Qualität und Objektivität erscheinen dem Leser J.H. in der Zeitung „nicht oder nur begrenzt vorhanden“. So kritisiert er eine Eigenanzeige mit dem Text: „Meine Zeitung, jedeswortwert.de, Alternative Fakten gehören K.O.! Ich will Journalismus mit Verantwortung“ (Zeitung vom 26.2.). Darauf komme ich zurück.
Emotionale Ärgernisse
Zunächst aber noch zu Leser J.C.: Der erkennt „linksgrüne Tendenzen“ bei („kommentierten“) Artikeln. Bezeichnet das aber selbst als „subjektiv“. Kommentare und Stellungnahmen, besonders auf Seite 2, seien im vergangenen Jahr für ihn, der „konservativ“ grüßt, emotional ein großes Ärgernis gewesen. Er will, dass Kommentare klar gekennzeichnet sind. Ansonsten solle, beschränkt auf Tatsachen, rein sachlich berichtet werden.
Richtig. Das betrifft ein altes, aber immer wiederkehrendes Thema. So bedarf die journalistische Praxis der wichtigen Trennung von Nachricht und Meinung erneut einer Erklärung.
Wenn sich Nachricht und Meinung begegnen
Seite 2 der Zeitung ist schon im Kopf mit „MEINUNG“ gekennzeichnet. Darunter finden sich Leserkommentare, Gastbeiträge von Experten und Karikaturen. Speziell die Experten analysieren Zeitgeschehen aus ihrer Sicht. So begegnen sich in vielen Texten die Fakten und deren Beurteilung direkt. Das ist zulässig. Zwei entsprechend gekennzeichnete Artikel sind nicht unbedingt notwendig. Das setzt aber voraus, dass der Autor, der namentlich genannt sein muss, jederzeit erkennbar macht, wo die Nachricht endet und seine Meinung, Bewertung oder Analyse beginnt. So entstehen auch Hintergrundartikel. Die sollen Ereignisse einordnen und mit mehr Tiefe erschließen.
Es kann Partei ergriffen werden
Wer in Artikeln Tendenzen wahrnimmt, etwa „linksgrün“, was er dann auch immer darunter versteht, sollte nicht gleich die Überparteilichkeit oder angestrebte Objektivität der Zeitung anzweifeln. Denn in der Sache kann Partei ergriffen werden. Dafür stehen dann Sachargumente und kein Bekenntnis zu einer Partei. Das ist Teil von Pressefreiheit, ebenso wie es jedem freisteht, sich dazu eine eigene, andere Meinung zu bilden.
Ganzseitig und plakativ
Zurück zur Eigenanzeige. Sie stellt kurz, knapp, aber ganzseitig plakativ, im Bild mit einer Boxerin, den Kampf eines ganzen Mediums gegen falsche Nachrichten und für verantwortlichen Journalismus auch in schwierigen Zeiten heraus (Siehe Kopie am Ende des Textes). Wiederholt werden dabei missverständliche, weil verschleiernde Worte, mit denen ursprünglich Lügen begründet wurden („Alternative Fakten“). Dabei muss man auf den Durchblick der Betrachter setzen.
Mit Journalismus für Journalismus
Die Anzeige (Kopie siehe unten) muss nicht gefallen, auch mir als Journalist nicht. Ich mag schlagwortartige Verkürzungen nicht. Der zeitungskritische Leser M.R. droht ob der Anzeige sogar mit Abbestellung. Seine überzeichnende Interpretation für deren Aussage ist die Androhung von Prügel ("auf die Fresse geben") für missliebige Personen und Lügner.
Anzeigen sollen eben Wirkung erzielen. Zeitungen nutzen sie gerne selbst. Aber weil sie eben im Sinne ihrer Auftraggeber für Interessen oder Produkte werben, tragen sie einen Widerspruch zu unabhängigem Journalismus in sich. Der ist der Wahrhaftigkeit verpflichtet. Der Schlüssel liegt hier nicht bei Anzeigen: Er liegt alleine bei den Journalisten. Sie müssen selbst überzeugen: mit Journalismus für Journalismus.
Hier mehr zur Erklärung der Anzeige: www.jedeswortwert.de . Bilden Sie sich selbst eine Meinung dazu.
Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen zum Thema:
"Analysen sind Meinung" (2018)
"Kommentare, Meinungen und Wertungen müssen als solche erkennbar sein" (2009)
Ein markantes Beispiel ist die Kampagne für TTIP.
Die These lautet TTIP nützt allen. Allein das ist schon einmal Unfug. Könnte man aber noch als rhetorisches Stilmittel durchgehen lassen.
Um dies zu untermauern wurden Behauptungen als Fakten dargestellt. Diese ließen sich jedoch fast alle durch ein wenig Nachdenken, Beispiel oder Zahlen wiederlegen.
In den meisten Fällen hätten die Autoren wissen müssen dass ihre Behauptungen nicht stimmen.
Spätestens aber wenn man behauptet, dass diese Vermutungen und Hoffnungen, mehr waren diese Aussagen nicht, Fakten sein lügt man.
Dass die INSM ihren Flyer 12 Fakten grundlegend überarbeitet hat werte ich als Schuldeingeständnis. Dieser enthält jetzt nur noch Allgemeinplätzte und Zahlen, die nichts mit TTIP direkt zu tun haben.
Ein besonders krasses Beispiel für irreführende Namensgebung ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die in Wirklichkeit aus einem Haufen asozialer Marktliberaler besteht.
Argumente aus ihren Lügenkampagnen werden oft wortwörtlich von Politikern übernommen und so in den Medien wiedergegeben.
Wenn für Leser nicht völlig klar ersichtlich ist wie objektiv die Aussagen eines Artikels tatsächlich sind besteht für die Presse immer die Gefahr als Lügenpresse bezeichnet zu werden.