Es war die traditionelle Jubilarfeier Mitte November 1990, bei der es Fritz Schäfer, der Sprecher der Geschäftsleitung und persönlich haftende Gesellschafter von FAG Kugelfischer, öffentlich bekanntgab. Sein Unternehmen plane die Übernahme des ehemaligen Kombinats Wälzlager und Normteile in der DDR. Davon verspreche er sich mittelfristig verbesserte Chancen auf einem Wachstumsmarkt im Osten.
Im Zeitungsbericht zur Feier wird Schäfer weiter zitiert, dass sich sein Unternehmen moralisch verpflichtet fühle, einen Beitrag zum Wiederaufbau einer marktwirtschaftlichen Entwicklung in der ehemaligen DDR zu leisten. Er sei der festen Überzeugung, dass es gelingen werde, im Osten des Landes "einen wirtschaftlichen Aufschwung zu schaffen, der die Menschen für ihre Anstrengungen voll und ganz belohnt." Zu dieser Zeit hatte die Treuhand die Übernahme bereits abgesegnet.
Die wegbrechenden Märkte in Osteuropa, aber auch die Schwäche der acht DKFL-Betriebe und der Konjunktureinbruch im Westen ließen diese Hoffnungen schnell platzen. So schafften 1992 die Ostbetriebe statt des erwarteten Umsatzes von 1,2 Milliarden DM nur 406 Millionen DM. Bis Ende 1992 hatten sich Verluste von 365 Millionen DM angesammelt. "Die DKFL wurde zum 420-Millionen-Grab", hieß es in dieser Zeitung. Fritz Schäfer sprach von einem "einsturzgefährdeten Haus."
Ende 1992 lag die Verschuldung bei 2,2 Milliarden DM
Parallel dazu hatte sich die seit Jahren eher ertragsschwache FAG in Korea beim Hanwha-Konzern engagiert. Das alles ging ins Geld. Ende 1992 lag die Verschuldung bei 2,2 Milliarden DM. Es drohte die Zahlungsunfähigkeit. Das ließ die Banken die Reißleine ziehen. Gefordert wurde eine umfassende Umstrukturierung.
Damit kam Kajo Neukirchen ins Spiel. Der als knallharter Sanierer gerühmt wie gefürchtete Manager kannte die Branche, und er kannte wohl auch Kugelfischer sehr gut, war er doch von 1985 bis 1987 Geschäftsführer der SKF GmbH in Schweinfurt.
Die Deutsche Bank rief ihn immer wieder, wenn es galt, schwierige Situationen zu lösen. So brachte er KHD oder die Metallgesellschaft wieder auf Kurs. Der hochgewachsene Mann galt als äußert durchsetzungsfähig und hat wohl sehr bewusst seine eiskalte Ausstrahlung eingesetzt. Ende letzten Jahres ist er im Alter von 78 Jahren an einer Covid-19-Erkrankung gestorben. "Er war gefürchtet und umstritten", hieß es in einem Nachruf.
Der neue Vorstand um Peter-Jürgen Kreher, der die Münchner Deckel AG (Werkzeug-Maschinenbau) saniert hatte, wickelte die Standorte in Ostdeutschland ab. Unternehmensteile wie die FTE Ebern wurden verkauft. Die Konzentration auf das Kerngeschäft war in der Krise angesagt. Kugelfischer zählte 10 517 Mitarbeiter, 1994 waren es nur noch 5009. Aber auch die anderen Großbetriebe in Schweinfurt schrumpften, Fichtel & Sachs von 10 000 auf unter 7000. SKF von 6110 auf 4720 Mitarbeiter. Die Arbeitslosenquote lag in der Stadt zeitweise bei über 20 Prozent.
Tausende mussten ihre Lebensplanung über Bord werfen
Wurde bis dato die Beschäftigung in den Familien quasi vererbt bis zum Rentenalter, mussten jetzt Tausende ihre Lebensplanung über Bord werfen. Die nackte Angst ging um. Der legendären Februar-Demonstration 1993 folgte ein Jahr mit vielen weiteren Großdemonstrationen in Schweinfurt. Erinnert sei an die Mahnwachen vor den FAG-Werkstoren, an die Menschenkette von den Betrieben SKF, Fichtel & Sachs und FAG zum Arbeitsamt mit mehreren tausend Teilnehmern – darunter viele, die nicht direkt betroffen waren, aber mitmachten. Solidarische Menschen wie Pfarrer Roland Breitenbach, der von einem Lastwagen herab einen Gottesdienst hielt.
Eine weitere vieler Aktionsformen war der legendäre Marsch nach Bonn von 42 IG-Metallern. All das hatte die gewollte bundesweite Wirkung. Die Gewerkschaften beauftragten aber auch ein Beratungsinstitut zur Entwicklung eines industriepolitischen Konzepts, man veranstaltete Konferenzen mit Politikern und Betriebsräten. "Wir haben damals begriffen, dass neben dem Protest auch Vorschläge nötig sind", sagte der einstige IGM-Bezirksleiter Werner Neugebauer, ein Schweinfurter.
Peter-Jürgen Kreher führte FAG aus der Krise
Die neuen von Neukirchen eingesetzten Besen um Peter-Jürgen Kreher kehrten erfolgreich. Schon 1994 meldete FAG, man habe wirtschaftlich wieder Tritt gefasst.
2003 wurde Fritz Schäfer die Stadtmedaille verliehen. Dabei nannte er den Erwerb der DKFL einen Fehler. Den Abbau der Arbeitsplätze bedauere er zutiefst. Als 2001 das Museum Georg Schäfer eröffnet wurde, dessen Werke zeitweise an den Sicherungspool der Banken verpfändet waren, erkannte Fritz Schäfer die Leistung der Sanierer ausdrücklich an. "Mein persönlicher Dank gilt heute der Führung der FAG Kugelfischer Georg Schäfer AG unter Dr. Kajo Neukirchen. Wäre ihr nach 1992 nicht in der praktizierten Weise das Wiedererstarken des Unternehmens gelungen, wäre ein Museum Georg Schäfer kein Thema mehr gewesen."