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Schweinfurt
Schweinfurts ZF-Chef: Wie brenzlig die Lage wegen Corona ist
Auch der Autozulieferer ZF in Schweinfurt bekommt die Corona-Krise zu spüren. Standortleiter Hans-Jürgen Schneider sagt, wann sich die 9000 Mitarbeiter Sorgen machen müssen.
Anpacken, zusammenbauen - das geht bei ZF derzeit nur bedingt. Wegen der Corona-Krise ist rund die Hälfte der Belegschaft in Schweinfurt in Kurzarbeit. Spannend deshalb, wie es bei dem Autozulieferer weitergeht.
Foto: Felix Kästle, dpa | Anpacken, zusammenbauen - das geht bei ZF derzeit nur bedingt. Wegen der Corona-Krise ist rund die Hälfte der Belegschaft in Schweinfurt in Kurzarbeit. Spannend deshalb, wie es bei dem Autozulieferer weitergeht.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:58 Uhr

Reisebranche, Luftfahrt, Gastgewerbe, Kurierdienste und Fahrzeugbau – das sind in Deutschland mit großem Abstand die Branchen mit den heftigsten Einschnitten wegen der Corona-Krise. Deren Wirtschaftsleistung sei während des Shutdowns um bis zu 84 Prozent zurückgegangen, haben das Ifo-Institut und das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung vergangene Woche in einer gemeinsamen Studie herausgefunden.

Was den Fahrzeugbau angeht, zieht Corona viele Zulieferbetriebe in den Schlamassel. ZF gehört dazu. In den Werken in Schweinfurt ist momentan etwa die Hälfte der Beschäftigten in Kurzarbeit. Standortleiter Hans-Jürgen Schneider sagt im Interview, dass die Lage beim größten Arbeitgeber der Region noch nicht ernst ist. Das könne sich aber in wenigen Monaten ändern.

Wenn die Corona-Krise bis ins nächste Jahr dauert, 'dann wird es ernst': Hans-Jürgen Schneider, Standortleiter der ZF-Werke in Schweinfurt.
Foto: Martina Müller | Wenn die Corona-Krise bis ins nächste Jahr dauert, "dann wird es ernst": Hans-Jürgen Schneider, Standortleiter der ZF-Werke in Schweinfurt.
Frage: Herr Schneider, müssen die ZF-Beschäftigten in Schweinfurt in der aktuellen Lage Angst um ihre Jobs haben?

Hans-Jürgen Schneider: Das hängt davon ab, wie lange diese schwierige Phase dauert. Wir haben bis Ende Juni Kurzarbeit im Plan, gehen aber davon aus, dass es sich bis Ende des Jahres hinziehen wird. Aktuell muss niemand um seinen Job fürchten. Wenn sich der Markt allerdings langfristig nicht richtig erholt, wird Ihre Frage relevant werden.

Wie lange wird es also noch dauern, bis es ernst wird für die Schweinfurter?

Schneider: Wenn wir im zweiten Halbjahr wieder auf einen vernünftigen Sockel kommen, dann kriegen wir das Ganze hin. Wenn es ins nächste Jahr hinläuft, dann wird es ernst.

Was passiert dann?

Schneider: Wir sind sehr diversifiziert aufgestellt. Das hängt davon ab, wie sich der Pkw- und Nutzfahrzeuge-Markt, aber auch der Markt im Bereich Schiene und Sonderanwendungen entwickelt und vor allem, wie die E-Mobilität wächst. Die genaue Entwicklung kann niemand vorhersagen und wenn ich das für die Zukunft wüsste, würde ich damit gerade viel Geld verdienen. Wir fahren wie alle Unternehmen derzeit auf Sicht, das heißt, wir planen monatlich unsere liquiden Mittel und versuchen, uns und unsere Finanzen zu optimieren. Und zwar in dem Sinne, die Arbeitsplätze zu sichern und zu erhalten.

Im schlimmsten Fall: Wie viele Arbeitsplätze sind mittelfristig in Schweinfurt in Gefahr?

Schneider: Da gibt es keine Zahl. Es werden irgendwann wieder Autos gebraucht. Das Auto wird ja jetzt nicht abgeschafft wegen Corona. Ich bin der Meinung, Mobilität ist ein Grundbedürfnis in der Gesellschaft. Wir befinden uns aktuell in der Transformation hin zur E-Mobilität. Da sind wir in Schweinfurt sehr gut aufgestellt, weil wir zukünftig wichtige Produkte im Portfolio haben und alle Varianten der E-Mobilität unterstützen. Das kompensiert einige Marktveränderungen, die durch die Corona-Krise im Nachgang entstehen. Aber wie viel, wie stark, wie schnell – das kann heute niemand sagen.

Da Corona sowohl Ihre Kunden als auch Ihre Lieferanten in aller Welt getroffen hat: Was tut ZF in Schweinfurt momentan am meisten weh?

Schneider: Die fehlende Nachfrage seitens der Kunden. Wir sind aufgrund unserer Größe schon immer Beschaffungsweltmeister gewesen. Wir konnten lokale Krisen schon immer managen. Ein chinesischer Lieferant etwa kann durch einen europäischen oder nordamerikanischen ersetzt werden – und umgekehrt. Corona schlägt ja nicht gleichzeitig an allen Punkten der Welt zu. Das hilft uns in der Beschaffung. Wenn es aber an diejenigen, die die Autos und die Lkws bauen, nichts zu verkaufen gibt, dann haben wir ein Problem.

Müssen Sie also Ihre Werke in Schweinfurt in unterschiedlichem Maße hochfahren, also nicht alle auf einmal?

Schneider: Das tun wir gerade, abhängig von den unterschiedlichen Märkten. Denn das ist unser Geschäft: flexibel auf die Volatilität von Märkten zu reagieren.

Das stelle ich mir schwierig vor, was den Wiedereinsatz des Personals angeht.

Schneider: Das stimmt, es ist keinesfalls leicht. Aber wir haben in Schweinfurt eine entsprechende Infrastruktur, die sich über die letzten Jahrzehnte hinweg bewährt hat. Und das Ganze kombiniert mit einer internationalen Vernetzung von ZF, auf die wir setzen können. Wir können innerhalb der Werke von A nach B schieben. Sei es, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verlagern, zu versetzen oder temporär auszutauschen – diese Klaviatur können wir seit Jahren spielen und diese Erfahrung hilft uns gerade sehr. Hinzu kommt auch die seit Jahren gute und lösungsorientierte Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung.

"Die Guten werden gestärkt aus der Krise herausgehen."
ZF-Standortleiter Hans-Jürgen Schneider über die Lage der Autozulieferer in Zeiten von Corona.
Wenn solch großen Werke wie in Schweinfurt wieder hochgefahren werden, legt man ja nicht mal eben nur einen Schalter um. Das sind vielmehr komplexe Vorgänge. Was ist dabei die größte Gefahr?

Schneider: Dass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefährden. Es wäre fatal, wenn wir in unsere Werke die berühmte zweite Infektionswelle holen. Es ist somit sehr wichtig, dass wir sehr kalkuliert und sehr sorgfältig den Hochlauf zusammen mit den Beschäftigten umsetzen. So fahren wir dann Linie für Linie hoch und nicht alle gleichzeitig.

Werden Sie von den Behörden kontrolliert, ob sich Ihre 9000 Mitarbeiter an die Corona-Regeln im Betrieb halten?

Schneider: Bis dato nicht. Es ist aber auch nicht nötig, weil wir schon in sehr engem Kontakt mit den Behörden stehen und unsere Maßnahmen mit ihnen abstimmen. Wir gelten als sehr seriös in der Umsetzung. Deshalb steht Vertrauen vor Kontrolle. Unabhängig davon ist es uns selbst am wichtigsten, dass sich alle an die ausgegebenen Regeln halten. Und da sind wir sehr streng.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will per Gesetz ein Recht auf Homeoffice erreichen. Nun ist ZF in Schweinfurt vor allem ein produzierender Betrieb. Welche Resonanz auf ein Homeoffice-Recht erwarten Sie in Ihren Werken?

Schneider: Ich glaube nicht, dass das Gesetz so durchgeht. Wenn doch, dann müssen wir es eben befolgen. Bei uns arbeiten rund die Hälfte mehr oder weniger direkt in den Produktionsbereichen, die andere Hälfte im sogenannten indirekten Bereich wie Verwaltung, Entwicklung und Vertrieb. Wir haben bereits eine hohe Quote von mobiler Beschäftigung im indirekten Bereich. Diese Quote haben wir wegen Corona sogar erhöht. Dabei haben wir festgestellt, dass uns die Digitalisierung Vorteile bringt. Ich erwarte, dass wir künftig diese Instrumente noch mehr nutzen werden als vorher. Ich wage zu behaupten, dass wir nach der Corona-Krise sehr viel weniger reisen werden, weil wir dann vieles virtuell umsetzen. In der Produktion macht das Thema Homeoffice aber schlicht und ergreifend keinen Sinn.

Geschäftsführer Martin Büchs von Jopp in Bad Neustadt hat kürzlich im Interview behauptet, dass die Autozulieferer hierzulande die Corona-Krise meistern werden. Sehen Sie das ähnlich?

Schneider: Ja. Die Guten werden sogar gestärkt aus der Krise herausgehen.

Das klingt nach Marktbereinigung und Konzentration: Es gibt bald nur noch wenige Große, die Kleinen fallen hinten runter.

Schneider: Nein. Gut heißt nicht groß. Gut heißt: agil, schnell, flexibel. Büchs ist mit Jopp auf jeden Fall unter den Guten. So wie wir.

Sie haben große Verantwortung für die Werke in Schweinfurt mit ihren gut 9000 Beschäftigten. Wie viel Angst haben Sie vor der Situation, in der ZF steckt? Oder anders gefragt: Wie gut schlafen Sie zurzeit?

Schneider: Ich schlafe sehr gut. Wenn ein Schiff in einen Sturm gerät, kommt es auf eine gute und erfahrene Mannschaft an. Wir sind jetzt gefordert, das Schiff ZF auf Kurs zu halten. Es ist keine Kunst, ein Schiff in ruhiger See zu fahren. Aber es ist auch nicht das erste Mal, dass wir in unserer 125-jährigen Geschichte des Standortes Schweinfurt eine Krisensituation meistern. Wir sind sicherlich angespannt, man kann auch sagen: besorgt. Aber wir haben keine Angst. Denn Angst ist ein schlechter Lehrmeister.

ZF in Schweinfurt

Die ZF Friedrichshafen AG zählt zu den größten Autozulieferern der Welt. Das Unternehmen hat sich auf Fahrwerke und Antriebe spezialisiert. Die Elektromobilität insbesondere in Form von reinen Elektroautos oder Plug-in-Hybriden als Mischform von Elektro- und Verbrennungsmotor spielen für ZF mittlerweile eine zentrale Rolle. Das Kürzel steht für "Zahnradfabrik". Der nicht börsennotierte Konzern gehört zum Großteil einer Stiftung, die von der Stadt Friedrichshafen geleitet wird. Die Unternehmensbereiche von ZF sind in sogenannte Divisionen unterteilt. Schweinfurt ist der Sitz der Division Elektromobilität.
Mit 9100 Festangestellten in Schweinfurt ist ZF der mit Abstand größte kommerzielle Arbeitgeber in Mainfranken. Verantwortlich für den Betrieb in den auf das Stadtgebiet verteilten Werken ist seit 2016 Hans-Jürgen Schneider. Nach seinen Worten sind derzeit 55 Prozent der ZF-Belegschaft in Schweinfurt wegen der Corona-Krise in Kurzarbeit. Der 60 Jahre alte Diplom-Ingenieur kam im Kreis Schweinfurt zur Welt, studierte in Würzburg und ging 1986 zu Fichtel & Sachs in Schweinfurt. Seit diesem Jahr leitet Schneider die Abteilung Forschung und Entwicklung im Unternehmensbereich Elektromobilität.
aug
 
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