Beim internationalen Modehändler s.Oliver in Rottendorf bei Würzburg schrillen erneut die Alarmglocken: Das Unternehmen mit weltweit knapp 6000 Mitarbeitern baut seit diesem Montag 200 Stellen ab – die meisten davon in der Zentrale in Rottendorf, wie Konzernchef Claus-Dietrich Lahrs am Dienstag gegenüber dieser Redaktion sagte.
Bereits im März hatte s.Oliver bekanntgegeben, am Stammsitz 170 Beschäftigte auf die Straße zu setzen. Wurde damals ein genereller Konzernumbau als Hauptgrund angegeben, sieht Lahrs nun in erster Linie die langfristigen Folgen der Corona-Krise als Auslöser der zweiten Kündigungswelle. Für die nächsten zwei bis drei Jahre sei aber "nicht davon auszugehen", dass weiteres Personal zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Schieflage abgebaut werden müsse.
Sprecherin Verena Väth zufolge wurde die Belegschaft am Montag mittels eines Videos im s.Oliver-Intranet über die neue Kündigungswelle in Kenntnis gesetzt. Darüber hinaus sei jeder Betroffene individuell informiert worden, ergänzte Lahrs und betonte: "Wir gehen sehr fair vor."
Darunter will der Chef der Geschäftsführung unter anderem verstanden wissen, dass insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit von Mitarbeitern bei der Auswahl der Kündigungen eine Rolle gespielt habe. Wie die Redaktion aus dem Konzernumfeld erfuhr, sind sowohl langjährig Beschäftigte als auch Alleinerziehende unter denen, die nun gehen müssen. Solche Personenkreise seien für die Kündigungen aber nicht vorrangig herangezogen worden, entgegnete Lahrs.
In die Sozialauswahl war kein Betriebsrat eingebunden, weil s.Oliver ein solches Gremium nicht hat. Auch die Gewerkschaft Verdi wurde laut Lahrs nicht konsultiert. Der für Handel zuständige Verdi-Vertreter Peter König in Würzburg sagte am Dienstag auf Anfrage, dass er von der erneuten Kündigungswelle von s.Oliver vorab nichts erfahren habe. Dass das Unternehmen keinen Betriebsrat hat, erweise sich nun erneut als massiver Nachteil für die Belegschaft.
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Nach Unternehmensangaben werden auch diesmal die Gekündigten bei der Suche nach einer neuen Arbeit unterstützt. Wie schon in Folge der März-Kündigungen arbeite s.Oliver dazu erneut mit der Düsseldorfer Agentur "von Rundstedt & Partner" zusammen.
Auslöser des Abbaus der 200 Stellen ist laut Lahrs ein "signifikanter Rückgang der Umsatzprognose", den er bis Jahresende erwartet. Genaue Zahlen dazu gebe es intern, "die können wir aber nicht kommunizieren".
Der Konzern hatte für 2017 und 2018 einen Umsatz von jeweils 1,3 Milliarden Euro gemeldet. Für 2019 liegen noch keine Zahlen vor. In welchem Fahrwasser sich s.Oliver offenbar befindet, deutet der Jahresüberschuss in den beiden genannten Jahren an: Er ging von 91 auf 45 Millionen Euro zurück.
Wegen der Schließung von Läden im Rahmen der Corona-Krise galt für die etwa 1500 Beschäftigten in Rottendorf von 1. April bis 11. Juni Kurzarbeit. Für sie habe s.Oliver das Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent aufgestockt. Es liegt normalerweise bei 60 oder 67 Prozent – je nachdem, ob der Beschäftigte eigene Kinder zu versorgen hat.
Lahrs strebt an, das vor 51 Jahren in Würzburg gegründete Unternehmen bis spätestens 2023 wirtschaftlich wieder auf das Niveau der Vorjahre zu bringen. Corona habe die generelle Krise im Textileinzelhandel verschärft. Das sieht auch Verdi-Vertreter König so.
Mit Blick auf die aktuellen Kündigungen "haben wir uns das ganze Unternehmen angeschaut". Der Fokus sei dann auf Abteilungen gerichtet worden, deren Umsatz stagniert. Kündigungen gibt es laut Lahrs auch bei den angegliederten Marken wie Comma oder Liebeskind.
Der 57 Jahre alte Lahrs steht seit November an der Spitze von s.Oliver. Er löste Unternehmensgründer Bernd Freier (73) ab, der in den Ruhestand ging, dem aber nach wie vor großer Einfluss nachgesagt wird. Welchen Einfluss er auf die aktuelle Kündigungswelle ausgeübt hat, ließ Lahrs offen. Freier sei "rechtzeitig informiert worden".