Lange hat er gewartet. Im November war es dann soweit: Als stellvertretender Ministerpräsident sitzt Hubert Aiwanger jetzt an den Schalthebeln der bayerischen Wirtschaftspolitik. Im Interview erklärt er, was das für die Rolle der Freien Wähler im Freistaat bedeutet.
Frage: Seit vergangenem Herbst sitzen Sie mit am Kabinettstisch, trotzdem steht vor allem Markus Söder im Scheinwerferlicht. Sind die Freien Wähler jetzt der verlängerte Arm der CSU?
Hubert Aiwanger: Da haben die letzten Umfragen das Gegenteil bewiesen. Wir sind gewachsen und die CSU hat zwei Prozent verloren. Ich bin überzeugt, dass wir von der Regierungsbeteiligung profitieren werden. Eine reine Fortsetzung der CSU-Politik wird es mit uns nicht geben.
Doch wie ein großer Aufbruch wirkt der Koalitionsvertrag nun auch nicht.
Aiwanger: Das sehe ich anders. Als Freie Wähler konnten wir viele unserer Themen einbringen. Wir nehmen die ländlichen Regionen in den Blick, stärken den Mittelstand und investieren in Bildung. Auch die Energiewende ist ein großes Thema, das ich wieder anschieben will.
Schon im nächsten Jahr stehen die Kommunalwahlen an. Wird die Nähe zur CSU hier zum Problem? Geht ein Stück Ihrer Parteiidentität verloren?
Aiwanger: Nein, wir haben in den vergangenen Jahren gute Ergebnisse erzielt, da werden wir 2020 als Regierungspartei noch mehr schaffen. Unser Vorteil ist, dass wir tief in den Kommunen verwurzelt sind.
Als Wirtschaftsminister fordern Sie eine "unternehmerfreundlichere Politik". Als ersten Schritt wollen Sie die Arbeitszeitbegrenzung in der Gastronomie aufweichen. Müssen sich die Arbeitnehmer in Bayern Sorgen machen?
Aiwanger: Diese Vorstöße kommen doch von den Beschäftigten. Häufig arbeiten in den Gasthäusern keine Vollzeitbeschäftigten, sondern Bürger, die sich noch ein paar Euro dazu verdienen wollen. Mit der aktuellen Arbeitszeitrichtlinie ist das kaum möglich. Die Flexibilisierung würde ihnen helfen – natürlich nur auf freiwilliger Basis. Niemand wird gezwungen.
Aber ist nicht gerade der 8-Stunden-Tag ein hart erkämpftes Arbeitnehmerrecht.
Aiwanger: Auch die Selbstständigen und die Unternehmer müssen deutlich mehr als acht Stunden pro Tag arbeiten – oft bis tief in die Nacht. Und wenn Arbeitnehmer das auch wollen, dann soll man Ihnen das nicht verbieten.
Wollen Sie so dem Fachkräftemangel Herr werden?
Aiwanger: Die Arbeitsmarktflexibilisierung ist nur ein Schritt. Wir müssen auch durch mehr Technisierung die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Dafür brauchen wir keine zusätzlichen Fachkräfte. Ich sehe durchaus auch Chancen darin, an Stellen, wo Personal fehlt, den Menschen durch Maschinen zu ersetzen.
Gewinne aber entstehen dadurch nur auf Seiten der Arbeitgeber. Braucht es dann einen Umverteilungsmechanismus?
Aiwanger: Nein. Eine Strafsteuer auf Maschinen und Technik brauchen wir nicht. Unternehmen, die modernisieren und investieren, sollten wir nicht zusätzlich belasten.
Als Beobachter hat man oft das Gefühl, den Freien Wählern fehlt der Blick über den bayerischen Tellerrand hinaus. Sie stehen Freihandelsabkommen skeptisch gegenüber, wollen kein europäisches Energienetz und nicht in Europa investieren. Denken Sie zu klein?
Aiwanger: Nein, das ist realistisch gedacht. Viele große Manöver, die uns angekündigt wurden, beispielsweise in der Energiepolitik stellen sich als unbezahlbare Visionen heraus, die die Menschen nicht akzeptieren. Ich erinnere zum Beispiel an den großen Widerstand gegen die SuedLink-Trasse. Sinnvoller wäre es, erstmal die bestehenden Netze zu optimieren.
Nochmal gefragt: Sie lehnen eine verbindliche europäische Sozialpolitik genauso ab, wie die Aufnahme der Westbalkanstaaten. Sind Sie ein Europa-Skeptiker?
Aiwanger: Ich bin jedenfalls niemand, der bei jedem Brüsseler Manöver "Hurra" schreit. Der Brexit beispielsweise ist auch das Ergebnis einer Europapolitik, die die Engländer verschreckt hat – besonders durch die gescheiterte Flüchtlingspolitik. Ich dagegen stehe für ein Europa der Regionen. Und zum Thema europäische Sozialstandards: Die Bürger würden nicht akzeptieren, dass wir die Arbeitslosen in den Südländern bezahlen. Das würde die EU noch mehr spalten.
Als Staatsregierung haben Sie sich den Klimaschutz groß auf die Fahne geschrieben. Trotzdem kommt keine umfassende Agrarwende, kein dritter Nationalpark und eine Begrenzung des Flächenverbrauchs nur auf freiwilliger Basis. Sieht so eine ambitionierte Klimapolitik aus?
Aiwanger: Ja, denn ein Nationalpark wäre klimaschädlich. Dort würde Holz verfaulen, statt zur Energieerzeugung verwendet zu werden. Den Flächenverbrauch wollen wir auf fünf Hektar an Tag begrenzen, aber nur in Kooperation mit Kommunen und Mittelstand. Eine gesetzliche Verordnung würde das Wirtschaftswachstum abwürgen.
Bisher haben freiwillige Selbstverpflichtungen in der Wirtschaft aber selten funktioniert.
Aiwanger: Eine Deckelung des Flächenverbrauchs von heute auf morgen würde nicht funktionieren. Da könnte ich auch beschließen: Im Winter muss es warm bleiben, damit wir keinen Pullover brauchen. Das ist Unsinn.
Stichwort "Agrarwende": Auch hier vertrauen Sie dem Markt, statt verbindliche Regelungen zu schaffen.
Aiwanger: Eine Agrarwende gegen den Markt kann ich als Politik nicht erzwingen. Es geht hier um Privatbesitz und nicht um Staatsbetriebe. Außerdem sind die Felder der Landwirte nicht die Verfügungsmasse von Naturschützern. Ich kann auch dem Handwerker nicht vorschreiben, wie er arbeiten soll. Trotzdem steht es außer Frage, dass in Bayern mehr Ökoprodukte produziert werden müssen, um die heimische Nachfrage zu decken.