Für eine Stellungnahme bedankt sich Herr H.O. in seiner Zuschrift im voraus bei mir. Er kann sich nämlich nicht an die in dieser Zeitung seit Juli 2021 "vorsichtig angepassten Gender-Regeln" gewöhnen. Sie würden ihm die Freude am Lesen nehmen. Konkret fragt er: "Was soll die ständige Wiederholung von weiblicher und männlicher Form, wie Lehrer und Lehrerinnen?"
H.O urteilt darüber vernichtend: "Für mich ist das Dreschen von leerem Stroh, (...) nichtssagender Füllstoff, der in einem Zeitungsartikel nichts verloren hat und den Text nur sperrig und langweilig macht." Immer öfter überspringe er das beim Lesen, unterschlage also die zweite Geschlechtsform. Das sei "doch wohl vom Erfinder nicht so gewollt!?" - Meine Antwort: "Nein, das will weder eine Autorin, noch ein Autor." Vielleicht aber überliest H.O. ja automatisch das, was er ablehnt. Diese seine Ablehnung muss ich akzeptieren, aber nicht gut finden.
Es geht auch ohne "penetrantes Gendern"
H.O. erklärt, das Nachrichtenmagazin "Spiegel" (Nr. 39: "Das Land der verschenkten Möglichkeiten") zeige, wie es intelligent und ohne "penetrantes Gendern" gehe. Beide Geschlechter kämen durch die folgenden hin und wieder eingestreuten Formen zur Geltung: "Man könnte sich all das von Soziologinnen und Psychologen zerpflücken lassen…/… haben die rund 35 fest angestellten Innovationsmanagerinnen und Analysten …/… da sind sich Ökonominnen uns Politiker einig …"
Gegen diese Formen spricht auch in dieser Zeitung nichts. Hätte Herr H.O. einen Artikel, der seinem Beispiel zugrunde liegt, konkret benannt, wäre es möglich gewesen, die "Lehrer und Lehrerinnen" im Kontext zu beurteilen und – wenn nötig - wie im genannten Nachrichtenmagazin andere Lösungen einzustreuen. Wie auch immer: Die Botschaft von Herrn H.O. ist angekommen.
Ich bin Partei
Zur besseren Einordnung meiner eigenen Haltung mache ich auch hier transparent, was ich schon Herrn H.O. bekannt habe. Ich bin Partei: Ich gehöre zu den Journalisten, die lieber gendern – gelegentlich mit Sternchen oder Doppelpunkt. Ich denke, damit alle Geschlechter besser zu erreichen. Für meine Kolumnen bediene ich mich fortan aber diskriminierungssensibel und gendergerecht der Regelung, zu der diese Zeitung im Juli gefunden hat - nach ausgiebiger und kontroverser Diskussion. Zuvor hatte ich hier einige Male gegendert. Niemand hat es kritisiert.
In dieser geltenden redaktionellen Sprachregelung steckt weder eine Forderung noch eine Schikane, wie sie Herr H.O. befürchtet, sondern ehrliches Bemühen, deutlich gemacht in Richtlinie 6a der journalistischen Leitlinien dieser Zeitung. Darin heißt es unter anderem: "Wir sind uns bewusst, welche Macht Sprache im Journalismus hat, denn Wirklichkeit wird auch durch Sprache konstruiert ..."
Von der Männlichkeit dominiert
Gendern gibt mir, anders als Herrn H.O., ein gutes Gefühl. Gestützt sehe ich das durch Studien, die besagen, dass alleine durch das generische Maskulinum, hier "Lehrer", viele Menschen keine Lehrerin angesprochen sehen.
So heißt es 2008 nach einem Experiment von vier Universitäten (2x Schweiz, Norwegen und England) über ein Satzbewertungsparadigma und kognitive Prozesse in französischer, englischer und deutscher Sprache: "Allgemein gemeint, aber spezifisch interpretiert: Wenn Kosmetikerinnen, Musiker und Mechaniker allesamt Männer sind." Im Deutschen und im Französischen, so wird festgehalten, wurden die Interpretationen von der Männlichkeit des (vermeintlich) als Gattungsbezeichnung gedachten Maskulinums dominiert.
Handlungsbedarf bei Geschlechtergerechtigkeit
Und wir wissen längst, dass unser Sprachgebrauch oft Handeln mitbestimmt. Wir wissen auch, dass bei der Geschlechtergerechtigkeit nicht nur bei uns noch Handlungsbedarf besteht. Sicher nicht alleine wegen der Sprache. Vielleicht ist die aber oft ein Ausdruck davon?
Ich erkenne natürlich an, dass die Mehrheit der Leserschaft das Gendern ablehnt. Vorwiegend ablehnende und begründete Reaktionen haben das der Redaktion deutlich gemacht. Angesichts der Emotionen, die dieses Thema immer wieder hervorruft, versichere ich ein weiteres Mal, dass von mir hier nichts gefordert worden ist und niemand schikaniert werden soll. Ich hoffe sogar, dass Herr H.O. nach dieser meiner ehrlichen Stellungnahme seinen Dank dafür nicht wieder zurücknimmt.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Sprache:
2008: "Vom Oberlehrer zum Verhunzer"
2020: "Warum die Redaktion den Begriff 'Kinderporno-Prozess' vermeidet"
2021: "Medienwissen, das Allgemeinbildung sein sollte"
In negativen Fällen verzichtet man gerne auf die weibliche Erweiterung. Da ist vom Täter die Rede, vom Unfallverursacher (auch wenn der/die Schuldige noch nicht bekannt ist. Haben Sie beispielsweise jemals schon die Nachricht von der Geisterfahrerin auf der Autobahn gehört oder von den Terroristinnen? Auch Gafferinnen gibt es nicht, denn Gaffen tun ja schließlich nur die Männer.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Zeitungen wie die Mainpost nutzen ihre Vormachtstellung/Monopol und Machtposititon, um in undemokratischer Form einer Mehrheit, das das ABLEHNT aber sich nicht wehren kann, etwas aufzuzwingen.
Vor allem mit Blick auf die Schule "müssen geschlechtersensible Schreibungen im Rahmen von Machbarkeit bleiben", meint Kotthoff. Es werde zunehmend schwierig, Jugendlichen Rechtschreibung beizubringen. (Quelle: Tagesspiegel)
Anton Sahlender, Leseranwalt.