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Würzburg/Schweinfurt
10 Thesen: Was das Internet aus uns machen wird
Vor 30 Jahren begann der Siegeszug des World Wide Webs. Experten aus Mainfranken sagen, was die nächsten Jahre bringen werden. 10 steile Thesen - 10 spannende Antworten.
Solche Browser sind das Sinnbild für das Internet, wie wir es heute anwenden. Aber wie lange noch?
Foto: Andrea Warnecke, dpa | Solche Browser sind das Sinnbild für das Internet, wie wir es heute anwenden. Aber wie lange noch?
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:01 Uhr

Vor 30 Jahren begann der Siegeszug des World Wide Webs. Es hat unser Leben seither fundamental verändert. Und das wird nicht aufhören: Wir stellen 10 Thesen dazu in den Raum, Experten aus Mainfranken antworten. Die Meinungen decken eine spannende Bandbreite ab.

Wer auf die Thesen antwortet
  • Judith Gerlach aus Aschaffenburg, bayerische Staatsministerin für Digitales (CSU)
  • Andreas Schütz, Informatiker und Blockchain-Experte an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (FHWS) in Würzburg
  • Wolfgang Schröder, Theologe und Philosophie-Professor an der Universität Würzburg
  • Frank Firsching, unterfränkischer Geschäftsführer im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Würzburg
  • Wolfgang Fieber, Vorstandsvorsitzender der Bezirksgruppe Unterfranken in der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) in Würzburg
  • Oliver Freitag, Bereichsleiter Innovation an der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt
  • Roland Hoier aus Veitshöchheim, Obermeister der Kfz-Innung Unterfranken
  • Alexander Aulbach (Softwareentwickler) und Robert Lippert (Marketing) von der Softwareschmiede Mayflower in Würzburg
  • Dorothee Bär aus Ebelsbach (Lkr. Haßberge), Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung (CSU)
Dorothee Bär, in der Bundesregierung Staatsministerin für Digitalisierung.
Foto: Britta Pedersen, dpa | Dorothee Bär, in der Bundesregierung Staatsministerin für Digitalisierung.

1. These: Computer einschalten, Browser öffnen, www-Adresse eintippen: Diese herkömmliche Art der Internetnutzung wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Stattdessen sind wir permanent über Funkchips am Körper, tragbaren Minigeräten und ähnlichem Equipment digital miteinander verbunden.

"Volle Zustimmung" gibt es hier von Ministerin Bär und anderen - aber auch viel "Aber".  Software-Mann Aulbach nimmt die Ausbreitung der Digitalisierung pragmatisch: "Uhren, Schmuck, Tattoos, Kleidung, sprechendes Spielzeug, plappernde Pflanzen: Das alles wird aktuell ausprobiert. Was sinnvoll ist, wird sich durchsetzen." vbw-Vorsitzender Fieber sieht einen ähnlichen Zwischenweg: "Smarte Implantate und Co. werden auch in zehn Jahren noch nicht die heute übliche Hardware verdrängt haben."

2. These: Die sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. werden in zehn Jahren so gut wie verschwunden sein, weil die Nutzer all die Hass-, Häme- und Fake-News-Wellen satt haben.

Informatiker Alexander Aulbach.
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Informatiker Alexander Aulbach.

Klares Nein von allen. "Soziale Medien sind erst am Anfang, weil sie das Grundbedürfnis der Menschen nach Kommunikation auf eine Weise erfüllen, die es vorher nicht gab", fasst Softwareentwickler Aulbach die Meinungen zusammen. Auch Philosoph Schröder geht nicht von einem Ende der sozialen Netzwerke aus: "Einige Microblogs oder Kurznachrichtendienste wie Twitter werden in reformierter Form vermutlich bleiben und an politischer Bedeutung eher zunehmen."

3. These: In zehn Jahren gibt es auf Deutschlands Straßen mehr datengetriebene, also autonom fahrende Autos als herkömmliche. In der Medizin operieren mehr Roboter als Ärzte aus Fleisch und Blut.

Na ja, mal schön langsam - so die überwiegende Meinung. IHK-Experte Freitag sieht das Thema zweigeteilt: In zehn Jahren werde es wohl kaum noch Operationen ohne Roboter geben. Digitalministerin Gerlach betrachtet Mensch und Maschine in der Medizin als "ein unschlagbares Team". Beim autonomen Fahren hingegen sei das Tempo gedrosselter, so Freitag: Denn erst müsse das schnelle 5G-Mobilfunk- und Datennetz in Deutschland aufgebaut werden. Bis es engmaschig ist, werde es wohl zehn Jahre dauern. Zögerlich ist auch Kfz-Obermeister Hoier: Die Zahl selbstfahrender Autos werde stark steigen. Aber dass sie in zehn Jahren in der Mehrzahl sein werden, "glaube ich nicht".

4. These: Smarte Häuser und Fabriken, Künstliche Intelligenz (KI) allerorten: Es wird innerhalb der nächsten zehn Jahre mindestens einmal einen großen Knall geben, weil Hacker die Systeme zum Kollaps bringen. Dennoch bleibt die tragende Bedeutung von Big Data und KI für unser Leben ungebrochen.

Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach.
Foto: Angie Wolf | Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach.

Überwiegende Einschätzung: So kann man das sehen. Informatiker Schütz geht davon aus, dass Informationssicherheit in Zukunft ein Top-Thema bleiben wird. "Dabei wird es bestimmt auch den einen oder anderen Knall geben." Die Digital-Politikerinnen Bär und Gerlach geben sich hier betont selbstbewusst: Die Politik werde die Hürden für Cyberkriminelle höher legen, so dass dann das Positive von Big Data und KI überwiege.

5. These: In zehn Jahren wird der Unterricht an unseren Schulen total digital sein. Schüler lernen dann meistens daheim und mithilfe von Video-Sitzungen. Die Anwesenheitspflicht an den Schulen wird aufgehoben.

Jein, sagen die meisten. "Ich glaube nicht, dass die Anwesenheitspflicht aufgehoben wird", meint Informatiker Schütz. Jungen Menschen sei der persönliche Austausch untereinander wichtig. Andererseits werde der Einsatz digitaler Helfer wie Tablets oder von Virtual Reality im Unterricht wachsen. IHK-Mann Freitag sieht noch einen anderen Aspekt: Die Anwesenheitspflicht an der Schule aufzuheben, "würde das Arbeitskonzept vieler Familien aus den Fugen bringen". Denn bei so vielen arbeitenden Eltern wie heute habe die Schule "auch einen Teil der Erziehung zu übernehmen".

6. These: Digitalisierung in den Unternehmen zerstört Arbeitsplätze, heißt es heute oft. In zehn Jahren wird das Gegenteil in Deutschland der Fall sein: Es sind bis dahin doppelt so viele neue Jobs wegen der Digitalisierung entstanden wie durch sie vernichtet wurden.

Wolfgang Schröder, Professor für Philosophie.
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Wolfgang Schröder, Professor für Philosophie.

Im Kern ist das so, behaupten viele. Kfz-Obermeister Hoier etwa geht nicht von Jobverlusten aus und sieht die Digitalisierung als Hilfe für den arbeitenden Menschen. Wirtschaftsvertreter Fieber meint, dass die Digitalisierung wie jede technische Neuerung dazu führen werde, "dass Tätigkeiten verschwinden und neue entstehen". Auf lange Sicht führe das zu einem zahlenmäßigen Ausgleich. Für den Philosophen Schröder steckt in dem Thema viel Brisanz: "Die neuen Jobs werden regulär keine Lösung für die Verlierer der alten Jobs sein. Darin liegt enormer Sprengstoff für Gesellschaften mit wachsenden inneren Ungleichheiten."

7. These: Breitband, DSL: Es gibt in zehn Jahren in Deutschland keine weißen Flecken mehr auf der Landkarte. Das superschnelle 5G-Netz ist ebenfalls lückenlos verfügbar. Ein noch schnelleres Netz ist im Aufbau.

Frank Firsching, DGB
Foto: DGB | Frank Firsching, DGB

Ja, ja - träum weiter: So lässt sich die Ernüchterung der Mehrheit zusammenfassen. DGB-Vertreter Firsching meint, den Grund für die Misere zu kennen: "Da der Netzausbau in Deutschland der gewinnorientierten Privatwirtschaft übertragen worden ist, wird dort investiert, wo sich Gewinne erzielen lassen." Da blieben dünn besiedelte Regionen außen vor. "Solange es kein Grundrecht auf adäquaten Anschluss gibt, werden die Probleme bleiben." Dass ein schnelles Datennetz hierzulande das Fundament der (digitalen) Zukunft und damit der wirtschaftlichen Entwicklung ist, daran gibt es unter den Befragten kaum Zweifel. Deutschland müsse hier unbedingt Gas geben.

8.These: Bitcoin und Co.: In Deutschland bezahlen die Menschen in zehn Jahren mehr mit den digitalen Kryptowährungen als mit herkömmlichem Geld.

Blockchain-Experte Andreas Schütz.
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Blockchain-Experte Andreas Schütz.

An einen grenzenlosen Siegeszug der Kryptowährungen glaubt fast niemand. Dazu hingen die Deutschen viel zu sehr am Bargeld. Schließlich brauche man es im Alltag ja zum Beispiel beim Kartenspielen, lautet der pragmatische Hinweis von Digitalministerin Gerlach. Software-Fachmann Lippert lehnt sich hier weiter aus dem Fenster: "Herkömmliches Bargeld wird in zehn Jahren durch herkömmliche bargeldlose Zahlungsmöglichkeiten abgelöst sein." Sein Kollege Aulbach geht davon aus, dass es dann deutlich mehr Möglichkeiten für bargeldloses Bezahlen gibt als heute. Ähnlich sieht das Ministerin Bär: In zehn Jahren werde "digitales, mobiles Bezahlen absoluter Standard sein, aber nicht unbedingt mit Kryptowährungen".

9. These: Apropos Kryptowährungen: Die dahinter stehende Blockchain-Technologie macht Zwischenstationen wie Banken, Versicherungen und Notare überflüssig, heißt es gerne. In zehn Jahren wird das hierzulande so sein.

Oliver Freitag, IHK Würzburg-Schweinfurt.
Foto: IHK | Oliver Freitag, IHK Würzburg-Schweinfurt.

Klares Nein. Banken, Versicherungen und Notare "werden sich zu wehren wissen", behauptet DGB-Vertreter Firsching. Selbst Blockchain-Kenner Schütz geht davon aus, dass sich die Technologie allenfalls ergänzend zu bestehenden Systemen etablieren wird. "Es wird weiterhin Banken, Versicherungen und Notare geben." Freilich nutzen dann auch sie sowie Otto Normalverbraucher hier und da Blockchain - meistens im Hintergrund, ist sich Schütz sicher. Aus Sicht des vbw-Vorsitzenden Fieber hat Blockchain "enormes Potenzial vor allem dort, wo gänzlich Neues organisiert werden muss", zum Beispiel beim Internet der Dinge.

10. These: In zehn Jahren wird das Internet einen Nobelpreis bekommen.

Kfz-Obermeister Roland Hoier.
Foto: Jörg Rieger | Kfz-Obermeister Roland Hoier.

Wofür? Gute Idee. Auf gar keinen Fall. Die Meinungen gehen weit auseinander. Zugegeben, der Preis geht heute nur an Menschen. Aber wäre das nicht so, könnte sich so mancher eine derartige Würdigung des Web vorstellen. "Den Preis hätte das Internet heute schon verdient", ist die Meinung von Ministerin Bär. "Warum denn nicht?", ergänzt Softwareentwickler Aulbach. Andere werfen ein, dass eher die Vordenker des Internets wie Tim Berners-Lee den Nobelpreis bekommen sollten. Aus ganz anderer Richtung nähert sich IHK-Mann Freitag dem Thema: "Wer weiß, ob es in zehn Jahren das Internet überhaupt noch gibt? Wir bräuchten dringend eine neue, disruptive Innovation, die das Internet ablöst." Gefragt sei etwas Schnelleres und Sichereres "als das, was wir schon seit 30 Jahren haben".

Robert Lippert von Mayflower.
Foto: Robert Lippert | Robert Lippert von Mayflower.
Wolfgang Fieber von der vbw.
Foto: Angelika Cronauer | Wolfgang Fieber von der vbw.
 
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