Eines haben die drei Landtagswahlen am Sonntag klar gezeigt: Das politische System der Bundesrepublik ist in einem grundlegenden Umbruch. Wenn in zwei von drei neugewählten Landtagen eine sogenannte Große Koalition keine Mehrheit mehr finden würde, ist die Frage mehr als berechtigt, ob CDU und SPD noch Volksparteien sind. Wenn eine Protestpartei in Sachsen-Anhalt aus dem Stand auf über 20 Prozent kommt, drängt sich der Verdacht auf, dass den etablierten Parteien der Kitt für die Gesellschaft ausgeht. Und wenn in Baden-Württemberg SPD und CDU zusammen über 20 Prozent der Stimmen verlieren, ist das Zeitalter des Stammwählers Geschichte.
Und dabei kann man einem diesmal keinen Vorwurf machen: dem Nichtwähler. In allen drei Landtagswahlen schnellte die Wahlbeteiligung deutlich nach oben. Die Bürgerinnen und Bürger sind also alles andere als politikmüde. Nur verlassen kann man sich nicht mehr so recht auf sie. Und das ist in einer Demokratie auch gut so.
Neben der AfD und dem alles überlagernden Flüchtlingsthema gab es bei diesen Wahlen noch zwei Besonderheiten. Zum einen Baden-Württemberg: Fukushima und Stuttgart 21 haben die Grünen vor fünf Jahren an der SPD vorbeiziehen lassen. Mit Winfried Kretschmann wurde der erste Grüne Ministerpräsident. Jetzt haben die Grünen auch die CDU überholt. Sie war über sechs Jahrzehnte stärkste Kraft und regierte das Ländle von 1953 bis 2011. Zu verdanken haben die Grünen dies einem Ministerpräsidenten, der die Menschen und sein Land immer über die Partei und deren Funktionäre gestellt hat. Und während die SPD in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ihren Status als Volkspartei verloren hat, wurde sie mit Malu Dreyer an der Spitze in Rheinland-Pfalz stärkste Kraft.
Kompetente Politiker, die auch in ihrer eigenen Partei selbstbewusst auftreten, sich nicht verbiegen lassen und denen man gerne vertraut, können Mehrheiten gewinnen, unabhängig von der Partei, für die sie antreten.
Deshalb taugen die Wahlergebnisse auch nicht als Abstimmung für oder wider die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Klar, die Partei, die sich radikal und menschenverachtend gegen die Flüchtlingspolitik der Berliner Koalition ausgesprochen hat, erhielt bei allen drei Wahlen die stärksten Gewinne. Aber sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz haben die Parteien, die mehr oder weniger hinter der Politik der Kanzlerin stehen, eine satte Zweidrittel-Mehrheit. Dennoch, der Zustrom zur AfD, mit dem Ergebnis, dass Sachsen-Anhalt praktisch unregierbar ist, muss ein Weckruf an die etablierten Parteien und die wehrhafte Demokratie sein, das eigene Schnarchen nicht länger als Aktivität zu verstehen.
Zumal Sachsen-Anhalt als Blaupause für die Landtagswahlen im September in Mecklenburg-Vorpommern genommen werden kann. Auch 25 Jahre nach der deutschen Einheit ist Deutschland längst nicht eins. 40 Jahre zwanghafte Rhetorik von Menschheitsbeglückung, Antirassismus und internationaler Solidarität haben eher zu Spießertum und nationalem Egoismus geführt. Hinzu kommt eine große Ablehnung tatsächlicher oder vermeintlicher Eliten („Die lügen ja eh!“).
Politik, der Staat und seine Vertreter müssen wieder Vertrauen gewinnen. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben gezeigt, dass das geht.