
Gerade erst hat der fränkische Industriekonzern Schaeffler mit dem Abbau von bundesweit 1300 Stellen Schlagzeilen gemacht. Doch aktuell Personal auf die Straße zu setzen, wenn doch überall Personal dringend gebraucht wird - wie passt das zusammen? Und wie ist Mainfrankens Wirtschaft angesichts des Fachkräftemangels eigentlich aufgestellt?
Diese Redaktion hat die Wirtschaftsexperten Michael Beckhäuser und Prof. Thomas Zwick um eine Einschätzung gebeten, wie gefährlich das Fehlen von Fachkräften in der Region noch werden kann. Konfrontiert mit fünf teils provokanten Thesen, ordnen die beiden die Situation in Unterfranken und den Stellenabbau wie zuletzt bei Bosch Rexroth in Lohr (Lkr. Main-Spessart) oder im Valeo-Werk FTE in Ebern (Lkr. Haßberge) ein.
Michael Beckhäuser ist in Würzburg seit 20 Jahren selbstständiger Personalberater. Mit seiner Agentur vermittelt der 59-Jährige Fachkräfte in Festanstellung. Thomas Zwick ist Professor an der Würzburger Universität. Der 53-Jährige hat dort den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Personal und Organisation inne.
1. These: In Zeiten von Fachkräftemangel Personal abzubauen ist falsch
Doch, das passt zusammen, meint Personalberater Beckhäuser. Das Beispiel Autoindustrie und Elektromobilität zeige es: Viele Unternehmen sind seit längerer Zeit im intensiven Wandel, so dass Betriebsbereiche wegfallen und andere hinzukommen. Das bedeute Bedarf an neuen Qualifikationen.
Zwar könne man angestammtes Personal auf die neuen Anforderungen schulen, das gelinge aber nicht immer, sagt Beckhäuser. So sei zu verstehen, dass ein Unternehmen auf der einen Seite Stellen streiche, auf der anderen neue schaffe.
Hinzu kommt nach Ansicht von Wirtschaftsprofessor Zwick, dass zunehmend Stellen auf dem Niveau von Industriemeistern oder Akademikern gebraucht werden. Also müssten Unternehmen ihren Gesellinnen und Gesellen anzubieten, sich auf ein höheres Niveau weiterzubilden. Lässt sich jemand darauf nicht ein, "dann bleibt dem Unternehmen gar nichts anderes übrig, als solche Leute freizustellen".

2. These: Klassische Kündigungen sind out, Stellenabbau wird "sozialverträglich" gemacht. Niemand muss mehr befürchten, betriebsbedingt auf die Straße gesetzt zu werden.
"Ein sozialverträglicher Personalabbau ist hauptsächlich ein Thema für Großbetriebe, die Sozialpläne brauchen", schränkt Zwick ein. Kleinere Betriebe "segeln da unter dem Radar und machen das nicht so".
Stellenabbau per Sozialplan oder durch Gründung einer Transfergesellschaft zur Umorientierung der betroffenen Belegschaft sei für Unternehmen "gesichtswahrender" und häufig effizienter, so der Wirtschaftsprofessor. Ein "sozialverträglich" genannter Stellenabbau sei also nicht per se sozial.
Unternehmen würden Personal, das sie abbauen wollen, in zunehmendem Maße nicht einfach ziehen lassen, sagt Agentur-Chef Beckhäuser. Sondern sie würden versuchen, "die betroffenen Mitarbeiter zu begleiten", durch Beratung zu einer beruflichen Neuorientierung zu bringen oder gar wieder zu integrieren. Die Unternehmen würde heute mehr als früher darauf achten, welche Außenwirkung ein reiner Stellenabbau hat.

3. These: Dass kleine Unternehmen versuchen, ihr Personal auch in der akuten Krise unbedingt zu halten, ist ein Irrweg.
Nein, meint Beckhäuser. Unternehmen sollten mit dem vorhandenen Personal so lange durchhalten, "wie es nur irgendwie geht". Denn wer Stellen abbaue, finde später kaum neue Fachkräfte.
Das sieht Zwick ähnlich. Wer wegen der Krise Personal gestrichen hat oder mit Zeitverträgen arbeite, werde später wieder Beschäftigte suchen, "wenn andere auch suchen". Das sei die falsche Strategie.
Fachpersonal auf jeden Fall für bessere Zeiten zu halten –in der Branche spreche man da von "Labour Hoarding", sagt Zwick. "Das hat sich zum Beispiel in der Gastronomie total bewährt." Betriebe, die ihr Stammpersonal in der Krise weiter an sich gebunden hätten, "sind jetzt durchgestartet wie eine Rakete".
4. These: Die Region Mainfranken ist zu klein, um für hochqualifizierte Jobs genügend Fachkräfte stellen zu können.
Ja, meint Personalberater Beckhäuser. Er beobachte seit langem, dass mainfränkische Unternehmen ihre Personalsuche überregional oder sogar aufs Ausland ausrichten.
Die Region selbst biete allein schon wegen ihrer außerordentlich niedrigen Arbeitslosenquote kaum mehr ausreichend neues Personal. Die Region Mainfranken GmbH tue indes viel, um in Nachbarbundesländern Fachkräfte für Mainfranken zu gewinnen.
Die Situation auf dem regionalen Arbeitsmarkt werde sich in den nächsten Jahren verschärfen, prognostiziert Beckhäuser. Gehen die geburtenstarke Jahrgänge dann in Rente, "tut es nochmal einen Schlag".
Die Wirtschaft in der Region habe indes einen Vorteil: Der Mix an Branchen und Unternehmensgrößen sei gut. Das gebe Stabilität im Vergleich zu Regionen mit einer "gewissen Monokultur" an Betrieben, sagt der Personalberater. Außerdem sei mobiles Arbeiten salonfähig geworden, so dass es zweitrangig sei, woher eine Fachkraft kommt.
BWL-Professor Zwick sieht Mainfranken "sehr gut aufgestellt", wenn es darum geht, Fachpersonal von außen anzulocken. Das liege unter anderem daran, dass es in der Region höhere Löhne gebe als zum Beispiel in Thüringen oder Teilen Hessens.
Es tue mainfränkischen Betrieben gut, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Teilen Deutschlands zu bekommen, sagt Zwick. Gerade in Großunternehmen kämen Führungskräfte oft von auswärts. "Das war schon immer so." Die Frage, ob Mainfranken zu klein und zu schwach sei, um hochqualifizierte Fachkräften hervorzubringen, stelle sich deshalb nicht: "Ich sehe da keine Alarmstimmung."
5. These: Jobs sind leicht zu bekommen, niemand riskiert mehr die Selbstständigkeit. Das wird zum Nachteil für die Wirtschaft.
Jein, lautet die Antwort des Wirtschaftsprofessors. Der Höhenflug der Ich-AGs vor etwa 20 Jahren habe dazu geführt, dass viele Kleinunternehmen wie Cafés oder Boutiquen ins Leben gerufen wurden. Die hätten der Wirtschaft aber nicht unbedingt einen nachhaltigen Schwung gegeben. Ein Unternehmen nur zu gründen, weil man als Fachkraft keine Stelle bekomme, führe nicht weiter.
In der Tat werde derzeit die Sicherheit einer festen Stelle dem riskanten Schritt in die Selbstständigkeit vorgezogen, so die Beobachtung von Personalberater Beckhäuser. Andererseits gebe es an den Hochschulen in der Region "eine gewisse Dynamik" bei Start-ups. Diese Jungunternehmen mit ihren neuen Ideen "bringen letztendlich Wertschöpfung", sagt auch Zwick. Da tue sich in Mainfranken mittlerweile sehr viel.