Manuel Putre, Betriebsleiter der Reiteralm-Bergbahnen in Schladming (Österreich) ist vorsichtig, wenn es um die Sicherheit der bei Skifahrern und Wanderern beliebten Bergbahn geht. Weil er genau hinschaut, wenn es zum Beispiel um den Ersatz von Verschleißteilen geht, hat er kürzlich einen wahrscheinlichen Störfall verhindert, der den Gästen der Seilbahn mindestens eine unfreiwillige Zwangspause beschert hätte. Eine Pause, die wohl erst durch die Evakuierung durch die Bergrettung bei eisigen Temperaturen aus den stehenden Gondeln ihr Ende gefunden hätte.
Was war geschehen? Manuel Putre hatte neue SKF-Wälzlager für die Rollenbatterien auf den Stützsäulen der Bergbahn bestellt. Zwischen 300 und 400 solcher Lager würden pro Jahr routinemäßig ausgetauscht, um den Betrieb zuverlässig am Laufen zu halten, teilte Putre mit.
Das kostet Geld. Gelegenheiten zum Sparen sind willkommen und eine solche schien sich für Putre aufgetan zu haben. Denn der Betriebsleiter griff ausnahmsweise auf ein "Sonderposten-Angebot" eines "freien Händlers aus Südtirol" zurück, der auf seiner Website Wälzlager diverser Hersteller gelistet hatte und wegen "coronabedingt niedriger Nachfrage" außergewöhnlich günstige Preise bot.
Manuel Putre, auch beim Sparen auf Qualität bedacht, bestellte bei dem Händler Lager von SKF aus Schweinfurt. Doch als die Ware da war, stellte er schon beim Auspacken fest, dass etwas nicht stimmte.
Wie der Seilbahn-Betreiber die Produktfälschung entdeckte
Die abgedichteten Rillenkugellager, die den Dauereinsatz unter Extrembedingungen (zwischen minus 30 und plus 30 Grad) aushalten müssen, waren sehr leichtgängig und hatten viel Lagerspiel. Zwei äußere Hinweise, die vermuten ließen, dass es sich um Billigware handelte.
Putre öffnete einige Dichtungsdeckel und stellte fest, dass die üblicherweise bis zum Rand mit Fett gefüllten Lager nur wenig Schmiermittel aufwiesen. Ein Qualitätsmangel, den Putre von SKF-Lagern, wie sie in der Bergbahn zum Einsatz kamen, nicht gewohnt war.
Er wandte er sich an seinen regulären Lieferanten, den SKF-Vertragshändler G.O. Nilsson, den er angesichts des vermeintlichen Schnäppchens des Südtirolers diesmal "übergangen" hatte. Über ihn wurde der Kontakt zum SKF-Markenschutz-Team für Zentraleuropa in Schweinfurt hergestellt. Dort ließ man sich Musterexemplare der günstigen Lager zur Überprüfung zuschicken.
Das Untersuchungsergebnis war eindeutig: Trotz SKF-Produktverpackung und eingraviertem Firmen-Logo waren die Lager Fälschungen. Der Fall "Reiteralm" war geklärt, der "Händler" bekam Besuch von den Behörden, das Verfahren läuft.
Eine Betriebsstörung der Bergbahn wegen gefälschter Lager wurde in diesem Fall verhindert. Doch nicht immer werden Produktfälschungen bei Wälzlagern rechtzeitig erkannt. Manchmal wird solcher Lager-Schrott auch in sicherheitskritische Anlagen eingebaut, was fatale Folgen haben kann. Wie man solche Produktfälschungen erkennen kann, war das zentrale Thema eines Online-Markenschutz-Seminars, zu dem sich kürzlich mehr als 190 Firmen und Vertragspartner zugeschaltet hatten.
Wie brisant Produktpiraterie ist
3,3 Prozent – so hoch schätzen Experten weltweit den Anteil an Fälschungen von Markenwaren. Das gilt von der nachgemachten Sonnenbrille bis zum Turnschuh. Die Dimension der Produktpiraterie ist enorm: Von einem volkswirtschaftlichen Schaden von 54,5 Milliarden Euro hierzulande ging das Institut der deutschen Wirtschaft zum Beispiel 2019 aus.
Aber im Gegensatz zur Fake-Handtasche oder zur Kopie einer teuren Uhr kann ein nachgeahmtes Billig-Kugellager schlimme Folgen haben. Man denke zum Beispiel an Radlager bei Schienenfahrzeugen. "Das kann im schlimmsten Fall Menschenleben kosten", so Stefan Gladeck, Mitglied der SKF-Geschäftsführung.
So kommt man Produktfälschungen auf die Schliche
Er fordert dazu auf, im Hinblick auf Originalprodukte keine Kompromisse zu machen. Mittels QR-Codierung nicht nur auf den Umverpackungen, sondern auch direkt auf den Wälzlagern versuche man den Fälschern das Leben schwer zu machen.
Auch Rupert Motschenbacher, Markenschutz-Manager bei SKF, empfiehlt eindringlich: "Gefährden Sie nicht Ihre Kunden oder sich selbst, kaufen Sie Originalprodukte". Doch den Unterschied zu Plagiaten zu erkennen, sei für die Kunden alles andere als einfach.
Wie Fälscherbanden vorgehen
Professionelle Websites, täuschend echte "Echtheitszertifikate" und optisch vom Original kaum zu unterscheidende Verpackungen und Produkte sorgten dafür, dass gefälschte Lager immer wieder den Weg in Hochsicherheitsbereiche finden, so Motschenbacher. Fälscherbanden kaufen vor allem in Asien gefertigte Lager günstig ein, verpacken sie professionell, um sie dann, oft über weitere Zwischenhändler, anzubieten.
Motschenbacher weiß vom Fall einer Fake-Firma namens "Eric Bearing", dem Ermittler in Hongkong nachgegangen waren. Was im Internet wie ein professioneller Kugellager-Händler aussah, waren in Wahrheit zwei Hinterzimmer.
Ein Schlafzimmer und jede Menge falsche SKF-Verpackungen
Eins davon ein Schlafzimmer, in dem außer einem Bett stapelweise gefälschtes SKF-Verpackungsmaterial gefunden wurde. Ebenfalls im Zimmer: ein Lasermarker und ein Computer-Programm, mit dem das SKF-Logo den Lagern "eingebrannt" wurde. Doch egal wie augenscheinlich gut die Produkte nachgemacht seien, man könne immer davon ausgehen, dass sie deutlich früher als Qualitätsprodukte ausfallen, so Motschenbacher.
Immer wenn Produkte auffallend günstig und mit kurzer Lieferzeit angeboten würden, sei Misstrauen angesagt. Motschenbacher stellte bei dem Seminar eine App vor, mit deren Hilfe sich Kunden, die sich nicht sicher sind, ob sie ein falsches oder echtes Lager gekauft haben, bei SKF rückversichern können. Nach Anfragen über diese "SKF-Authentificate-App" bekämen Kunden innerhalb eines Tages eine Rückmeldung.
Eine App, die sich vermutlich auch Seilbahn-Betriebsleiter Manuel Putre auf seine Smartphone laden wird. Beim Seminar von der Reiteralm zugeschaltet, kündigte er an, künftig nur noch beim gewohnten Vertriebspartner zu kaufen.
18 Skianlagen hat Putre in Betrieb, in Spitzenzeiten befinden sich 4000 Gäste pro Stunde in den Gondeln und Liften. "Bei Stillstand einer Anlage wäre deren Evakuierung aus 25 bis 30 Metern Höhe der Worstcase gewesen" - das Schlimmste also, was passieren kann.