Die Diskussion um sogenannte Betriebsschließungsversicherungen hält an. Auch in Mainfranken hatten sich Gasthäuser, Restaurants und Hotels für den Fall abgesichert, dass eine Behörde ihren Betrieb auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes schließt. Sie dachten, damit seien sie auch in der Corona-Krise geschützt. Doch die meisten Versicherungen wollten zunächst nicht zahlen (wir berichteten).
Die Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen) wirft den Versicherungen jetzt vor, die Notlage der Betriebe auszunutzen. Ein Gastwirt habe keine teure Rechtsabteilung, die ihm zur Seite steht. “Welcher Imbissbuden-Betreiber legt sich mit der Allianz-Versicherung an?", fragt die Grünen-Politikerin im Gespräch mit dieser Redaktion. Doch was ist bisher eigentlich passiert?
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Heikle Verhandlungen über Corona-Schäden
Nachdem ganze Branchen wegen der Corona-Krise vorübergehend stillliegen, wendeten sich viele Betriebe an ihre Versicherungen. Einige bekamen direkt eine Absage, andere wurden hingehalten. Der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband verfasste deshalb einen Brandbrief. Kurz darauf schaltete sich die Staatsregierung ein. Nach heiklen Verhandlungen gelang es, gemeinsam mit den Versicherungskonzernen einen Kompromiss auszuarbeiten. Den bezeichnet Rottmann aber als "höchst problematisch".
Grundlage der Einigung ist eine statistische Durchschnittsrechnung: Demnach würde der Schaden im Gastgewerbe durch Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld und Soforthilfen von Bund und Ländern sowieso deutlich reduziert. Von den verbleibenden Einbußen – durchschnittlich etwa 30 Prozent – würden die Versicherungen freiwillig zwischen einem Drittel und der Hälfte übernehmen.
Mit dieser "vermeintlichen Kulanz" würden sich die Konzerne de facto freikaufen, kritisiert Rottmann. Die Versicherungen wüssten genau, dass gerade Restaurants und Hotels jetzt schnell Geld brauchen und sich keinen langen Rechtsstreit leisten können. "Der Kompromiss droht so, zu einem schlechten Vergleich unter Druck allein zu Lasten der Betriebe zu werden", betont die ausgebildete Juristin.
Wie das Kalkül der Versicherungen aussieht
Sie vermutet, dass die Versicherungen so ihr Risiko minimieren wollen – nach dem Motto: Die Konzerne zahlen ohne große Diskussionen einen Teil der Versicherungssumme, dafür verzichten die Betriebe darauf, vor Gericht zu ziehen. Rottmann fordert die Staatsregierung daher auf, deutlich zu sagen, dass der Verzicht auf Rechtsmittel keine Voraussetzung für die Auszahlung sein darf.
In einer internen Mail an seine Mitglieder weist der Gaststättenverband deutlich darauf hin, dass der Kompromiss keinesfalls verbindlich sei. Jedem Betrieb stehe es frei, das Angebot der Versicherungen abzulehnen und vor Gericht zu ziehen. Bei juristisch zweifelhaften Fällen sei die Vereinbarung aber eine sichere Alternative.
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David gegen Goliath
Rottmann bringt zusätzlich eine langjährige Forderung der Grünen ins Spiel: die Gruppenklage – teilweise auch diskutiert unter dem Namen Sammel- oder Musterfeststellungsklage. Dahinter steckt das "David-gegen-Goliath"-Prinzip: Wenn viele Privatleute sich mit einem Unternehmen in der gleichen Sache streiten, muss nicht jeder einzeln klagen. Stattdessen können sich die Verbraucher – wie im VW-Abgas-Skandal – zusammenschließen und gemeinsam vor Gericht ziehen.
Das Problem ist, dass bei den Betriebsschließungsversicherungen nicht Privatleute, sondern Unternehmen ihre Ansprüche durchsetzen wollen. Das ist bislang nicht in Form einer Sammelklage möglich. Dies habe die Bundesregierung versäumt, kritisiert Rottmann. "Stünden den Gastronomen solche kollektiven Klageverfahren offen, wären sie in einer deutlich stärkeren Position und weniger leicht zu erpressen."
Sven-Wulf Schöller ist Mitglied der Arbeitsgruppe Versicherungsrecht des Deutschen Anwaltvereins – und eigentlich ein Freund von Sammelklagen. So könne das Risiko des Einzelnen auf viele Schultern verteilt werden, die Verfahren gingen schneller und die Justiz werde entlastet.
Im Fall der Betriebsschließungsversicherungen lägen jedoch keine einheitlichen Sachverhalte vor. Jeder Vertrag sei individuell und gerade im Versicherungsrecht seien oft einzelne Formulierungen entscheidend. "Das sind Äpfel und Birnen. Das können Sie nicht mit einer Musterfeststellungsklage lösen", betont Schöller.
Das Coronavirus steht nicht im Vertrag
Rottmann verweist dagegen darauf, dass sich die Verträge zwar im Detail unterscheiden, viele Versicherungen aber ähnliche Muster verwendeten. Im Gegensatz zu einem Autounfall, wo anhand von aufwändigen Gutachten eine komplexe Schuldfrage gelöst werden muss, gehe es bei den Betriebsschließungsversicherungen im Kern immer um die gleichen Rechtsfragen.
Ein Beispiel: Obwohl meist direkt auf das Infektionsschutzgesetz verwiesen wird, lehnen viele Versicherungen die Zahlung ab, weil das Coronavirus nicht explizit im Vertrag steht. Den neuartigen Erreger kannte schließlich vor einigen Jahren noch niemand. Ein Gericht müsste nun entscheiden, ob trotzdem Versicherungsschutz besteht.
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In Bezug auf den bayerischen Kompromiss merkt Schöller noch an: Es sei richtig, dass der Staat bei großen Katastrophen, gegen die man sich nicht versichern kann, Hilfe leistet. Betriebsschließungen seien aber eindeutig ein versicherter Schaden. Die Konzerne gingen trotzdem davon aus, dass zuerst einmal der Steuerzahler für die Schäden aufkommt. Das sieht der Jurist kritisch: "Wenn der Staat immer einspringt, würde ja keiner mehr irgendwas versichern."