
Als Tobias Weihmann und seine Frau Alya Shandra von Polen aus wieder in die Ukraine einreisen wollten, fragte die Grenzerin, ob sie denn nicht mitbekommen hätten, dass dort Krieg herrsche. "Wir haben gesagt, wir wollen mit den Ukrainern zusammen stehen. Da war sie sehr gerührt und hat uns durchgewunken", erzählt Weihmann. Und so ist das unterfränkisch-ukrainische Ehepaar nun wieder in Lwiw (Lemberg). "Die Stadt ist zu einem Zentrum der Hilfe und der Initiativen geworden", erzählt Weihmann. "Hier laufen unglaublich viele humanitäre Fäden zusammen."
Der 42-jährige gebürtige Bad Neustädter Tobias Weihmann lebt seit 2015 in Kiew. Seine Frau Alya Shandra ist Ukrainerin, die beiden haben eine zweijährige Tochter, ein zweites Kind soll in einem Monat zur Welt kommen. Weihmann ist Software-Entwickler, seine Frau Chefredakteurin des unabhängigen Nachrichtenportals Euromaidan Press.
Kurz nach Beginn der russischen Invasion waren die beiden mit dem Kleinkind und Alyas 13-jähriger Tochter aus erster Ehe aus dem umkämpften Kiew ins vergleichsweise sichere Lwiw geflohen, wo Freunde eine Wohnung zur Verfügung stellen. Von dort aus wiederum fuhren sie für zwei Tage ins polnische Zamosc, wo sie die Töchter in die Obhut von Weihmanns Eltern übergaben.

Inzwischen sind die Mädchen heil in Bad Neustadt angekommen, erzählt Weihmann. "Der Abschied war weniger schlimm als befürchtet, besonders die Kleine hat sich schnell mit Spielzeug und Liebe bestechen lassen." Am Telefon klingt der 42-Jährige erleichtert, ein bisschen verwundert, vor allem aber wieder voller Energie: "Die Nachrichten im Land sind katastrophal, etwa der Angriff auf das Kernkraftwerk. Aber unsere persönliche Stimmung ist wieder besser."
Viele bleiben, um ihre Städte so gut zu schützen wie irgend möglich
Durch die Entscheidung zurückzukehren seien sie wieder zu handelnden Personen geworden: "Wir sind keine Flüchtlinge mehr, denen man alles weggenommen hat, sondern wir sind bewusst hierhergekommen, um mitzuhelfen." Das sei ein Zeichen, das hier auch deutlich wahrgenommen werde. Es sei für die Menschen sehr demotivierend, immer zu lesen, dass angeblich alle ausreisen. Längst nicht alle wollten weg. "Sonst wäre das Land nicht zu halten. Dann gäbe es die Ukraine schon nicht mehr." Vor allem Familien mit Kindern suchten im Ausland Schutz. "Aber viele bleiben, auch in den umkämpften Städten, um das Land zu schützen."

Tobias Weihmann will sich nun in Lwiw mit anderen Auslandsdeutschen vernetzen und mithelfen, humanitäre Hilfe zu organisieren. "Die Leute brauchen den Austausch und die Beruhigung." Vor allem aber werde er seine hochschwangere Frau unterstützen: "Sie macht das viel professioneller als ich. Sie steht im Kontakt mit ihren Netzwerken im ganzen Land und arbeitet mit amerikanischen Medien zusammen." Ein wichtiges Anliegen sei es, so viel Information wie möglich über Kampfhandlungen und etwaige Kriegsverbrechen zu dokumentieren und in die Welt zu tragen.
Gelegentlich zeigt sich dabei, wie blank die Nerven liegen: Als Alya Shandra dem US-Fernsehsender MSNBC ein Live-Interview gab, kam es zu einem Auflauf. "Das Interview fiel in einen Fliegeralarm. Wie sich herausstellte, haben die Leute Alya verdächtigt, eine Saboteurin zu sein", erzählt Weihmann. Tatsächlich gebe es Saboteure, die Zielpunkte für das russische Militär mit Farbe markieren, oder Fotos von strategischen Orten machen. "Wir konnten das dann aber aufklären."

"Es gibt ja viele Perspektiven", sagt Weihmann. "Wenn ich nur die Nachrichten im Westen hätte, wo laufend Militärexperten sagen, die Ukrainer haben keine Chance, dann würde ich verrückt werden." Die Innenansicht sei weitaus differenzierter: Per Telegram organisierten sich Gruppen, die Menschen aus den umkämpften Gebieten holen. Lkw-Fahrer schafften es, selbst die eingeschlossenen Kiewer Vorstädte zu versorgen.
Immer noch fahren Züge zwischen Kiew und Lwiw
"Ein Freund pendelt regelmäßig zwischen Kiew und Lwiw, um humanitäre Hilfe zu organisieren. Wie das geht, halten die Beteiligten lieber geheim." Es gebe unglaublich viele Leute, die unglaublich mutige Sachen machten. "Das hängen die aber nicht an die große Glocke." Es sei auch nicht alles zum Stillstand gekommen: "Es fahren immer noch Züge zwischen Kiew und Lwiw, wenn auch bewusst unregelmäßig, um für die Russen unberechenbar zu bleiben."
Inzwischen gibt es eine Luftschutz-App für das Handy, erzählt Tobias Weihmann. Auch in Lwiw gebe es mehrmals täglich Fliegeralarm, aber die Sirenen seien nicht immer gut zu hören. Aber das Smartphone sei inzwischen sehr zuverlässig, das sei beruhigend: "Da erklingt dann ein Ton, der einem wirklich das Herz zerreißt."
In den Cafés gibt es kostenlose Getränke und Raum zum Erholen und Arbeiten
Im Moment helfen alle zusammen, wo es nur gehe, sagt Weihmann. Die Cafés in der Innenstadt von Lwiw bieten kostenlos Getränke und Raum zum Erholen und Arbeiten. Einem isländischen Journalisten habe man geholfen, seinen Presseausweis auszudrucken und zu laminieren. "Er will dokumentieren, was unter dem Beschuss in Kiew vor sich geht. Das ist ein sehr nobles Vorhaben. Der Mann hatte aber nur einen digitalen Presseausweis, und es war nicht klar, ob der an jeder Straßensperre akzeptiert wird. Es kann gefährlich werden, wenn man ohne Legitimation fotografiert und für einen Spion gehalten wird."
Das Wichtigste aber wären Schutzwesten möglichst für alle. "Die gehen natürlich zuerst an die Leute, die an Checkpoints oder in den Schützengräben stehen. Aber es bräuchte viel mehr davon. Wenn also Speditionen Hilfsgüter ins Land schicken: Wir brauchen Schutzwesten!"