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LESERANWALT
Kampf um Aufmerksamkeit und Reichweite
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:40 Uhr

Die Welt des Journalismus werde immer komplexer. Die passe nicht mehr zum Alltag, den der Abbau von Redaktionen und Festanstellungen präge. So zugespitzt formuliert hat das Brigitte von Haacke, Mitarbeiterin einer PR-Agentur, in einer Diskussion über die Zukunft des Journalismus bei der Konferenz des Journalistikinstituts der TU Dortmund.

 

Die entscheidende Frage

Zunehmend entstünden Kanäle, die auf unterschiedlichen Wegen in unterschiedlicher Schnelligkeit bespielt werden müssen und dies am besten ohne dass die Qualität leide, fügte Christina Elmer aus der Chefredaktion von Spiegel Online hinzu. Das stellt eine Situation dar, die auch Redaktionen dieser Zeitung herausfordert. Umfassende Veränderungen, aber auch unnötiger Fehler sind die Folgen dieser notwendigen Belastungen. Entscheidend ist überall die Suche nach Antworten auf Elmers Frage: „Wie kann man den Journalismus in dieser Zeit so gestalten, dass er nicht an Qualität verliert?“

 

Nicht an Integrität verlieren

Dass die Digitalisierung Qualitätskriterien wie Relevanz, Aktualität, Ethik und Richtigkeit verändere, hat Michael Steinbrecher, Professor am Lehrstuhl für Fernseh- und Crossmedialen Journalismus festgestellt. Es entstehe zunehmend ein Kampf um Aufmerksamkeit, bei dem Qualitätsmedien nicht mitmachen dürften, um nicht an Integrität zu verlieren.

 

"Algorithmen emotionalisieren"

Einen Vorteil der Digitalisierung sieht aber Elmer darin, dass sich die Journalisten besser in Leserinnen und Leser, die Spiegel Online monatlich befrage, hineinversetzen können. Die wünschen sich dort unter anderem einen Überblick über die aktuelle Nachrichtenlage. Ehr ablehnen würden sie Artikelvorschläge, generiert aus Algorithmen aus dem Internet, die auf ihren persönlichen Interessen fußen. Die schränken ebenso wie personalisierte Accounts das Gesichtsfeld deutlich ein, bestätigt Von Haacke. Weil Algorithmen emotionalisieren, sagt Elmer. Denn Nutzer würden lediglich Inhalte erhalten, die ihre eigene Meinung unterstützen.

 

Journalisten brauchen zusätzliche Fähigkeiten

Digitalisierung macht die Finanzierung des Journalismus bekanntlich zur Herausforderung. An der Reichweite hänge dabei vieles, erklärt Von Haacke. Die verstärke den Konkurrenzkampf, aber deshalb bleibe es Pflicht, Relevanz und Reichweite aufrecht zu erhalten.

Journalisten brauchen neben den bisher bekannten umfassende zusätzliche Fähigkeiten, etwa unternehmerische und Technik-Kompetenz, betont Steinbrecher. Sie müssen Neue Medien bespielen und Datenjournalismus beherrschen. Dazu sollten sie sich unterschiedlichste Positionen einarbeiten können und dem Zeitdruck standhalten.

Die Informationen zu dieser Kolumne sind einem Online-Beitrag von Judith Blania beim Europäischen Journalismus Oberservatorium entnommen. Hier anklicken: "Die Geschwindigkeit nimmt zu".

 

Zweiter Beitrag mit Informationen aus dem EJO

Empfehlung für den Informationsüberblick:

Tellerrand an beiden Seiten im Auge behalten

Es ist bekannt, dass die Zahl der Informationsquellen sich für jeden von uns vervielfacht hat. So erklärt auch der Kommunikationswissenschaftler Joachim Tebbe in einer Analyse, dass neben die klassischen Massenmedien Presse und Rundfunk, in der Onlinewelt eine Vielzahl von Kommunikatoren in den sozialen Netzwerken getreten sind. Sie alle versorgen uns mit Neuigkeiten, Erzählungen und Meinungen, aber das aus nicht-journalistischer Sicht. Das heißt, dass sie aus privater und gegebenenfalls interessengeleiteter Perspektive entstehen.

 

Die Gegenhypothese

Auf den ersten Blick, so Tebbe, könne man annehmen, dass die Vervielfachung journalistischer und nicht-journalistischer Stimmen bei den Nutzern zu einer Ausweitung der Themen und Problemwahrnehmung führe. Für die gesellschaftliche Ebene könne das mehr Meinungsvielfalt und einen breiteren öffentlichen Diskurs bedeuten.
Tebbe fügt aber eine pessimistische Gegenhypothese hinzu, die besage, „dass die Quellenexplosion zu einer verstärkten selektiven Nutzung und Wahrnehmung übereinstimmender, die eigene Sichtweise bestätigender Inhalte und Meinungen führt.“ Gemeinsame, von allen als relevant wahrgenommene Themen würden dann insgesamt seltener vorkommen. Publikumsfragmentierung, Filterblasen und Echokammern seien moderne Beschreibungen einer solchen Verschlechterung der gesellschaftlichen Kommunikation.

 

Störung der Kommunikation


Eine Tagebuchstudie mit 645 Teilnehmern im Alter zwischen 18 und 50 Jahren von Pablo Porten Cheé (Weizenbaum-Institut, Berlin) und Christiane Eilders (Universität Düsseldorf) stützt eher die pessimistische Sicht auf die Folgen der Angebotsvervielfachung durch nicht-journalistische Inhalte im Internet.
Befragte, die viele solcher nicht-journalistischer Informationsquellen nutzen, zeigten zwar eine größere Selektivität, hatten in der Folge aber eher ein eingeschränktes und unausgewogenes Themenrepertoire zu bieten.
Porten Cheé und Eilders sehen darin ein klares Indiz für eine Störung der öffentlichen Kommunikation und des gesellschaftlichen Diskurses.

 

Beide Seiten im Auge behalten

Das vollständigste und ausgewogenste Themenrepertoire hatten Probanden mit hoher Nutzung journalistischer und nicht-journalistischer Quellen. Wer den Überblick behalten wolle, so schreibt Tebbe, müsse also den Tellerrand an beiden Seiten im Auge behalten.

Auch diese Kolumne ist einem Beitrag entnommen, der zuvor im Berliner Tagesspiegel (tagesspiegel.de) und online beim Europäischen Journalismus-Observatorium (EJO) erschienen ist. Sie erreichen ihn hier:  "Den Tellerrand im Auge behalten."
  

Wer seine Medienkompetenz verbessern will, dem empfehle ich: Das Europäische Journalismus Observatorium anklicken.

Dazu ergänzende und frühere Leseranwalt-Kolumnen.

"Technologische Risiken und Nebenwirkungen für das Gemeinwesen" (2018)

"Was Auszeichnungen und Fehler verbindet" (2017)

"Der wachsende Anspruch an Schlagzeilen und die Suche nach dem Bleibenden" (2015)

"Liefern Journalisten nur das, was Konsumenten haben wollen?" (2018)

"Reichweite ist nicht alles" (2018)

"Eine Hoffnung: Sensationslüsterner Journalismus hat keine Zukunft" (2015)

 "Sorge für die Zukunft im Internet, nicht Sensationsgier" (2009)

Achtung: Der Leseranwalt ist bis 6. Januar 19 nicht erreichbar.

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de

 
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Kommentare
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  • glaubt-nicht-alles
    ... und was sagt uns der Blick auf bzw. in den "Spiegel"?
    Bin mal gespannt, ob da auch was kommt, was man uns in selbstgegebenem Erziehungsauftrag erzählen zu müssen glaubt wenn ja, was.
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  • 50Hertz
    Ser treffender und feinsinniger Kommentar !
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  • glaubt-nicht-alles
    Und, was ist gekommen? Nix, weil nichts kommen durfte! Die "Bibel" der alternden 68er und deren Epigonen greift man doch nicht an. Möchte gar nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn das z.B beim focus geschen wäre; da wären sicher tagelang Seite-1-Berichte und den Leser belehrende Kommentare geschreibselt worden.
    Dass der sog. Leseranwalt es nicht thematisiert hat, schadet aber m.E. Nicht; seit der auf die dritte Ebene (O-Ton Leseranwalt) durchgereicht wurde, scheint er nur noch wenig zur Kenntnis genommen zu wetden.
    Have a nice day
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  • antonsah
    glaubt-nicht-alles.... eine Zeitung ist umfangreich.
    Siehe: https://m.mainpost.de/ueberregional/meinung/leitartikel/Kommentar-Wie-die-neue-Spiegel-Affaere-Medien-helfen-kann;art9517,10138562
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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