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Schweinfurt
IG Metall drängt auf Tempo bei der Elektromobilität
Gewerkschaftschef Jörg Hofmann will bei der Transformation in der Automobil- und Zuliefererindustrie die Beschäftigten beteiligen. Forderungen stellt er auch an die Politik.
Bei Schaeffler war Gewerkschaftschef Jörg Hofmann Teilnehmer der 'Werkstatt Automobil'.
Foto: Karl-Heinz Körblein | Bei Schaeffler war Gewerkschaftschef Jörg Hofmann Teilnehmer der "Werkstatt Automobil".
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:51 Uhr

Seit Oktober 2015 ist Jörg Hofmann Erster Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall. Davor war er Zweiter Vorsitzender und davor Bezirksvorsitzender der IG Metall Baden-Württemberg. In diesen Funktionen führte er die Verhandlungen bei vielen Tarifabschlüssen. In dieser Woche war der 63-Jährige Teilnehmer der "Werkstatt Automobil", die in Schweinfurt für Gewerkschafter des Schaeffler-Konzerns stattfand.

Frage: Die "Werkstatt Automobil" findet in diesem Jahr in Schweinfurt statt. Warum?

Jörg Hofmann: Schweinfurt wird von der Neuaufstellung der Wertschöpfungskette im Fahrzeugbau besonders betroffen sein. Die Region ist wie wenige andere geprägt von Zulieferern, die Komponenten für den Verbrennungsmotor herstellen.

Sie haben gesagt, "wenn nichts passiert drohen industrielle Wüsten".

Hofmann: Wir haben als IG Metall einen Transformationsatlas erstellt und dazu 2000 Betriebe bezüglich Digitalisierung und Dekarbonisierung befragt. Dabei haben wir festgestellt, dass es einige Regionen gibt, die stark geprägt sind von der Zulieferung für den Verbrennungsmotor. Das gilt beispielsweise außer für Schweinfurt auch für das Saarland und etwa in Mittelhessen. Hier stellt sich die Frage, wie der Rückgang kompensiert wird. Es besteht die Gefahr, dass einige Regionen wegbrechen werden, wenn wir nicht rechtzeitig gegensteuern und die Arbeitgeber nicht neue Geschäftsmodelle und Produkte entwickeln. Ansonsten kann schnell ein Vakuum entstehen. Dabei geht es nicht nur um die Zulieferer selbst, sondern um ein ganzes Biotop von Unternehmen, von den Handwerkern bis zum örtlichen Einzelhandel.

Das Fraunhofer Institut geht davon aus, dass 2030 etwa 40 Prozent der Pkw mit Verbrennungsmotor fahren, 35 Prozent als Hybride und 25 Prozent rein elektrisch unterwegs sein werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Hofmann: Über Prozentzahlen kann man sicher streiten. Ich erwarte, dass 2030 die Hälfte der Fahrzeuge, die zugelassen werden, entweder vollelektrische oder Hybridfahrzeuge sein werden. Damit kann die deutsche Industrie die CO2-Flottenziele erreichen. Sie müssen davon ausgehen, dass es auf anderen Märkten wie in Südeuropa schwer sein wird, Elektroautos im großen Umfang abzusetzen. Geht die Entwicklung weg vom Verbrenner zum Hybrid ist dies weniger problematisch, weil dafür teilweise zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Massive Arbeitsplatzverluste wird es aber bei den reinen Elektrofahrzeugen geben.

Es gibt neue Marktteilnehmer, die nicht dem klassischen Metallbereich angehören, Tesla oder der Hersteller des Postlieferfahrzeugs. Muss sich die IG Metall um Mitglieder sorgen?

Hofmann: Das Post-Lieferfahrzeug wird inzwischen von Ford mitproduziert, weil die industriellen Grenzen solcher Start-ups schnell erreicht sind. Bei Ford sind wir gut organisiert und freuen uns, einen neuen Betrieb hinzuzugewinnen. Was Tesla betrifft: Wenn man jedes Jahr Milliarden verbrennen kann, tut man sich natürlich leicht. Das könnte sich kein deutsches Unternehmen leisten. Bei Tesla sind die Bäume nicht in den Himmel gewachsen. Es gab ja einige Rückschläge. Die deutsche Industrie ist inzwischen, was die technologischen Standards für die Elektromobilität betrifft, gut aufgestellt. Deswegen sind nicht die Technologie und die Produkte das Problem, sondern das Problem ist, dass der Kunde nicht mitzieht.

Sie fordern die Transformation unter Beteiligung der Beschäftigten. Wie könnte das aussehen?

Hofmann: Wir wollen die Arbeitgeber verpflichten, sich Gedanken darüber zu machen wie sich Beschäftigung künftig entwickelt. Aus den Berechnungen des Fraunhofer Instituts leiten wir ab, dass allein in der Produktion mehr als 120 000 Arbeitsplätze wegfallen. Hinzu kommen noch Verluste in Forschung, Entwicklung und in den Werkstätten. 40 000 Arbeitsplätze könnten erhalten werden, wenn die Komponenten für die Elektromobilität in Deutschland gefertigt würden. Das würde jedoch bedeuten, dass in Standorte wie Schweinfurt massiv investiert wird. Das aber ist nicht durchgängig der Fall. Oft wird versucht, diese neue Komponentenfertigung nach Osteuropa zu verlagern. Wir erwarten jedoch auch, dass durch das autonome Fahren oder durch neue Mobilitätservices Arbeitsplätze entstehen. Nicht der Saldo ist das Problem. Das Problem ist: Wie bekomme ich gut bezahlte, tariflich abgesicherte Arbeitsplätze? Wie werden die Beschäftigten qualifiziert? Arbeitgeber nutzen den Wandel oft auch, um Standards nach unten zu drücken. Beim Mobilitätsservice beispielsweise entstehen massenweise prekäre Arbeitsverhältnisse.

An Ihrer Tagung in Schweinfurt nahm auch die Arbeitsdirektorin von Schaeffler, Corinna Schittenhelm, teil. Ist das ein Zeichen, dass Unternehmen und Arbeitnehmervertreter auf einem guten Weg sind?

Hofmann: Wir stehen in einem engen Austausch, haben teilweise gemeinsame Interessen. Etwa wenn es darum geht, dass die Mobilitätswende gelingt. Und da sind wir zunehmend abhängig davon, dass die Politik nachzieht, beispielsweise bei der Ladeinfrastruktur. Gemeinsame Interessen haben wir auch in der Frage der Herstellung von Batteriezellen in Deutschland. Das geht nur dann, wenn diese etwa von der EEG-Umlage befreit wird.

Bei Schaeffler gibt es eine Zukunftsvereinbarung zwischen Management und Betriebsrat, die unter anderem einen Innovationsfonds über 50 Millionen Euro vorsieht. Ist das beispielgebend?

Hofmann: Wir haben eine ganze Reihe von Unternehmen, wo es unseren Betriebsräten gelungen ist, solche Zukunftsvereinbarungen zu treffen. In Großbetriebsstrukturen ist dies erreichbar. Ich mache mir jedoch viel mehr Sorgen, was die Zulieferer in der zweiten, dritten und vierten Reihe betrifft. Weil deren Finanzkraft oft nicht ausreicht, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Sie wollten dies beim Automobilgipfel in Berlin ansprechen.

Hofmann: Wir haben auf dem Gipfel eine gute Resonanz bekommen. Es kommt ja nicht oft vor, dass sich eine Branche mit so hochkomplexen, hochvernetzten Zuliefererstrukturen dermaßen verändert. Wir brauchen deshalb für den Umstellungsprozess staatliche Unterstützung, beispielsweise sollte die Politik unsere Idee aufgreifen, Mittelstandsfonds aufzulegen, um die Transformation zu sichern, bevor Unternehmen wegbrechen. Denn sonst werden sie entweder von irgendwelchen Haien aufgekauft oder sie sind insolvent.

Am 29. Juni demonstriert die IG Metall in Berlin. Mit welchen Zielen?

Hofmann: Wir wollen Politik und Arbeitgeber aufrütteln, jetzt zu handeln. Unser Transformationsatlas zeigt, dass knapp 50 Prozent der Arbeitgeber kein Bild davon haben, wie es weitergeht. Die Auftragsbücher sind zwar gerade noch voll, aber was ist in zwei, drei Jahren? Die fahren im Nebel gegen die Wand. Die Politik muss dringend handeln, bei der Ladeinfrastruktur, beim Thema Batterie, beim Autonomen Fahren. Es gilt, die digitale Infrastruktur weiterzuentwickeln. Bei der Fahrt von Amberg nach Schweinfurt hatte ich gerade mal eine Stunde ein Netz. Und das im Hochtechnologieland Bayern. Das sind Themen, die wir nicht aufschieben können.

 
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