von einer Familie, die einen außergewöhnlichen Lebensweg wählt. Und eben nicht das Projekt "paradisa" als solches.
Freundliche Grüße,
Simon Snaschel
Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass "paradisa" im Impressum "Paradisa 72201 Ebène Mauritius" als Firmensitz angibt. Das stinkt doch geradezu nach Briefkastenfirma und Dummenfang.
Googeln Sie doch mal nach Ebène City und Sie werden sich wundern.
das Impressum ist mir aufgefallen, schon bei der Recherche. Ich kann mich in dieser Hinsicht jedoch nur wiederholen: "paradisa" ist nicht Thema des Textes.
Man hätte den Anbieter im Prinzip überhaupt nicht erwähnen müssen. Nur genau hier hielt ich es für wichtig, auch mit Verlinkung auf dessen Internetseite auf das Geschäftsmodell hinzuweisen. Das soll keineswegs werben, sondern die Transparenz zu schaffen, mit der sich jede und jeder selbst ein Bild machen kann.
Die Ansichten im Detail zu hinterfragen oder die (Nicht-)Existenz der Firma zu prüfen, hätte viel zu weit vom Kern des Artikels weggeführt und ist auch nicht Thema der Lokalredaktion in Bad Kissingen - es sei denn, wir expandieren nach Madagaskar
Ich finde die Diskussion spannend und danke Ihnen dafür. Sie dürfen mir glauben, dass wir diese sowohl im Vorfeld als auch in der Nachbetrachtung des Artikels ebenfalls geführt haben.
Viele Grüße,
Simon Snaschel