Auftragsflaute, Kurzarbeit, Stellenabbau: Wie im Rest der Nation steuert auch in Mainfranken die Wirtschaft auf ein Tal der Tränen zu. Wie heftig das wird, weiß niemand genau. Von Krise und allgemeiner Angst vor Jobverlust will Peter Kippes von der IG Metall in Schweinfurt nicht reden. Vielmehr geht er davon aus, dass Mainfranken dem konjunkturellen Gegenwind gut standhalten kann.
Frage: Steuert Mainfrankens Wirtschaft auf eine so heftige Krise zu, wie sie Schweinfurt Anfang der 1990er Jahre erlebte?
Peter Kippes: Das glaube ich nicht, weil wir – anders als Anfang der 1990er Jahre – eine andere Voraussetzung haben. Die Betriebe sind anders aufgestellt, die Produktportfolios haben sich mittlerweile massiv verändert. Da bin ich nicht so pessimistisch.
Betriebe sind anders aufgestellt: Was genau meinen Sie damit?
Kippes: Anfang der 1990er Jahre gab es noch viele einfache Tätigkeiten. Und es gab noch sehr viel Massenproduktion, die sich zwischenzeitlich nach Osteuropa oder in andere Teile der Welt verabschiedet hat. Mittlerweile sind die allermeisten Betriebe mit hochqualifizierten Leuten und mit komplizierten Produktabläufen durchsetzt. Die Bedingungen sind nicht mehr vergleichbar.
In welchem Maße rechnen Sie in nächster Zeit mit Entlassungen?
Kippes: Wenn ich das vorhersehen könnte, wäre ich ein sehr gefragter Gesprächspartner. Das ist im Moment nicht absehbar. Jörg Hofmann (Anmerkung der Red.: Er ist Bundesvorsitzender der IG Metall) hat vorvergangene Woche beim Gewerkschaftstag die Formulierung gebraucht: "Es wäre vermessen zu sagen: Es wird sich nicht ändern". Dem schließe ich mich an. Aber ich bin mir sicher, dass wir mit der Erfahrung aus 2008/2009 und den folgenden Jahren genügend Werkzeuge in den Händen halten, dass wir Veränderungen bei den Produkten und beim Absatz so abfedern können, dass die Region trotzdem eine Zukunft hat.
Wenn Stellen in mainfränkischen Betrieben abgebaut werden, welche Berufstypen und Qualifikationen sind dann vor allem betroffen? Welcher Typ Arbeitnehmer muss sich also am meisten Gedanken machen?
Kippes: Es gibt keine Zielgruppe, die besonders betroffen ist. Wir sind anders als Anfang der 1990er Jahre jetzt in einer Situation, in der wir drei Veränderungspotenziale haben. Erstens haben wir über die Digitalisierung vieles am Start, was in allen Arbeitsbereichen zur Anwendung kommen kann. Es geht hier unter anderem um automatisierte Prozesse in der Administration. Zweitens haben wir die Situation, dass die Unternehmen zunehmend merken, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, Dinge in A zu produzieren, in B zu veredeln und in C zu verkaufen. Drittens haben wir konjunkturelle Auswirkungen, bei denen ich mir nicht zutraue, für die nächsten zwei Jahre eine Prognose abzugeben. In dieser Mischung ist keiner sakrosankt, aber auch keiner garantiert betroffen.
Wie ist die Stimmung in den Belegschaften? Kommen schon vermehrt Arbeiter in Angst zur IG Metall, um Rat zu suchen?
Kippes: Wir sind bei den direkt Beschäftigten – also das, was Sie Arbeiter nennen – hochgradig organisiert. Sie spüren, dass es den Betrieben im Moment um die Sicherung ihrer Erträge geht. Wir haben nirgendwo einen nachweisbaren Rückgang, der Sparpakete rechtfertigt oder der rechtfertigt, dass man über Entlassungen redet. Derzeit geht es darum, dass die Margen geringer werden und die Betriebe alles dafür tun, um Margen zu halten.
Ist das Wort Krise also übertrieben?
Kippes: Ja. Die meisten Unternehmen haben etwas erwartet, was jetzt nicht eintrifft. Haben sich breit aufgestellt. Da ist Schaeffler als erstes zu nennen. Die haben sich die Automobilindustrie auf eine bestimmt Art vorgestellt, haben die Kapazitäten ausgeweitet – und jetzt kommen die Verkäufe bei der Elektromobilität noch nicht so, wie Schaeffler das erwartet hat. Das wird jetzt angepasst und ist hausgemacht. Dazu könnte ich Ihnen ein paar weitere Beispiele nennen.
Was raten Sie jenen, die zu Ihnen kommen und sagen: Herr Kippes, ich habe Angst um meinen Job?
Kippes: Angst ist immer schwierig, Angst ist kein guter Ratgeber. Ich verweise nochmal auf 2008/2009. Wir haben es damals zusammen mit den verantwortungsvollen Arbeitgebern hingekriegt, dass wir gesagt haben: Wenn es ökonomisch zu wenig Nachfrage gibt für die Zahl der Beschäftigten, dann gibt es nur die Stellschraube, die vorhandene Arbeit anders zu verteilen – oder zu entlassen. Dies wäre damals zum Nachteil der Arbeitgeber gewesen. Und wäre es heute auch, weil wir in der Region die hochqualifizierten Leute brauchen.
Das heißt also aus Ihrer Sicht, dass der allgegenwärtige Fachkräftemangel etwas Positives hat, weil er die Unternehmen zwingt, ihre guten Leute auch in der Krise zu halten?
Kippes: Es wäre schöner, wenn es die Unternehmen aus Überzeugung machten. Aber natürlich haben sie da ein Stück weit einen Handlungsdruck. Es weiß keiner, wie lang eine solche ökonomische Delle dauert und wie tief sie wird. Aber man weiß auf jeden Fall: Wenn man Leute braucht, ist das nicht selbstverständlich, dass man sie auch bekommt.
Von Bosch Rexroth bis Schaeffler, SKF und ZF haben die großen Industrieadressen in Mainfranken Stellenstreichungen oder Kurzarbeit als Maßnahmen gegen die Talfahrt ergriffen. Ist das die richtige Reaktion?
Kippes: Nein. Ich glaube vielmehr, dass das viel zu massiv ist. Ich habe die Theorie, dass die Unternehmen jetzt das nachholen wollen, was sie eigentlich vor zehn Jahren schon vor hatten. Also strategische Veränderungen und die Frage, wo ich was produziere. Einige Arbeitgeber nutzen die Krisenszenarien am Horizont, um zu sagen: Wir müssen reagieren, wir müssen verlagern. Diesen Zusammenhang gibt es aber nicht.
Was hören Sie von den kleineren Betrieben, die an ZF und Co. hängen? Wie geht es denen?
Kippes: Die Firma Reich in Mellrichstadt zum Beispiel: Sie macht Hochpräzisionsdrehteile, die in der Dieseltechnologie genutzt werden. Da ist eine Delle, das ist nicht wegzudiskutieren. Das trifft nicht nur Reich, die sind nicht die Einzigen. Da kommt langsam ein Cash-Flow-Problem, weil diese Unternehmen nicht so große Finanzmittel auf der hohen Kante haben, die es ihnen erlauben, ein Tal zu durchwandern. Das wird dann eher ein Finanzierungsproblem bei den Banken. Deswegen ist die IG Metall bundesweit dran, einen Mittelstandsfonds aufzulegen.
2020 beginnt die nächste Metall-Tarifrunde in Bayern. Von der Arbeitgeberseite, für die zurzeit die Luft dünner wird, werden Sie wohl kaum viel fordern können. Oder?
Kippes: Ich glaube, dass den Arbeitgebern klar ist, dass sich die Lebenshaltungskosten für die Leute auch verändern. Bei der Frage, was wir fordern, müsste ich vorgreifen. Das ist aber keine gewerkschaftliche Tradition. Definitiv wird es 2020 eine Tarifrunde geben. In der Mischung wird es von uns eine Forderung geben, die in die Welt passt.
Was macht Ihnen Hoffnung mit Blick auf die aktuelle Talfahrt der Konjunktur?
Kippes: Wir haben Leute, die hochmotiviert und hochqualifiziert sind. Wir haben in der Region eine Infrastruktur, die ihresgleichen sucht. Wir haben in der Region ganz viel Forschung und Entwicklung. Wir haben eine gute Unterstützung durch die Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Wir haben die Universität in Würzburg. Also: Wir haben unterm Strich all das, was eine Hochtechnologie-Region braucht.