Britische Kommunikationswissenschaftler haben einen Zusammenhang zwischen Mediennutzung und Impfbereitschaft herausgefunden. Das schreibt ihr deutscher Kollege Joachim Trebbe (Freie Uni Berlin) im Berliner Tagesspiegel (30. Mai) und online beim Europäischen Journalismus-Observatorium. Dazu könnte ich auch einfach den Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann (1927-1998) zitieren: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Medien" (1996: "Die Realität der Massenmedien"). Nichts wirklich Neues also aus Großbritannien? Das wäre viel zu einfach.
Mehr als 5000 Personen befragt
Es lohnt durchaus auf das zu blicken, was laut Trebbe die britischen Forscher um Andrew Chadwick (Uni Loughborough) mitteilen. Mehr als 5000 Personen wurden in einer nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Einkommen und Wohnsitz quotierten Stichprobe befragt: nach ihrer Mediennutzung, ihrer Einstellung zum Impfen und ihrer Bereitschaft, andere über die sozialen Medien von dieser Einstellung zu überzeugen. Dabei habe sich der eingangs zitierte Zusammenhang ergeben. Das überrasche zumindest bis hierher nicht, meint Trebbe.
Die individuellen Faktoren
Der Berliner Wissenschaftler hebt individuelle Faktoren aus der Studie hervor. Wer aktiv und vielfältig Informationsquellen und Medien nutze, sei weniger impfskeptisch und eher bereit, andere über soziale Medien von der Notwendigkeit der Covid-19-Impfung zu überzeugen.
Personen, die konventionelle Medien meiden und eher passiv über ihre digitalen Verlaufschroniken informieren, würden über soziale Medien eher Impfskepsis verbreiten – abgesehen von extremen Verschwörungstheorien. Dominante Fernsehnutzung sei laut Studie eher mit Impfskepsis verbunden, doch auch mit der geringen Neigung, andere über die sozialen Medien davon zu überzeugen.
Plädoyer für differenzierte Strategien
Die Sache sei kompliziert, meint Trebbe. Impfbereitschaft erzeugen nicht schon ein paar Werbespots, Plakate oder Anzeigen, in und auf denen Menschen mit aufgerollten Ärmeln zu sehen sind. Die Autoren der Studie würden für differenzierte Aufklärungs- und Informationsstrategien plädieren, die zu den unterschiedlichen "Mediendiäten" von Impfskeptikern und Impfbereiten passen. Kurzum: Es handelt sich um eine dringende gesundheitspolitische Aufgabe.
Trebbe verweist auf die gestiegene Impfbereitschaft gegen Covid-19 in Deutschland, weil sich hierzulande laut Impfquoten-Monitoring des Robert Koch-Institutes 83 Prozent eher oder sicher gegen das Virus impfen lassen wollen. Die Bereitschaft variiere jedoch stark nach Impfstoff: Für Astrazeneca liege der Wert nur bei 52 Prozent.
Gesprächsangebot des Leseranwaltes
Liebe Leserinnen und Leser: Befragen Sie sich selbst, wie Sie sich informiert haben, auch bei dieser Tageszeitung. Was würden Sie danach in Sachen Impfung empfehlen? Zu diesem Thema biete ich einen Kurzvortrag ("Ethik der Medizinberichterstattung") mit digitalem Gespräch am Montag, 21. Juni, um 18.30 Uhr an. Den Zugangslink gibt es per E-Mail via Leseranwalt@mainpost.de.
Anton Sahlender, Leseranwalt
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