Als gelungen mögen Leserinnen und Leser am vergangenen Wochenende in der Main-Post einen Brief zur Corona-Pandemie empfunden haben, weil der Absender E.H. sich anscheinend treffliche Gedanken gemacht hatte. Unter der Überschrift "Eine kleine Veränderung der Perspektive kann Wunder wirken", enthielt der Text kluge Sätze, die auch für das Tragen von Mund-Nasen-Masken sprachen. Historische Bezüge reichten zurück bis ins Jahr 1900. Am Ende steht ein Aufruf: "Wir sollten dankbar sein, dass wir leben und alles in unser Macht stehende tun, um uns gegenseitig zu helfen." (Kopie siehe Textende).
Nun haben mir aber Leser via Mail zum Ursprung dieser wohlklingenden Zeilen eine ganz andere wichtige Perspektive eröffnet. Herr H.K. beispielsweise schimpft: "In seiner sogenannten Berichterstattung schmückt sich Herr E.H. im Leserforum in unverschämter Weise mit fremden Federn. Der Beitrag ist im Original auf Youtube schon längere Zeit vom Motivationstrainer, Bijon Kattilathu, anzuhören. Das, so bittet H.K., sei klarzustellen.
Die Rechtsverletzung
Das soll geschehen. H.K. hat Recht. Tatsächlich findet sich der Leserbrief-Text 1:1 als Video auf der Internetplattform Youtube. So ist es mehr als ein Schönheitsfehler, dass Kattilathus schöne Worte, wenn auch vom Absender in bester Absicht, als Leserbrief nur unter eigenem Namen eingeschickt wurden. Das verletzt eben auch Urheberpersönlichkeitsrecht.
Das hat in einem Gespräch mit mir dann auch der Absender, Herr E.H., eingesehen. Er erklärt, dass der Text schon unter seinen Freunden ohne Autorenkennung ausgetauscht worden sei. Von denen habe er Kattilathus Worte gutgläubig übernommen. Er halte sie für so gut, dass er es geradezu als Pflicht empfand, sie als Leserbrief vielen anderen zugänglich zu machen. E.H. schreibt mir jetzt, dass ihn sogar Leser für den Brief telefonisch gelobt und gedankt hätten. Er habe sie über den Ursprung aufgeklärt und ihren Dank, den gebe er natürlich an Herrn Kattilathu weiter.
Damit sollten alle Probleme vom Tisch sein. Schließlich hat Kattilathu in seinem Video selbst darum gebeten, dass man es mit Freunden teilen möge. Daraus darf man schließen, dass er die weitere Verbreitung seiner Worte wünscht. Dass er allerdings damit einverstanden ist, wenn er in einem Druckwerk als Urheber des Textes verschwiegen wird, ist kaum anzunehmen. Wenn nämlich sein Video als solches – so wie von ihm gewünscht – in sozialen Netzwerken geteilt wird, bleibt er als Autor unübersehbar.
Rechte der Urheber
Ich nutze dieses Beispiel, um vorsorglich über Urheberrechte aufzuklären: Bevor Sie fremde Texte zur Veröffentlichung als Leserbrief einschicken, müssen Sie das Einverständnis der jeweiligen Autoren einholen. Und es bleibt deren Recht, bei Veröffentlichungen als Urheber genannt zu werden. Geschieht das nicht, haften Absender für diese Rechtsverletzung, die dann vorliegt. Allerdings gehört es abseits der Rechtslage dazu, Urheber von übernommenen Texten zu nennen.
Ach ja, wem ein arg gefälliger Text ohne Autorenkennung in die Hände fällt, dem sei vor dessen weiterer Verbreitung sicherheitshalber empfohlen, über Stichworte danach zu googeln. Sonst könnte es auch mal teuer werden.
Die Verantwortung der Redaktion, das heißt ihre Prüfpflicht für Leserbriefe, erstreckt sich lediglich auf grobe und unschwer erkennbare Rechtsverletzungen. Solchen also, bei denen mit Worten der Juristen, "der durchschnittlich aufmerksame Redakteur den wirklichen Verfasser kennen müsste, z.B. bei einem berühmten Gedicht oder Song und vielleicht noch bei bedeutenden belletristischen Texten". Das mussten Redakteure im vorliegenden Fall nicht, trotz der Reichweiten von Youtube und sozialer Medien (wie Twitter oder Facebook), auf denen das Kattilathu-Video schon geteilt worden war. Die Redaktion durfte folglich zunächst darauf vertrauen, dass der Einsender auch Verfasser des Textes ist.
Kein Facebook
Nun ist das Leserforum einer Tageszeitung keine Plattform auf der sich ein Text, etwa wie auf Facebook, alleine mit Freunden teilen lässt. Rechtlich gesehen handelt es sich um die Meinungsseite eines Massenmediums, dessen Reichweite weit über Freunde oder Bekannte hinausgeht. Die dabei entstehende Öffentlichkeit verändert die Rechtslage. Das sollte bedenken, wer in einem Leserbrief unbekannte Texte übernimmt.
Hier der Link zum Youtube-Video von Bijon Kattilathu, aus dem der Leserbrief-Text entnommen ist: https://www.youtube.com/watch?v=xfopF_Q2wc0&app=desktop
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu diesem Thema:
2007: "Ein Kompliment, das Abschreiber nicht vor Strafe schützt"
2012: "Auch wenn Leser mal Klartext schreiben, müssen Tatsachen wahr und richtig sein"
2018: "Fragen und Antworten, die Fragen aufwerfen"
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute. Hier unterstützt von der Medienrechtskanzlei Weberling, Berlin.