
Bloß kein Triumphgeheul scheint die Devise der AfD-Spitze an diesem historischen Abend. Ein Mann des Überschwangs ist der Volkswirtschafts-Professor Jörg Meuthen sowieso noch nie gewesen.
Aber als der AfD-Spitzenkandidat nach den ersten Hochrechnungen bei der Stuttgarter Wahlparty der Alternative für Deutschland vor die Öffentlichkeit tritt, wirkt er sehr zurückhaltend für den Umstand, dass die ersten Zahlen seine junge Partei klar vor der anderthalb Jahrhunderte alten SPD sehen. „Es ist geschafft“, sagt Meuthen mit tiefer Genugtuung. „Die AfD ist spätestens mit dem heutigen Tag eine feste parlamentarische Größe in unserem Land“, betont der 54-Jährige, während draußen vor dem Stuttgarter Hotel etwa 60 Menschen gegen die Rechtspopulisten demonstrieren.
Auch Frauke Petry unterdrückt jedes Siegerlächeln, wenn die Kameras in den Wahlsonderstudios auf sie gerichtet sind. „Von uns erwarten die Wähler, die Opposition zu sein, die es im Bundestag aber auch in den Landesparlamenten nicht mehr gegeben hat“, analysiert sie betont sachlich. „Wir schüren keine Ängste, aber wir sind die Partei, die die Probleme seit unserer Gründung klar angesprochen hat.“
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Erstmals gelang es der AfD an diesem Wahlabend, auch im Westen zweistellige Ergebnisse bei Landtagswahlen zu holen. In Bremen und Hamburg kam sie – damals unter der Führung des Eurokritikers Bernd Lucke – immerhin auf rund sechs Prozent. Die Flüchtlingskrise hat die AfD nun mit über 20 Prozent in Sachsen-Anhalt zur zweitstärksten Partei hinter der CDU noch vor der Linken gemacht.
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Und in Baden-Württemberg lieferten sich die Rechtspopulisten nicht nur mit der SPD ein Kopf-an-Kopf-Rennen; in Pforzheim und Mannheim wurde die AfD sogar stärkste Partei und eroberte die Direktmandate. Bislang galt Pforzheim als SPD-Hochburg.
Wie kam der Erfolg der AfD zustande? Natürlich war für ihre Wähler die Flüchtlingskrise das entscheidende Thema: Für 69 Prozent der AfD-Wähler in Baden-Württemberg war das Thema Flüchtlinge laut ersten Wahlanalysen das wichtigste. In der Gesamtbevölkerung, war es nur das drittwichtigste hinter sozialer Gerechtigkeit und der Wirtschaftspolitik.
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Und die AfD schaffte es, den Unmut vieler Bürger über die Politik und Parteien zu kanalisieren: In allen drei Bundesländern sagten rund 75 Prozent aller AfD-Wähler bei Nachwahl-Befragungen, sie wählten die Alternative für Deutschland, um den anderen Parteien „einen Denkzettel“ zu verpassen; so formulierte es die für das ZDF tätige Forschungsgruppe Wahlen. Nur 16 Prozent wählten die AfD nach eigenen Angaben wegen deren Programmes.
Als schon am Nachmittag die Zahlen über die in allen drei Bundesländern gestiegene Wahlbeteiligung bekannt wurden, machten sich schon manche in den etablierten Parteien die Hoffnung, dass dieser Trend der AfD – wie bei den Kleinparteien üblich – schaden würde. Doch dies war ein Irrtum: Die AfD schaffte es, tausende ehemaliger Nichtwähler zurück an die Urnen zu holen. In allen drei Bundesländern waren vorherige Nichtwähler die weitaus stärkste Gruppe, aus denen sich die AfD ihre Stimmen holte. Die AfD ist also mitnichten ausschließlich das Wahlsammelbecken enttäuschter Unionswähler, sondern holt im Osten sogar unterm Strich mehr enttäuschte SPD- und Linke-Wähler.
Kann sich die AfD als Alternative für Unzufriedene langfristig etablieren? Oder ergeht es ihr wie vielen anderen Protestparteien? Die in Süddeutschland Ende der Achtzigerjahre erfolgreichen Republikaner drifteten an den rechtsradikalen Rand, als in den neunziger Jahren die Asyldebatte abebbte und versanken nach und nach in der politischen Bedeutungslosigkeit. Auch die „Statt Partei“ und die Schill-Partei hielten sich in Hamburg als bürgerliche Protestparteien nur kurz.
Die AfD-Spitze kennt diese Gefahren. Als die Eurokrise an Bedeutung verlor, gingen die Umfragewerte für die Partei stark zurück. Dies könnte auch analog bei den Flüchtlingszahlen geschehen. Deshalb will die Partei in ihrem neuen Programm betont auf Islamkritik setzen, wie der „Spiegel“ unter Berufung auf interne Parteivorstands-E-Mails berichtet. Der Islam sei „das brisanteste Thema des Programms überhaupt“ und für die „Außenkommunikation“ am besten geeignet, heiße es dort.