Alexander Gauland findet, die Deutschen dürften „stolz“ sein auf „die Leistungen deutscher Soldaten“ im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Als der 76 Jahre alte Spitzenkandidat der AfD das vor zwei Wochen beim sogenannten Kyffhäuser-Treffen der rechtsnationalen Parteigruppierung „Der Flügel“ ins Mikrofon sagt, gibt es Bravo-Rufe. Es ist die jüngste Provokation des Mannes, der schon sagte, man wolle einen wie den dunkelhäutigen Fußballer Jérôme Boateng nicht als Nachbarn haben, und der forderte, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, in Anatolien zu „entsorgen“. Bei seinen Sympathisanten kommt das an.
Ein Drittel der Parteimitglieder zählt zum „Flügel“
Christian und Andrea Klingen sähen Gauland gerne als Chef einer AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Anders als der thüringische AfD-Chef Höcke, gegen den wegen seiner radikalen Äußerungen ein Parteiausschlussverfahren läuft, inszeniert sich Gauland gerne als nationalkonservativer Intellektueller. Seit seiner Zeit als Presseattaché am Generalkonsulat in Edinburgh in den 70er Jahren tritt er gerne wie ein gepflegter englischer Landlord auf. Einst gehörte er dem liberalen Flügel der CDU an. An der Seite des Frankfurter Oberbürgermeisters und hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann, dem Gauland als persönlicher Referent und Chef der Staatskanzlei diente, modernisierte er in den späten 70er und 80er Jahren die Union und öffnete sie ein Stück dem Zeitgeist. „Das waren andere Zeiten“, sagt Gauland heute dazu. Jetzt gehe es darum, Deutschland zu retten. „Wir wollen nicht die Fußabtreter der Welt sein. Wir verteidigen dieses Land gegen millionenfache Einwanderung.“
Die „Alternative Mitte“ will den moderaten Kurs stärken
Das ist es, was seine Anhänger hören wollen. Doch es gibt auch parteiinterne Gegner. Während sich Gauland beim Kyffhäuser-Treffen dafür aussprach, mit Stolz auf die Wehrmacht zu blicken, gründete sich nur unweit entfernt auf der Wartburg in Eisenach die „Alternative Mitte in Thüringen“. Die Gruppierung, die es schon in mehreren Bundesländern gibt, will eine Strömung sein, die einen moderaten, realpolitischen Kurs der Partei stärkt – ein Gegengewicht zum „Flügel“.
Der sei „die stärkste Gruppierung innerhalb der AfD und am besten organisiert“, räumt Markus Dossenbach, stellvertretender AfD-Kreisvorsitzender von Kulmbach-Lichtenfels und einer von fünf AM-Sprechern, gegenüber dieser Redaktion ein. „Aber das heißt nicht, dass sich das nicht ändern kann.“ Knapp 1000 Mitglieder habe die „Alternative Mitte“ (AM) bundesweit, in Bayern, wo sie im Juli entstand, etwa 100.
„Die Gründung der AM in Thüringen war ein wichtiges Signal: Dass wir das auf der Wartburg und parallel zum Kyfffhäuser-Treffen gemacht haben, war Absicht“, so Dossenbach. Ein Auslöser für die ursprüngliche Gründung der AM, saß in Dossenbachs oberfränkischem Kreisverband: Edwin Hübner. Der einstige Parteifunktionär erlangte unter anderem durch ein TV-Interview Bekanntheit, in dem er die Meinung vertrat, Deutschland sei in den Zweiten Weltkrieg getrieben worden.„Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass es zwei Gruppierungen innerhalb der AfD gibt“, so Dossenbach. „Hübner ist somit verantwortlich für meinen Weg zu all den anderen, die in Bayern die konservativ-bürgerliche AfD vertreten.“
Gauland dürfte wohlFraktionschef der AfD werden Die Leute, von denen Dossenbach spricht, werden von einigen „Flügel“-Anhängern als „Spalter“ gesehen. In einer E-Mail von Andrea Klingen klingt das so: „Die Gründung der ,Alternativen Mitte‘ war überflüssig und in der öffentlichen Wahrnehmung im Wahlkampf nachteilig, da sie Differenzierungen innerhalb der Mitgliederschaft impliziert, die in dieser Form gar nicht vorhanden sind.“ AfD-Mitglieder entstammten „generell einer bürgerlich-konservativen Bevölkerungsschicht“. Eine Einheitlichkeit, die Dossenbach so offenbar nicht sieht: „Wir wollen Zugewinne aus dem Bereich der konservativ-bürgerlichen Wählerschaft und nicht über die politischen Ränder“, sagt er. „Konservative Wähler erreicht man aber nicht mit einer Gauland- oder Höcke-Rhetorik.“
Unterdessen ist es nicht nur wahrscheinlich, dass die AfD mit gezielten Provokationen in den Bundestag einzieht. Es ist auch naheliegend, dass Gauland tatsächlich Chef der Fraktion wird – in der die „Flügel“-Anhänger in der Mehrheit sein und den Ton angeben dürften.
Ob AM-Anhänger einen solchen Kurs mittragen würden, bleibt abzuwarten. Kein Wunder aber, dass vor diesen Hintergründen seit einiger Zeit das Wort „Spaltung“ in Parteikreisen herumgeistert. Schon 2016 führte ein Streit um Antisemitismus-Vorwürfe gegen den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon zu einer vorübergehenden Spaltung der AfD-Fraktion. „Ich hoffe und glaube, dass Vernunft bei uns einkehren und es keine Spaltung der Fraktion geben wird“, sagt Dossenbach. „Das ist aber auch davon abhängig, wie in der Fraktion dann Positionen besetzt werden. Ob alle Strömungen berücksichtigt werden. Das wird aber von der stärksten Strömung abhängen und das ist der ,Flügel‘.“
Taugt vielleicht Gaulands Co-Spitzenkandidatin Alice Weidel als Brückenbauerin in der Fraktion? Noch ist offen, was aus ihr nach der Wahl wird. Eigentlich war die 38-jährige Ökonomin, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft mit einer aus Sri Lanka stammenden Filmemacherin in der Schweiz lebt, nur gekürt worden, um die umstrittene Frauke Petry zu verhindern. Zudem sollte sie ein anderes Gesicht der AfD verkörpern: jung, gleichgeschlechtlich, liberal, gebildet, kosmopolitisch.
Ein Feigenblatt, die den Vorwurf, die AfD sei eine rein rückwärtsgewandte, völkische und ausländerfeindliche Partei, allein durch ihre Biografie widerlegen sollte.
Doch bei ihren Wahlkampfauftritten zeigt sich eine andere Weidel, weder liberal noch weltoffen, sondern in manchen Ansichten noch radikaler als der bürgerliche Gauland. Die Kunst der gezielten Provokationen beherrscht sie dabei genauso perfekt, wie der 76-Jährige mit der Hundekrawatte. An der Basis kam es jedenfalls gut an, als Weidel wutentbrannt eine Wahlsendung des ZDF verließ und den „Staatsmedien“ Parteilichkeit vorwarf. Kürzlich sorgte zudem ein Bericht der „Welt am Sonntag“ über eine E-Mail mit rassistischen und demokratieverachtenden Thesen, die Weidel vor gut vier Jahren verfasst haben soll, für Unruhe. Während ein AfD-Pressesprecher die Mail als Fälschung bezeichnete, hielt die Zeitung dagegen, dass ihr eine eidesstattliche Versicherung des Empfängers – eines früheren Bekannten Weidels – vorliege.