Die Diskussion, wann und wie lange Beschäftigte zukünftig arbeiten dürfen, geht weiter. Im Januar stand Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in der Kritik, als er im Interview mit dieser Redaktion forderte, die Arbeitszeitbegrenzung aufzuweichen. Er sprach damals aus, was sich Wirtschafts- und Unternehmensverbände seit langem wünschen.
Auch Warema-Chefin Angelique Renkhoff-Mücke glaubt, dass es eine Neuregelung braucht, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. "Unser heutiges Arbeitszeitgesetz stammt aus dem vorigen Jahrhundert", sagt die Vorsitzende des Digitalrates in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
Ein Beispiel: Will ein Familienvater früher von der Arbeit gehen, um das Theaterstück seiner Tochter zu sehen, ist das heute schon möglich. Auch liegengebliebene E-Mails kann er nachts um 23 Uhr noch beantworten – wobei diese Zeit laut einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs systematisch erfasst werden muss. Das Problem: Am nächsten Tag dürfte er nicht vor 10 Uhr anfangen zu arbeiten, selbst wenn er wollte. So sieht es die Regelung zur Ruhezeit vor.
Arbeiten im digitalen Zeitalter
Das Gesetz werde damit neuen Arbeitsmodellen und den Veränderungen durch die Digitalisierung nicht gerecht, kritisiert Renkhoff-Mücke. Sie fordert vom Gesetzgeber, eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einzuführen – de facto das Ende des Acht-Stunden-Tages.
Da die Anforderungen in Unternehmen und Abteilungen sehr unterschiedlich sein können, sollen die Details von den Betriebsparteien vor Ort verhandelt werden. Sie betont dabei, dass es nicht darum gehe, dass die Beschäftigten insgesamt mehr arbeiten müssen.
Die Gewerkschaften sehen das anders und befürchten eine verdeckte Ausweitung der Arbeitszeiten. Schon im Januar bezeichnete DGB-Regionsgeschäftsführer Frank Firsching Aiwangers Vorstoß als "konzentrierten Quatsch". In vielen Branchen – beispielsweise der Gastronomie – sei die Arbeitsbelastung enorm hoch, die Entlohnung dagegen unterdurchschnittlich. Darum solle sich zuerst gekümmert werden.
Große Koalition will "Experimentierräume"
Der Koalitionsvertrag ist an dieser Stelle vage formuliert. Demnach sollen "Experimentierräume" geschaffen werden, um flexiblere Arbeitszeiten zu "erproben" – jedoch nur für tarifgebundene Unternehmen. Wie das Arbeitszeitgesetz am Ende aussieht, bleibt unklar.
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Der SPD-Bezirksvorsitzende Bernd Rützel betont, dass die Arbeitgeber schon jetzt einen großen Spielraum hätten. Man müsse sich nur das Oktoberfest anschauen. Dort dauern die Schichten meist länger als acht Stunden, trotzdem bekommen die Veranstalter den Betrieb organisiert.
Unterfranken ist Schlusslicht bei Tarifbindung
"Eine Ausbeutung auf Kosten der Menschen machen wir nicht mit", sagt der SPD-Politiker. Der Acht-Stunden-Tag sei vor rund 100 Jahren eingeführt worden, um die Gesundheit der Arbeiter zu schützen. "Der Körper – das ist wissenschaftlich erwiesen – braucht diese Phasen der Erholung."
Bevor man also über flexible Arbeitszeiten sprechen könne, müssten zuerst Gewerkschaften und Betriebsräte gestärkt werden. Weniger als die Hälfte der Deutschen würden noch nach Tarif arbeiten, kritisiert Rützel.