In der Kunst, sich einen durchwachsenen Wahlabend schönzureden, hat Sigmar Gabriel es mit den Jahren zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Zweistellige Verluste in Baden-Württemberg, in Sachsen-Anhalt nur noch vierte Kraft hinter den Konservativen, der Linkspartei und den Rechtspopulisten der Alternative für Deutschland: Die Hiobsbotschaften der Drei-Länder-Wahl lassen auch den SPD-Chef nicht kalt – am Ende aber zählt für ihn etwas anderes. Seit dem Jahr 2005, rechnet Gabriel kurz nach der ersten Hochrechnung vor, hätten die Sozialdemokraten kein Bundesland mehr verloren, in dem sie den Ministerpräsidenten stellen.
Triumph von Malu Dreyer
In diesem Fall ist es eine Ministerpräsidentin, die den Abend für ihre Partei wenigstens halbwegs rettet. Der Triumph von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, Ende vergangenen Jahres noch schier aussichtslos hinter der CDU-Frau Julia Klöckner zurück, ist Balsam auf die Wunden einer verunsicherten Partei. Als auf den riesigen Bildschirmen im Foyer des Willy-Brandt-Hauses die ersten Zahlen aus dem Land der Reben und der Rüben auftauchen, ist der Jubel daher groß. Die Zahlen aus Stuttgart und Magdeburg nimmt die Partei eher beiläufig zur Kenntnis, sie sind auch so schon deprimierend genug. Eine Volkspartei wie die SPD mit Ach und Krach noch im zweistelligen Bereich: Unvorstellbar, lange Zeit.
Neun Ministerpräsidenten hat die SPD bisher gestellt, in weiteren fünf Bundesländern regierte sie bis Sonntag als Juniorpartner mit – unter anderen Umständen, in einer anderen Zeit wäre die Sozialdemokratie damit eine Volkspartei im besten Sinne. Mit dem Erstarken der AfD allerdings, räumt Gabriel selbstkritisch ein, „ist die demokratische Mitte nicht stärker, sondern kleiner geworden.“ Zunächst nennt er die neuen Rechten nicht einmal beim Namen, um dann umso temperamentvoller gegen die „großen Vereinfacher“ und deren Wähler zu wettern: „Am Wahlabend schlechte Laune zu haben, ist keine gute Idee.“
AfD-Ergebnisse sind "eine Zäsur"
SPD–Fraktionschef Thomas Oppermann argumentiert weniger persönlich, aber nicht minder besorgt: Die AfD-Ergebnisse, warnt er, seien „eine Zäsur, die uns allen zu denken geben muss.“ Deutschland sei immer dann stark und sicher gewesen, wenn das demokratische Zentrum stark war.
Vor allem der SPD fehlt es aber nach einer ersten Analyse der Forschungsgruppe Wahlen an einem klaren Kompass: „Sie muss wieder einmal die Erfahrung machen, dass sie zwischen CDU, Grünen, Linken und jetzt auch noch der AfD zerrieben wird.“
Es ist ein schmaler Grat, auf dem Gabriel sich da seit Monaten bewegt. Einerseits will er die Kanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik nicht im Regen stehen lassen, auf der anderen Seite soll er sich von ihr abgrenzen, schließlich gilt es als ausgemacht, dass er sie im nächsten Jahr als Kanzlerkandidat herausfordert. Im Bund allerdings treten die Genossen mit Umfragewerten zwischen 23 und 24 Prozent seit gefühlten Ewigkeiten auf der Stelle, obwohl sie in der Großen Koalition von der Mietpreisbremse über die Frauenquote und den Mindestlohn bis zur Rente mit 63 so ziemlich alles durchgesetzt haben, was der SPD und ihren Anhängern wichtig ist. Wahlen jedoch, das lehrt auch dieser Sonntag, gewinnt die Partei offenbar nicht durch ihre Arbeit in der Großen Koalition in Berlin, sondern vor allem mit populären Spitzenkandidaten wie Malu Dreyer oder Olaf Scholz in Hamburg.
Tiefe Verunsicherung
Wie tief die Verunsicherung bei vielen Genossen inzwischen sitzt, hat bereits der Parteitag im Dezember gezeigt, als Gabriel bei seiner Wiederwahl als Vorsitzender nur magere 74 Prozent der Stimmen erhielt. Für einen Moment, hieß es anschließend, habe er daran gedacht, gleich alles hinzuwerfen – ein Amt, das Franz Müntefering einmal als das schönste nach dem des Papstes beschrieb, ein Amt aber auch, das viele andere SPD-Vorsitzende wie eine Hypothek empfanden, allen voran der glücklose Kurt Beck, Malu Dreyers Vorgänger in Mainz.
Auch deshalb sitzt Gabriel fest im Sattel: Kein anderer Spitzensozi spekuliert auf einen Posten, in dem die Übernahme einer aus heutiger Sicht aussichtslosen Kanzlerkandidatur ja mit eingepreist wäre. Auf die Frage, ob der Vorsitzende Gabriel nach den deprimierenden Ergebnissen in Sachsen-Anhalt und Magdeburg denn Konsequenzen ziehen muss, gibt Parteivize Ralf Stegner an diesem Abend daher schon früh eine klare Antwort: „Nein, kein Stück.“ Auch Gabriel selbst ist solchen Spekulationen zuletzt energisch entgegen getreten.
Er hat sich für das alte Prinzip entschieden, nach dem Angriff auch in der Politik die beste Verteidigung ist – und nimmt sich deshalb gleich einmal seinen Koalitionspartner vor. CDU und CSU könnten sich in Berlin auf die Sozialdemokraten verlassen, beteuert er. Von der Kanzlerin verlangt er nur eines: „Die Chaostage in der Union müssen endlich beendet werden.“