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"Er hat sich an mich gedrückt und ist eingeschlafen": Wie es dem Rhöner Wolfswelpen in der neuen Heimat geht
Seit kurzem wird Nuka im Wildpark Lüneburger Heide von Tanja Askani aufgepäppelt. Die Wolfsexpertin über ihre ersten Erfahrungen mit dem Rhöner Findel-Wolf.
Haben nach wenigen Tagen offensichtlich schon ein inniges Verhältnis: der Rhöner Wolfswelpe Nuka mit seiner Ersatzmama Tanja Askani im Wildpark Lüneburger Heide.
Foto: Liba Radová | Haben nach wenigen Tagen offensichtlich schon ein inniges Verhältnis: der Rhöner Wolfswelpe Nuka mit seiner Ersatzmama Tanja Askani im Wildpark Lüneburger Heide.
Thomas Pfeuffer
 |  aktualisiert: 11.07.2024 02:41 Uhr

Am 10. Juni wurde in der Rhön ein verlassener, ausgehungerter Wolfswelpe gefunden. Nach einem Aufenthalt bei Wildtierhelferin Luisa Ruppert in Bad Kissingen und einem missglückten Auswilderungsversuch kam er in den Wildpark Lüneburger Heide, wo sich Tanja Askani seiner annahm. Die Wolfsexpertin zieht dort seit 1992 Wolfswelpen groß, arbeitet täglich auch mit erwachsenen Tieren und hat mehrere Bücher über Wölfe geschrieben. Im Interview beschreibt sie ihre ersten Erfahrungen mit Nuka.

Frage: Frau Askani, wie waren die ersten Stunden mit dem kleinen Rhöner Wolf?

Tanja Askani: Der Kleine ist völlig verängstigt angekommen, was für so einen kleinen Welpen ohne Familienanschluss normal ist. In dem Alter ist seine Familie – Eltern und Geschwister – lebenswichtig für einen Wolfswelpen. Sicherheit, körperlicher sowie sozialer Kontakt spielt bei Wolfswelpen die gleiche Rolle wie bei menschlichen Kindern. Der kleine Rhöner Wolf war emotional völlig ausgehungert. Nach drei Stunden nahm er seinen ganzen Mut zusammen und versuchte, einen ersten Kontakt mit mir aufzunehmen. Ich saß in seiner Nähe auf dem Boden. Er hat erstaunlich schnell verstanden, dass er bei mir findet, was für ihn jetzt so wichtig ist: Nähe, Sicherheit und Nahrung. Die Flasche mit Aufzuchtmilch hat er gierig ausgetrunken, hat sich danach an mich angedrückt und ist eingeschlafen.

Wie war sein Zustand, als er bei Ihnen eingetroffen ist?

Askani: Er ist am 18. Juni, angekommen, mit seiner Geschichte, die ihn schwer traumatisiert hat. Er war ein verzweifeltes, einsames, ängstliches Wolfskind, als er am 10. Juni gefunden wurde, ausgetrocknet, ausgehungert, 1900 Gramm leicht. Er hat sein Gewicht jetzt nahezu verdoppelt. Auch der Versuch der Rückführung, wo er abgesichert in einem Käfig in der Nähe des Fundortes die Nacht allein verbrachte, muss für den Kleinen schlimm gewesen sein. Wahrscheinlich hat er die ganze Nacht einen Ausweg gesucht, mit dem Ergebnis, dass er sich buchstäblich eine blutige Nase geholt hat. Seine Wunde wird behandelt und heilt zunehmend.

Nuka liebt es, im Gras zu spielen.
Foto: Tanja Askani | Nuka liebt es, im Gras zu spielen.
Was macht er so den ganzen Tag?

Askani: Was alle Tierkinder in seinem Alter tun: fressen, spielen, schlafen, in kleinen Schritten die Umgebung erkunden, sich langsam an einen neuen Alltag gewöhnen. Nach Möglichkeit ist immer jemand von seiner neuen Menschenfamilie in der Nähe. Das ist wie bei einer wilden Wolfsfamilie, wo anfänglich die Mutter stets in der Nähe bleibt. Wenn er sich sicher fühlt, spielt er wie jeder Welpe. Inzwischen erkennt er meine Familie sowie unsere Hunde und bindet sie in seine Spiele ein. Er ist in seinem neuen Rudel angekommen. Die ersten Tage hat er alle drei Stunden getrunken. Vermutlich spielte dabei Nachholbedarf eine Rolle. Inzwischen sind die Pausen zwischen den Milchmahlzeiten länger. Zusätzlich biete ich ihm leichtverdauliches Rohfleisch an. Aktuell mag er am liebsten Hähnchenfleisch.

Wie reagiert er auf äußere Einflüsse?

Askani: Er ist sehr vorsichtig und hellhörig fremden Geräuschen und Reizen gegenüber und verschwindet sofort, wenn ihm etwas nicht geheuer erscheint. Das ist ein ganz natürliches Verhalten. In freier Wildbahn wäre so ein kleiner Welpe für Fuchs, Habicht oder Uhu leichte Beute. Er lernt aber jeden Tag dazu und wird in kleinen Schritten selbstbewusster. Er liebt hohes Gras, in dem man sich gut wälzen kann.

Was sind die Schwierigkeiten, einen so jungen Wolf aufzuziehen?

Askani: Wolfswelpen wachsen und entwickeln sich in rasender Geschwindigkeit. Sie sind kreativ, unternehmungslustig und mit nadelspitzen Milchzähnchen ausgestattet. Sicher ist eine Portion Erfahrung, Empathie, sind Kenntnisse nötig, um grobe und schlimmstenfalls irreparable Aufzuchtsfehler zu vermeiden. Wolfswelpen sind sehr viel feinsinniger als Hundewelpen. Im Gegensatz zu einem Hund wird ein Wolf einen menschlichen Fehler nie vergessen.

Was machen Sie da konkret?

Askani: Wolfswelpen sind der Mittelpunkt in Wolfsfamilien, um deren Wohlergehen sich alles dreht. Bei mir ist es nicht anders. Ich lasse ihnen so viel Freiheit wie möglich, ich erziehe nicht, ich bin einfach da, ich beschütze sie und das spüren sie. Ich versuche, sie zu lesen, zu verstehen. Ich füttere sie, spiele mit ihnen, ermutige sie, wenn sie sich unsicher fühlen. Ich versuche nicht, mich wie ein Wolf zu verhalten. Auch kleine Wölfe sind nicht dumm und wissen genau, dass ich kein Wolf bin. Ich bin ihre Ersatzmama, die ihr Vertrauen niemals missbrauchen darf.

Wie viele Wolfswelpen haben Sie schon aufgepäppelt?

Askani: Viele in Gefangenschaft geborene Welpen sind schon als Notfälle bei mir gelandet und mit Nuka nun auch drei wild geborene Wölfchen, die nicht mehr zurückgeführt werden konnten.

Wie geht es nun weiter?

Askani: In den kommenden drei Monaten wird er auf sein zukünftiges Leben mit Menschen vorbereitet. Er muss sich an viele ihm noch fremden Geräusche und Gegebenheiten gewöhnen – an alles, was ihn später im Alltag begleiten wird – an Menschenstimmen, Hundegebell, Autogeräusche oder den Krach von Motorsägen. Wenn er im Welpenalter lernt, dass all diese Reize nicht gefährlich sind, wird er damit als Erwachsener souverän umgehen können. Dann warten auf ihn noch Impfungen. Sobald seine Immunisierung abgeschlossen ist, darf er in sein neues Zuhause auf Lebenszeit reisen.

Nuka erkundet neugierig die neue Umgebung.
Foto: Tanja Askani | Nuka erkundet neugierig die neue Umgebung.
Prägen Sie ihn da nicht zu sehr auf Ihre Person?

Askani: Die Prägungsphase ist bei Wölfen mit vier Wochen abgeschlossen. Nuka wird seine echte Wolfsfamilie nie vergessen, sie wird nur an Bedeutung verlieren – so, wie auch ich als seine Ersatzmama. Auch in der Natur verlassen heranwachsende Wolfswelpen ihre Familie, um ein eigenes Revier und einen Partner fürs Leben zu finden. "Muttersöhnchen, 35, wohnt noch bei der Mutter" – sowas gibt es bei Wölfen nicht. Wichtig ist aber, ihm die Nähe und den körperlichen Kontakt mit Menschen als angenehm zu vermitteln, damit er später ohne Stress versorgt und betreut werden kann.

Wo soll Nuka später leben?

Askani: In kommt in erfahrene Hände einer Wolfauffangstation in Belgien.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie so ein Tier dann abgeben?

Askani: Natürlich wachsen alle Wölfchen, die ich aufziehe, mir ans Herz! Und natürlich habe ich ein lachendes und ein weinendes Auge bei einer Trennung: Schön ist, ein Zuhause für einen Wolf gefunden zu haben, der nicht bei mir bleiben kann. Und schrecklich ist es, loslassen zu müssen.

 
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Kommentare
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  • franz-peter potratzki
    Wie ich schon in den ersten anderen Berichten schrieb: "Toll, dass es Menschen wie Luisa Ruppert und jetzt wie Tanja Askani gibt. Dort sind sie perfekt aufgehoben und beide wusßten und wissen , was getan werden muss.
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  • Hans Schlunk
    Ich finde es auch toll das der kleine welpe gut geht und sich gut mit den menschen versteht doch einerseits gut das man ihn gerettet hat und einerseits gefährlich das heißt solange das er klein ist auch grosse wölfe sind keine schlechte Tiere es sind halt raubtiere wo man auch Rücksicht nehmen sollte auch wenn er Nutznießer gelegentlich reist.
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  • Thomas Hemmerich
    Es ist schön, auch mal abseits der ganzen negativen Berichterstattung, die jeden Tag auf uns einprasselt zu lesen, es ist gut zu wissen, dass es soche Menschen wie Fr. Askani gibt und es ist beruhigend zu lesen,dass es dem kleinen Welpen gut geht.

    Auch wenn er ein Wolf ist (ich meine das nicht negativ) und die Diskussion um ihn kein Ende nehmen, er ist ein Lebewesen, dass das selbe Recht hat zu leben, wie jedes andere Tier oder auch der Mensch. Wir als Menschen haben schon soviel Natur zerstört, so viel Lebensraum zerstört, aber wiederum stört sich keiner daran. Nimmt sich ein Tier etwas, was es zum Leben braucht, soll es verjagt, gejagt oder getötet werden. Auch wenn es manchmal schwierig ist, wir müssen die Natur, die Lebewesen wieder mehr schätzen und uns etwas zurücknehmen.
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