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Leinach/Würzburg
48 Jahre lang beim gleichen Arbeitgeber: Warum Erich Rügamer der Würzburger Stahlbaufirma Uhl so lange die Treue gehalten hat
Erich Rügamer (64) hat nie woanders gearbeitet als bei der Firma Uhl. Ein Gespräch über Bodenständigkeit, Unterstützung in schwierigen Zeiten und einen gelungenen Wechsel in die Rente.
Erich Rügamer aus Leinach (Lkr. Würzburg) ist sein ganzes Arbeitsleben lang ein und derselben Firma treu geblieben – in diesem Fall dem Stahlbaubetrieb Uhl in Würzburg.
Foto: Fabian Gebert | Erich Rügamer aus Leinach (Lkr. Würzburg) ist sein ganzes Arbeitsleben lang ein und derselben Firma treu geblieben – in diesem Fall dem Stahlbaubetrieb Uhl in Würzburg.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 09.02.2024 08:11 Uhr

So viel Treue zu einer Firma ist selten: Erich Rügamer begann 1973 als Schlosser-Lehrling beim Stahlbaubetrieb Uhl in Würzburg – und hatte seither nie einen anderen Arbeitgeber. Gut 48 Jahre lang.

Der 64-Jährige ist ein Beispiel dafür, wie Bodenständigkeit und Durchhaltevermögen Garant für ein erfülltes Arbeitsleben sein können. Eine Rarität im Übrigen: Nach Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bleiben Beschäftigte in Deutschland im Durchschnitt elf Jahre bei ein und demselben Unternehmen. Erich Rügamer hat mehr als das Vierfache geschafft. Wenn er zurückblickt, wird klar: Treue kann ein tragendes Fundament des (Arbeits-)Lebens sein.

Rügamer wollte nie woanders leben als in Leinach

Rügamer hat nie woanders gewohnt als in seinem Geburtsort Leinach (Lkr. Würzburg). Dort betreibt er nebenberuflich eine Obstbaumplantage, ist im Schützen- und Gartenbauverein in vorderer Reihe aktiv. Bodenständigkeit umgibt Rügamer permanent - und das ist für ihn alles andere als altmodisch.

Seit Anfang des Monats ist er Rentner. Ein Schritt, den viele Beschäftigte gleichermaßen fürchten und herbeisehnen. Nicht so Rügamer: Er zeigt, wie dieser Einschnitt im Leben funktionieren kann.

Frage: Herr Rügamer, wie hält man es 48 Jahre lang in ein und demselben Betrieb aus?

Erich Rügamer: Das hat sich einfach so ergeben. Eigentlich wollte ich schon nach der Lehre aufhören. Schlosser war nicht unbedingt der Beruf, den ich machen wollte. Ich wollte eigentlich Elektriker werden. Oder Automechaniker.

Was hat Sie dann doch so lange bei Uhl gehalten? Und wie bekommt man eine derartige Kondition, um auch lange Durststrecken zu bewältigen?

Rügamer: Es sind ja immer neue Leute gekommen. Dann ist es manchmal wieder besser gelaufen. Also hab' ich mir gesagt: Ich mache noch ein wenig weiter. Außerdem hat es Zeiten gegeben, da konnte man nicht so schnell wechseln. Vor allem in den 70er und 80er Jahren war es extrem schwierig, einen Job zu finden. Ich habe durchaus versucht, auch mal woanders unterzukommen. Zum Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer wollte ich zum Beispiel mal. Oder es hat Zeiten gegeben, da wollte ich umschulen.

Und trotzdem sind Sie 48 Jahre bei Uhl geblieben. Was ist das jetzt für ein Gefühl: endlich geschafft? Oder Stolz?

Rügamer: "Endlich geschafft" – nein, das kann ich nicht sagen. Es ging halt immer weiter in all den Jahren. Daheim kamen die Kinder auf die Welt, wir haben das Haus umgebaut, Schulden waren da – da war es zu unsicher, in eine andere Firma zu gehen. Bei Uhl war ich sicher.

"Unsichere Sachen habe ich eher nicht so gerne."
Erich Rügamer über seine Sicht der Dinge
Nie woanders gearbeitet als bei Uhl, nie woanders gelebt als in Leinach: Brauchen Sie diese Beständigkeit?

Rügamer: Ja, das kann man so sagen. Ich denke sehr langfristig. Unsichere Sachen habe ich eher nicht so gerne. In einem anderen Beruf hätte ich vielleicht eine Mark fünfzig mehr verdient. Aber dann hätte ich auch länger arbeiten müssen, auch am Samstag. Aber das wollte ich nicht wegen dem Obstanbau daheim.

Wie haben Sie sich nach so langer Zeit auf den Abschied von der Firma vorbereitet?

Rügamer: Das ging eigentlich schon 2012 los, als ich den Unfall mit meiner Hand hatte. (Anmerkung der Redaktion: Rügamer verlor damals mehrere Finger seiner linken Hand.) Da denkst du dir: Alles, was du bislang gemacht hast, ist jetzt weg. Ich war im Schützenverein ein guter Pistolenschütze – weg. Bei Uhl war fraglich, ob ich all das noch machen konnte, was ich bis dahin gemacht habe. Der damalige Chef hätte mich am liebsten gar nicht mehr genommen. Ich bin aber schon immer ein positiver Mensch gewesen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder gehst du in den Keller und heulst – oder du machst das Beste daraus.

Wie ging es nach dem Unfall weiter?

Rügamer: Ich war bei der Rentenversicherung und wollte auf Arbeitsunfähigkeit hinaus. Aber das war mir dann vom Geld her zu wenig. Bis dahin hatte ich schon 40 Jahre lang gearbeitet. Als mir der Mann von der Rentenversicherung gezeigt hat, wie viel Geld ich bekommen würde, hab' ich zu ihm gesagt: "Soll ich nicht lieber Hartz IV anmelden?" Ich habe mir dann überlegt: Entweder muss ich mir irgendwo was dazuverdienen, oder ich muss – so gut es geht – bei der Firma weiterarbeiten. Ich hätte dort schon mit 60 gehen können. Aber bei Uhl wollten sie, dass ich verlängere.

Immer weitermachen, durchhalten, nach vorne schauen: Ist das grundsätzlich die Haltung, die Sie in ihrem langen Berufsleben eingenommen haben?

Rügamer: Ja. Es ist wie in einer Ehe: Es gibt mal eine bessere und eine schlechtere Zeit. Es hat ja bei Uhl viele gute Zeiten gegeben. Früher, ach, das war ein Zusammenhalt! Wir sind abends auch mal zusammen in die Kneipe gegangen. Das war in den letzten Jahren nicht mehr so der Fall.

Zeigen Sie dieses Durchhaltevermögen auch im Privaten?

Rügamer: Kann man so sagen. Ich hasse es, wenn Leute schon bei geringstem Widerstand gleich aufgeben. Ich bin eben ein langfristig denkender Mensch.

Und was ist ihr langfristiges Ziel als Rentner?

Rügamer: 90 möchte ich schon werden, wenn’s geht (lacht). Und ein bisschen reisen. Ich wollte früher sogar mal auswandern. In Portugal und Kanada hatte ich mir schon Grundstücke angeschaut. Aber dann war da meine junge Familie - und meine Frau hätte wahrscheinlich nicht mitgemacht. Also habe ich es gelassen und hier das Beste daraus gemacht. Im Ausland ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Ich bin nicht der Mensch, der einfach alles hinschmeißt und etwas Neues macht.

"Ich habe keine Langeweile."
Erich Rügamer über seine Zeit als Rentner
Wie kommen Sie jetzt als Rentner klar? Stehen Sie zum Beispiel frühmorgens noch mit dem Gefühl auf, gleich zur Arbeit zu müssen?

Rügamer: Nee, das habe ich gleich abgestellt. Ich wache zwar oft um sieben Uhr auf - aber nur, weil mein Hund kommt.

Ist da wirklich kein Uhl-Gefühl mehr im Inneren?

Rügamer: Nein. Das kann ich gut trennen. Ich habe übrigens früher schon nicht verstanden, wenn die Leute, mit denen ich den ganzen Tag zusammengearbeitet habe, abends in der Kneipe noch von der Baustelle erzählt haben. Dann habe ich gesagt: "Jetzt ist Schluss mit Baustelle. Jetzt kannst du was von deiner Frau erzählen oder von sonst was."

Klingt so, als ob sie mit dem Wechsel in die Rente nicht in ein Loch gefallen sind.

Rügamer: Ja, stimmt. Ich bin ja immer noch genug beschäftigt. Ich habe keine Langeweile.

Wäre das auch Ihr Tipp für andere Neu-Rentner? Also: Beschäftigt euch weiter!

Rügamer: Auf jeden Fall. Man muss beschäftigt bleiben.

Machen Sie sich jetzt für jeden Tag einen Plan?

Rügamer: Nee. Was dringend ist, mache ich gleich. Ansonsten nehme ich mir meine Zeit und lebe gerne mal in den Tag hinein – was ich vorher nicht machen konnte. Ich kann jetzt tun und lassen, was ich will. Neulich war ich zum Beispiel den ganzen Tag in der Sauna. Acht Aufgüsse. Ich war hinterher fix und alle (lacht).

In so vielen Jahren bei Uhl haben Sie dort jede Menge Menschen kommen und gehen sehen. Auch junge. Dabei ergibt sich hin und wieder der klassische Generationenkonflikt: Die jungen Beschäftigten wollen verändern, sind besonders ehrgeizig. Dem stehen die Altgedienten gegenüber mit ihrer Erfahrung und manchmal mit ihrer Starrheit. Wie sind Sie damit umgegangen?

Rügamer: Dieses Problem hatte ich eigentlich nie. Ich habe das immer entspannt gesehen. Fast alle jungen Leute waren gern mit mir unterwegs. Ich habe da nie einen Unterschied gemacht nach dem Motto: Du bist nur der Stift, ich bin der große Capo.

Wie sind Sie bei Uhl verabschiedet worden?

Rügamer: Der Chef hat für ein Catering gesorgt. Alle Leute von der Werkstatt und der Montage waren eingeladen. Auch einige ehemalige Kollegen. Ein paar Leute haben eine Rede gehalten.

Klingt nach herkömmlicher Feier. War das für Sie in Ordnung? Fühlen Sie sich nach 48 Jahren angemessen gewürdigt?

Rügamer: Gewürdigt ist vielleicht der falsche Ausdruck. Eher: bestätigt. Aber das war okay.

"Getrauert habe ich nicht."
Erich Rügamer über seinen Abschied von Uhl
Und dann war da der Moment, als Sie zum allerletzten Mal die Firmentür hinter sich zumachten: Wie hat sich das angefühlt?

Rügamer: Na ja, ich sag's mal so: Getrauert habe ich nicht. Es war ja die Aussicht da, dass ich jetzt machen kann, was ich will.

In diesen schnelllebigen Zeiten mit ständigem Wandel könnte man zu Ihnen sagen: Herr Rügamer, 48 Jahre bei nur einer Firma – das ist altmodisch. Was entgegnen Sie?

Rügamer: Altmodisch gibt es für mich nicht. Mode ist etwas, was wiederkehrt. Dann können die 48 Jahre also nicht verkehrt sein. Die Arbeit war für mich immer einigermaßen in Ordnung. Ich war auf Montage in so vielen Firmen. Da habe ich gesehen: Es gibt überall gute und schlechte Seiten, überall Vor- und Nachteile.

 
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