Es war an einem Freitag, dem 7. September 2001. Uwe Loos, der Chef von FAG Kugelfischer, war auf dem Heimweg nach Frankfurt, als das Autotelefon läutete. Anrufer war Jürgen Geißinger, der Geschäftsführer des Familienunternehmens INA (heute Schaeffler) aus Herzogenaurach. Er hielt sich nicht lange mit Freundlichkeiten auf, sondern kündigte an, "am Montag haben sie ein Übernahmeangebot auf dem Tisch."
Dass damit eine millionenteure Schlacht beginnen sollte, wollte man in Schweinfurt zunächst nicht glauben. INA, das Unternehmen der Familie Schaeffler, blühte eher im Verborgenen. Allzu viel Ehrgeiz traute man der Witwe des Unternehmensgründers, Maria-Elisabeth Schaeffler, nicht zu. Aufgefallen war die attraktive, stets perfekt gestylte damals 60-Jährige eher durch Auftritte in Salzburg, Bayreuth oder Kitzbühel.
Elf Euro pro Aktie standen in keinem Verhältnis zur Ertragskraft
Elf Euro pro Aktie bot INA den Anteilseignern, befristet bis zum 22. Oktober. Ein verlockender Preis, brächte er doch auf einen Schlag rund 50 Prozent Rendite. Damit wollte sich Loos nicht zufriedengeben, da der aktuelle Kurs vorübergehend, wie man in Schweinfurt annahm, auf einem Tiefstand lag. "Das Angebot ist völlig unzureichend und steht in keinem Verhältnis zur Ertragskraft", schimpfte er in einer Mitarbeiterversammlung und beklagte sich über das rüde Gebaren Geißingers. 20 Euro nannte Loos als realistisch.
Bis dahin war INA für die Öffentlichkeit ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Mit dem Übernahmeangebot war dies vorbei. INA wurde als offene Handelsgesellschaft geführt. In den zurückliegenden Jahren war das Unternehmen mit durchschnittlich 14 Prozent besser als der Markt gewachsen. Der Umsatz lag mit 34 000 Mitarbeitern (20 000 in Deutschland) bei 4,2 Milliarden Euro, also fast doppelt so hoch wie FAG. Der Auslandsanteil machte 60 Prozent (FAG 77) aus.
Über die Hälfte des Umsatzes wurde mit der Automobilindustrie erzielt. Bei Nadellagern galt INA als Weltmarktführer. Dank schlanker Kostenstrukturen verdiente INA vergleichsweise sehr gut. Konkrete Zahlen nannte das Familienunternehmen jedoch nicht. Mit der Übernahme würde INA, sprich Schaeffler, zur Nummer 3 in der Wälzlagerbranche weltweit aufrücken. Eine Zerschlagung der FAG werde es nicht geben, versprach Geißinger. Man werde das Unternehmen jedoch von der Börse nehmen.
Loos sah die Sicherung der Eigenständigkeit nur über einen "Weißen Ritter", also einen Partner aus der Branche, NTN oder Timken oder einen Kapitalinvestor. Dazu muss man wissen, dass noch Monate zuvor FAG und NTN an einer Allianz geschmiedet hatten. Ohne Erfolg.
Engagement im Osten wurde für FAG zum Desaster
Dass die Familien Schäfer, die FAG Kugelfischer 1885 gegründet hatten, nicht als Retter zur Verfügung standen, lag ein knappes Jahrzehnt zurück. Nach der Wende hatte man acht ostdeutsche Wälzlagerunternehmen (DKFL) von der Treuhand günstig übernommen. Dass sie ziemlich marode waren, war eines der Probleme. Das weitaus schwerer wiegende war der Zusammenbruch des gesamten Ostblocks mit seinen Märkten.
Bei Kugelfischer liefen immense Schulden auf. "Die DKFL wurde zum 420-Millionen-Grab" hieß es 1992 im Schweinfurter Tagblatt. Die Arbeitslosenzahlen wuchsen rapide. Zeitweise wurden im Stadtgebiet Schweinfurts eine Quote von über 20 Prozent erreicht, weil die gesamte Metallbranche schwächelte.
Massive Proteste mit über 15 000 Teilnehmern waren die Folge. Über 40 Gewerkschafter machten sich auf einen "Marsch nach Bonn".
Der persönlich haftende Gesellschafter Fritz Schäfer stand nach eigenen Angaben vor dem Ruin. Die Hausbanken zogen die Reißleine, setzten den als Sanierer bekannten wie gefürchteten Kajo Neukirchen als Aufsichtsratschef durch. Innerhalb kürzester Zeit brachte das neue Management um Peter-Jürgen Kreher FAG wieder in die Gewinnzone zurück.
Als nun das Übernahmeangebot kam, war Fritz Schäfer der einzige Aktionär, der noch einen meldepflichtigen Anteil von sechs bis sieben Prozent am Unternehmen hielt. Andere Familienmitglieder hatten verkauft.
Die Belegschaft stand zu Loos, ging gleichzeitig aber einen eigenen Weg, indem man den Kontakt zur INA suchte, erinnert sich der langjährige Betriebsratsvorsitzende Norbert Lenhard. Am FAG-Management vorbei wurde eine Einigung erzielt, die die bisherigen Mitbestimmungsrechte und Betriebsvereinbarungen zementierte. Dass Betriebsräte und Gewerkschaften im Aufsichtsrat eine wichtige Rolle spielen sollten, wurde von INA als bittere Kröte geschluckt.
Als INA sein Angebot an die Aktionäre von elf auf zwölf Euro erhöhte, gingen immer mehr Anteilseigner von der Fahne. Die verbliebenen Aktionäre wurden im Rahmen eines Squeeze out" abgefunden. Am 20.Dezember 2001 erklärten Loos und Kajo Neukirchen ihren Rücktritt. Jahre später zeigte sich Loos versöhnlich. "Rückblickend muss man sagen, das war eine tolle Aktion, ein präziser Vorstoß, absolut gut gemacht."