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LESERANWALT
Leseranwalt: Wenn "Querdenker" auch in den Medien inzwischen fast nur noch eine negative Bedeutung haben
Einst stand er für kreatives Denken. Ein Leser stört sich am veränderten Gebrauch des Begriffs "Querdenken", der seiner Unschuld beraubt wurde. Warum das zu denken gibt.
Durch Demonstrationen wie dieser im Oktober 2022 in Dresden hat sich 'Querdenker' zu einem Begriff gewandelt, der im öffentlichen Bewusstsein vielfach fast nur noch negativ gewertet wird (Symbolbild).
Foto: Sebastian Willnow, dpa | Durch Demonstrationen wie dieser im Oktober 2022 in Dresden hat sich "Querdenker" zu einem Begriff gewandelt, der im öffentlichen Bewusstsein vielfach fast nur noch negativ gewertet wird (Symbolbild).
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 12.04.2024 18:00 Uhr

Querdenken, sei das nicht sehr wichtig, wenn man nach der besten Lösung suche? Das fragt Leser P.S. eher rhetorisch. Er spricht den Samstagsbrief vom 23. Dezember 2023 an und dessen Titel: "Herr Köhler, der Protest Erder Landwirte darf nicht von Querdenkern und Nationalisten unterwandert werden". Ich bin Herrn P.S. dankbar, weil er auf eine bemerkenswerte Veränderung eines Begriffes hinweist.

Querdenken: Jetzt zwei Begriffsbedeutungen im Duden

Er stört sich an der Deutung der "Querdenker". Kein Wunder. Die Bedeutung des Begriffs wird seit geraumer Zeit ja auch in Nachschlagwerke und Wörterbüchern zweifach erklärt - mit zwei unterschiedlichen Perspektiven. So bietet der Duden zunächst die ursprüngliche Version: "Person, die eigenständig und originell denkt und deren Ideen und Ansichten oft nicht verstanden oder akzeptiert werden."

Jüngeren Datums ist die zweite Definition des Wörterbuchs: "Anhänger, Sympathisant der politischen Bewegung 'Querdenken', die sich insbesondere gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie, gegen Impfungen u. Ä. richtet (und dabei auch Verschwörungserzählungen verbreitet).“

Leser: "Sie machen sich die Welt, wie es ihnen gefällt, wie Pippi Langstrumpf"

Manchmal komme es ihm vor, so empfindet Leser P.S. die Nutzung dieses Begriffes, als würden Regierung und Kommunikatoren sich die Welt machen wie es ihnen gefällt, wie Pippi Langstrumpf. Als wäre sie (leider negativ) ausgelöst durch das Motto in Astrid Lindgrens Kinderbuch, so kommt bei ihm die mittlerweile hohe negative Belastung des Querdenkens an.

Das gilt auch für die Verwendung im angesprochenen Titel des Samstagsbriefes dieser Redaktion. Das heißt nicht, dass er für die etwas übrig hat, die damit gemeint sind. Ihn irritiert der beständig veränderte Gebrauch des Wortes. 

"Querdenken" ist im Sprachgebrauch zu einem negativen Begriff geworden

"Querdenker" haben das öffentliche Bewusstsein und den Sprachgebrauch offenkundig negativ erreicht. Das ist unerfreulich. Aber die Redaktion durfte davon ausgehen, dass sich das Wort im Samstagsbrief so erschließt. Diesen negativen Zustand ausgelöst hat im April 2020 eine noch unter der kreativen Deutung entstandene, aber längst fragwürdige gewordene Bewegung gegen Corona-Einschränkungen der Grundrechte. Aus ihrem Umfeld verbreiteten sich Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien. Darüber schwand ihr zunächst legitimer Ansatz schnell dahin. Auch der Verfassungsschutz hat inzwischen ein Auge auf sie geworfen, weil sich sich die Bewegung  auch radikalisiert hat, wie es eine Reportage der NDR beispielhaft aufzeigt.

Der Sprachgebrauch fasst die schrägen Behauptungen zusammen

Falsche Fakten oder pseudowissenschaftliche Darstellungen kursierten allemal in bedenklichem Umfang auch im Internet. Alle auch darauf fußenden schrägen Behauptungen bündelt der Sprachgebrauch mittlerweile gerne pauschal als Querdenken. Das Wort wird dabei seiner einstigen Unschuld endgültig beraubt. Die vordergründig verbliebene eindimensional negative Sicht darauf, die befördern auch Medien in Beiträgen fast wehrlos mit, die sonst negative Darstellungen meiden wollen.

Zurecht erwehren sich die im Samstagsbrief gezielt gewarnten Landwirte bei ihren öffentlichen Protesten der Unterwanderung durch Demokratie gefährdende Querdenker. Sie möchten nichts von deren unheilvollem Negativ-Image abbekommen. Auch in Würzburg begehrten Demonstranten schon dagegen auf.  

Mit unbestreitbaren Fakten ist gründliches Nachdenken glaubwürdig

Diskreditierend geworden ist es im Laufe der Zeit für wirklich kreative Denker, wenn ihnen ein "Quer" vorangestellt wird. Eine unerfreuliche Entwicklung. So findet sich die positive Wahrnehmung wohl nur noch in Wörterbüchern oder in diversen Nachschlagwerken als laterales oder nicht lineares Denken. So bleibt es lebendig.

Vielleicht gewinnt es als Querdenken irgendwann seine eher positive Bedeutung zurück oder wie es Chefredakteur Ivo Knahn 2020 gefordert hat, seine Würde zurück. Bis dahin bleibt aber auch einfach nur gründliches Nachdenken glaubwürdig, wenn es auf der Basis unbestreitbarer Fakten geschieht.

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Weitere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema:

2021: "Wann eine Bewertung von Kandidaten-Aussagen vor der Wahl notwendig ist"

2020: "Wie eine Schlagzeile über Bill Gates wirkt"

 
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