Anfang der Woche hat der mainfränkische Modekonzern s.Oliver angekündigt, in einer zweiten Welle 200 Mitarbeitern zu kündigen. Insgesamt baut das Familienunternehmen damit innerhalb weniger Monate 370 Stellen ab, vor allem in der Zentrale in Rottendorf bei Würzburg mit knapp 1500 Beschäftigten.
Das Unternehmen und besonders Konzernchef Claus-Dietrich Lahrs müssen harsche Kritik einstecken. Lahrs habe in der Modebranche bisher nur durch Entlassungen auf sich aufmerksam gemacht, schreibt ein Leser auf mainpost.de. Andere Kommentatoren rügen dort die ihrer Ansicht nach schonungslose Vorgehensweise von s.Oliver gegenüber der Belegschaft.
Im Zuge der Kündigungswelle ist der Fokus auch auf die Tatsache gerichtet worden, dass der Modekonzern keinen Betriebsrat hat. Der Mitarbeitervertretung "For Us" wird nur eine schwache Rolle zugesprochen.
Der Würzburger Wirtschaftswissenschaftler Professor Steffen Hillebrecht erklärt im Interview, was ein Betriebsrat bei s.Oliver hätte ausrichten können. Ein Thema, das auch in anderen Unternehmen Mainfrankens bald relevant werden könnte, schließlich sind in Folge der Corona-Krise verstärkt Pleiten und Stellenabbau zu befürchten.
Hillebrecht lehrt seit 2009 an der Hochschule für angewandte Wissenschaft Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Der 55-Jährige war davor jahrelang in der freien Wirtschaft in zum Teil leitenden Funktionen im Personalbereich tätig. Zu den Fachgebieten des studierten Betriebswirtschaftlers gehört die Rolle von Betriebsräten.
Steffen Hillebrecht: Die Kündigungen an sich sind nicht abzuwehren. Wenn dafür wirtschaftliche Gründe sprechen, ist das unternehmerische Freiheit. Dann kann die Geschäftsführung das so durchführen. Ein Betriebsrat kann aber auf einen Sozialplan bestehen. Dass also zum Beispiel Mitarbeiter, die besonders schützwürdig sind, nicht zuerst entlassen werden, und Mitarbeiter, die auf dem Arbeitsmarkt leichter vermittelbar sind, bei den Entlassungen zuerst an der Reihe sind. Ansonsten hätte man auch darüber nachdenken können, eine Beschäftigungsgesellschaft zu fordern. Denn bei solchen Entlassungszahlen wird die Agentur für Arbeit gemäß Paragraf 110f. Sozialgesetzbuch III in der Lage sein, zusammen mit einem beauftragten Personal- und Fortbildungsdienstleister eine Auffanggesellschaft zu gründen, damit die entlassenen Mitarbeiter eine Zeitüberbrückung und Neuorientierung bekommen.
Hillebrecht: Das ist durchaus ein Weg. So etwas macht nicht jedes Unternehmen. Dafür muss man s.Oliver loben. Bevor man den Leuten – einfach mal als Musterwert ohne konkrete Basis - 20 000 oder 30 000 Euro Abfindung zahlt, sollte man eine Outplacement-Beratung bezahlen und den Mitarbeitern vielleicht nur 10 000 Euro mit auf den Weg zu geben. Denn in einer solchen Situation ist es immer gut, wenn man einen unabhängigen Dritten an die Seite gestellt bekommt, der einen in dieser schwierigen sozialen Lage auffängt und Perspektiven zeigt.
Hillebrecht: Das ist in der Tat etwas Typisches. Da gibt es prominente Fälle wie Drogeriemarkt Müller oder die in Insolvenz gegangene Schlecker-Kette. Die hatten nie oder lange keine Betriebsräte. Zu denken ist auch an die im Dax notierte Softwareschmiede SAP mit dem Ankeraktionär Dietmar Hopp, die erst 2006 einen Betriebsrat eingeführt hat, Würth erst letztes Jahr. Dort sind dann einige interessante Informationen über Betriebsratsmitglieder und ihre persönliche Nähe zu Reinhold Würth kursiert. Das ist ein Phänomen, das wir vor allem bei solchen großen inhabergeführten Unternehmen finden.
Hillebrecht: Ein Betriebsrat ist in solchen Situationen sicherlich nicht die Feuerwehr, die alles retten kann. Aber es ist mit Sicherheit schon mal gut, wenn Betriebsräte da sind. Wenn sie sich als freigestellte Betriebsräte um Zukunftskonzepte kümmern können, ist das auch gut.
Hillebrecht: Die Gründung eines Betriebsrates ist an formale Prozesse gebunden. Es muss erst eine Wahlversammlung erfolgen, es muss ein Wahlvorstand gebildet werden, die Wahl muss vielleicht sogar in neutralen Räumen erfolgen. Dann wird es möglicherweise arbeitsrechtliche Scharmützel geben. Kurzum, für eine Betriebsratsgründung muss man mindestens ein halbes bis ein dreiviertel Jahr einplanen. Dafür reicht jetzt also die Zeit nicht.
Hillebrecht: So bitter das jetzt klingt: Ich rate Mitarbeitern, die merken, dass es in ihrem Unternehmen bald einigen Leuten an den Kragen geht, aktiv zu werden. Sie sollten abwägen: Will ich abwarten, was passiert? Oder schaue ich zu, dass ich rechtzeitig Land gewinne und mir eine neue Herausforderung suche?
Hillebrecht: Gerade bei den großen Autozulieferern in Schweinfurt sind die Betriebsräte professionell. Die werden wissen, worum es geht. Mir machen die mittelständischen Unternehmen mit 200, 300 oder 500 Mitarbeitern mehr Sorgen. Drei Viertel davon haben keinen Betriebsrat oder nur sogenannte alternative Vertretungsformen. Dort wird mit Sicherheit eine ganz andere Konfliktsituation sein.
Hillebrecht: Das sind eine Art Mitarbeiter-Beiräte. Das war ja lange das Modell der SAP AG. Dort war es eine Art Gesprächsforum mit ausgewählten Mitarbeitern als Repräsentanten der gesamten Belegschaft.
Hillebrecht: Ja. Da spricht man dann über die typischen Probleme und diskutiert miteinander Lösungen. Das hat für das Unternehmen den großen Vorteil, dass diese Lösungen nicht als Betriebsvereinbarungen festgelegt werden.
Hillebrecht: Das kommt sehr stark darauf an, wie die Firmeninhaber mit diesen Personen umgehen. Wenn man hier auf Augenhöhe arbeitet, können das durchaus gute Gremien sein. Wenn man das aber nur nutzt, um etwas vorzeigen zu können, dann sind das zahnlose Tiger.