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Würzburg/Rottendorf
Ökonom Hillebrecht zu s.Oliver: Betriebsrat hätte mildern können
Entlassungswelle beim Rottendorfer Modekonzern: Wirtschaftsprofessor Steffen Hillebrecht ordnet die Kündigungen ein und hat sogar Lob für s.Oliver.  Was rät er Beschäftigten?
Das Firmenmuseum im Hauptquartier von s.Oliver in Rottendorf. Der Modekonzern macht durch eine zweite große Entlassungswelle Schlagzeilen. 
Foto: Silvia Gralla | Das Firmenmuseum im Hauptquartier von s.Oliver in Rottendorf. Der Modekonzern macht durch eine zweite große Entlassungswelle Schlagzeilen. 
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:04 Uhr

Anfang der Woche hat der mainfränkische Modekonzern s.Oliver angekündigt, in einer zweiten Welle 200 Mitarbeitern zu kündigen. Insgesamt baut das Familienunternehmen damit innerhalb weniger Monate 370 Stellen ab, vor allem in der Zentrale in Rottendorf bei Würzburg mit knapp 1500 Beschäftigten.

Das Unternehmen und besonders Konzernchef Claus-Dietrich Lahrs müssen harsche Kritik einstecken. Lahrs habe in der Modebranche bisher nur durch Entlassungen auf sich aufmerksam gemacht, schreibt ein Leser auf mainpost.de. Andere Kommentatoren rügen dort die ihrer Ansicht nach schonungslose Vorgehensweise von s.Oliver gegenüber der Belegschaft.

Im Zuge der Kündigungswelle ist der Fokus auch auf die Tatsache gerichtet worden, dass der Modekonzern keinen Betriebsrat hat. Der Mitarbeitervertretung "For Us" wird nur eine schwache Rolle zugesprochen.

Der Würzburger Wirtschaftswissenschaftler Professor Steffen Hillebrecht erklärt im Interview, was ein Betriebsrat bei s.Oliver hätte ausrichten können. Ein Thema, das auch in anderen Unternehmen Mainfrankens bald relevant werden könnte, schließlich sind in Folge der Corona-Krise verstärkt Pleiten und Stellenabbau zu befürchten. 

Hillebrecht lehrt seit 2009 an der Hochschule für angewandte Wissenschaft Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Der 55-Jährige war davor jahrelang in der freien Wirtschaft in zum Teil leitenden Funktionen im Personalbereich tätig. Zu den Fachgebieten des studierten  Betriebswirtschaftlers gehört die Rolle von Betriebsräten.

Professor Steffen Hillebrecht von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) ist Experte für berufliche Auszeiten (Sabbatical)
Foto: Meike Försch, FHWS | Professor Steffen Hillebrecht von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) ist Experte für berufliche Auszeiten (Sabbatical)
Frage: Der Modekonzern s.Oliver streicht seit dieser Woche in einer zweiten Welle 200 Jobs. Hätte das Unternehmen einen Betriebsrat, was hätte er an den Kündigungen ändern können? Was würde bei s.Oliver dann anders laufen?

Steffen Hillebrecht: Die Kündigungen an sich sind nicht abzuwehren. Wenn dafür wirtschaftliche Gründe sprechen, ist das unternehmerische Freiheit. Dann kann die Geschäftsführung das so durchführen. Ein Betriebsrat kann aber auf einen Sozialplan bestehen. Dass also zum Beispiel Mitarbeiter, die besonders schützwürdig sind, nicht zuerst entlassen werden, und Mitarbeiter, die auf dem Arbeitsmarkt leichter vermittelbar sind, bei den Entlassungen zuerst an der Reihe sind. Ansonsten hätte man auch darüber nachdenken können, eine Beschäftigungsgesellschaft zu fordern. Denn bei solchen Entlassungszahlen wird die Agentur für Arbeit gemäß Paragraf 110f. Sozialgesetzbuch III in der Lage sein, zusammen mit einem beauftragten Personal- und Fortbildungsdienstleister eine Auffanggesellschaft zu gründen, damit die entlassenen Mitarbeiter eine Zeitüberbrückung und Neuorientierung bekommen.

"Dafür muss man s.Oliver loben."
Wirtschaftswissenschaftler Steffen Hillebrecht darüber, wie der Modekonzern mit den Gekündigten umgeht
Aber das scheint es ja zu geben: s.Oliver hat nach eigener Darstellung die Düsseldorfer Agentur Rundstedt & Partner eingeschaltet, um den Entlassenen bei der Jobsuche zu helfen.

Hillebrecht: Das ist durchaus ein Weg. So etwas macht nicht jedes Unternehmen. Dafür muss man s.Oliver loben. Bevor man den Leuten – einfach mal als Musterwert ohne konkrete Basis - 20 000 oder 30 000 Euro Abfindung zahlt, sollte man eine Outplacement-Beratung bezahlen und den Mitarbeitern vielleicht nur 10 000 Euro mit auf den Weg zu geben. Denn in einer solchen Situation ist es immer gut, wenn man einen unabhängigen Dritten an die Seite gestellt bekommt, der einen in dieser schwierigen sozialen Lage auffängt und Perspektiven zeigt.

Ist es typisch für familiengeprägte Unternehmen wie s.Oliver, keinen Betriebsrat zu haben? Unternehmen also, die mitunter von einer patriarchalischen, machtvollen Figur gelenkt werden oder wurden, die sich von Betriebsräten nicht reinreden lassen will?

Hillebrecht: Das ist in der Tat etwas Typisches. Da gibt es prominente Fälle wie Drogeriemarkt Müller oder die in Insolvenz gegangene Schlecker-Kette. Die hatten nie oder lange keine Betriebsräte. Zu denken ist auch an die im Dax notierte Softwareschmiede SAP mit dem Ankeraktionär Dietmar Hopp, die erst 2006 einen Betriebsrat eingeführt hat, Würth erst letztes Jahr. Dort sind dann einige interessante Informationen über Betriebsratsmitglieder und ihre persönliche Nähe zu Reinhold Würth kursiert. Das ist ein Phänomen, das wir vor allem bei solchen großen inhabergeführten Unternehmen finden.

Was können Beschäftigte in solchen Unternehmen überhaupt tun, damit sie gerade in diesen heiklen Zeiten mehr gehört werden?

Hillebrecht: Ein Betriebsrat ist in solchen Situationen sicherlich nicht die Feuerwehr, die alles retten kann. Aber es ist mit Sicherheit schon mal gut, wenn Betriebsräte da sind. Wenn sie sich als freigestellte Betriebsräte um Zukunftskonzepte kümmern können, ist das auch gut.

Die Frage zielte eher darauf, was Beschäftigte in Unternehmen à la s.Oliver jetzt tun sollten. Mit Blick auf die Folgen der Corona-Krise noch schnell einen Betriebsrat gründen?

Hillebrecht: Die Gründung eines Betriebsrates ist an formale Prozesse gebunden. Es muss erst eine Wahlversammlung erfolgen, es muss ein Wahlvorstand gebildet werden, die Wahl muss vielleicht sogar in neutralen Räumen erfolgen. Dann wird es möglicherweise arbeitsrechtliche Scharmützel geben. Kurzum, für eine Betriebsratsgründung muss man mindestens ein halbes bis ein dreiviertel Jahr einplanen. Dafür reicht jetzt also die Zeit nicht.

Was raten Sie Beschäftigten also?

Hillebrecht: So bitter das jetzt klingt: Ich rate Mitarbeitern, die merken, dass es in ihrem Unternehmen bald einigen Leuten an den Kragen geht, aktiv zu werden. Sie sollten abwägen: Will ich abwarten, was passiert? Oder schaue ich zu, dass ich rechtzeitig Land gewinne und mir eine neue Herausforderung suche?

Haben Sie den Eindruck, dass die Betriebsräte in Mainfranken – auch und gerade an den großen Industrieadressen in Schweinfurt – stark genug sind, um das zu stemmen, was wegen Corona auf die Unternehmen zukommt?

Hillebrecht: Gerade bei den großen Autozulieferern in Schweinfurt sind die Betriebsräte professionell. Die werden wissen, worum es geht. Mir machen die mittelständischen Unternehmen mit 200, 300 oder 500 Mitarbeitern mehr Sorgen. Drei Viertel davon haben keinen Betriebsrat oder nur sogenannte alternative Vertretungsformen. Dort wird mit Sicherheit eine ganz andere Konfliktsituation sein.

Was sind alternative Vertretungsformen?

Hillebrecht: Das sind eine Art Mitarbeiter-Beiräte. Das war ja lange das Modell der SAP AG. Dort war es eine Art Gesprächsforum mit ausgewählten Mitarbeitern als Repräsentanten der gesamten Belegschaft.

Das klingt nach dem, was s.Oliver mit der Mitarbeitervertretung „For Us“ hat.

Hillebrecht: Ja. Da spricht man dann über die typischen Probleme und diskutiert miteinander Lösungen. Das hat für das Unternehmen den großen Vorteil, dass diese Lösungen nicht als Betriebsvereinbarungen festgelegt werden.

Peter König von der Gewerkschaft Verdi in Würzburg hat „For Us“ – und damit wohl auch ähnliche Gremien – kürzlich als zahnlosen Tiger bezeichnet. Sehen Sie das ähnlich?

Hillebrecht: Das kommt sehr stark darauf an, wie die Firmeninhaber mit diesen Personen umgehen. Wenn man hier auf Augenhöhe arbeitet, können das durchaus gute Gremien sein. Wenn man das aber nur nutzt, um etwas vorzeigen zu können, dann sind das zahnlose Tiger.

Betriebsräte

In Deutschland gibt es die garantierte Mitbestimmung der Belegschaft in Unternehmen seit 100 Jahren. Damals wurde das Betriebsrätegesetz vom Reichstag verabschiedet. Heute gibt es nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Mainfranken etwa 2500 Betriebsratsmitglieder in rund 500 Betrieben.
Ein Betriebsrat vertritt die Interessen der Belegschaft gegenüber dem Unternehmen. Grundlage ist das Betriebsverfassungsgesetz. Demnach wird ein Betriebsrat alle vier Jahre gewählt. Seine Aufgaben sind vielfältig. Unterm Strich muss er vor allem darauf achten, dass im Unternehmen gesetzliche Vorschriften eingehalten werden. Bei bestimmten Angelegenheiten wie soziale oder personelle Fragen muss der Arbeitgeber den Betriebsrat mitwirken und zustimmen lassen. Grundsätzlich hat der Betriebsrat das Recht auf Anhörung, Information, Beratung und Zustimmung (zum Beispiel bei Kündigungen) – und er hat unter anderem die Pflicht zur Verschwiegenheit.
Ein Unternehmer muss keinen Betriebsrat gründen, darf aber einer entsprechenden Initiative etwa aus der Belegschaft heraus auch nicht im Weg stehen. Wie viele Mitglieder ein Betriebsrat haben muss, hängt von der Zahl der Arbeitnehmer im Unternehmen ab.
aug/fan
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