Begrüßt in einer Bürgerversammlung der Bürgermeister die Presse, so ist das nicht deren Eitelkeit geschuldet und auch kein Versuch des Bürgermeisters, sich anzubiedern. Ich empfehle diese Begrüßung sogar ausdrücklich. Besucher sollen erfahren, dass Medienvertreter anwesend sind und somit wahrscheinlich über die Veranstaltung berichten.
"Ich wurde nicht gefragt"
Viele Besucher erkennen die Konsequenzen daraus, das berichtet wird, aber nicht ganz. Das hat sich mir schon öfter in Anfragen gezeigt. So schrieb mir kürzlich Leser U.G.:
„Im Artikel zur Bürgerversammlung in (B-Dorf) wurde ich, neben anderen Personen, mehrmals mit vollem Namen genannt. Ich bin eine nicht in der Öffentlichkeit stehende Person. Ich wurde von Ihnen nicht gefragt, ob Sie meinen Namen in vollem Umfang veröffentlichen dürfen. Auf Grund der vollen Namennennung und Nennung des Wohnortes fühle ich mich massiv in meinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Sie verstoßen hier weiterhin massiv gegen Ihre
eigenen journalistischen Leitlinien , 'Leitlinien zur journalistischen Arbeit'.“
Orte und Namen der Zuschrift sind unkenntlich, weil sie einer persönlichen Zuschrift entspringen und nichts zur Sache tun.
Die automatische Zustimmung
Es liegt aber kein Leitlinien-Verstoß vor, weder gegen die eigenen, noch gegen den Kodex des Deutschen Presserates. Eine Bürgerversammlung, so meine Antwort an Herrn U.G., ist eine öffentliche Veranstaltung. Wer sich dort zu Wort meldet, gibt damit automatisch seine Worte und seinen Namen für die Medien-Veröffentlichung frei. Das ist einer konkludenten Zustimmung gleichzusetzen (Wichtig: Gilt so nicht bei Gericht). An Aussagen und an Sprechern können Redaktionen das Interesse der lokalen Öffentlichkeit voraussetzen. Das gilt für Bildveröffentlichungen fast gleichermaßen.
Womit jeder rechnen muss
„Muss ich wissen, dass Presse vor Ort ist? Es wurde nichts dergleichen erwähnt“. So hat Herr U.G. nachgefragt. Dass er bei öffentlichen Veranstaltungen immer damit rechnen muss, dass Medien vertreten sind, habe ich geantwortet.
Jedoch empfehle ich allen, etwa Bürgermeistern, die ein solches Ereignis leiten, auf die Medien-Präsenz aufmerksam zu machen. Die Berichterstatter können das vor Ort selbst schließlich nicht. Die Botschaft ihrer Anwesenheit darf durchaus in der Begrüßung stecken.
Öffentliches Interesse gegen Schutzbedürfnis
Was Berichterstatter keinesfalls unbedingt müssen, weil sie es wohl meist überfordern würde, ist, bei jedem zitierten Besucher persönlich nachzufragen, ob er der Namensnennung zustimmt. Deshalb: Wer - trotz Wortbeitrag - auf keinen Fall identifizierend erwähnt oder im Bild gezeigt werden will, sollte das rechtzeitig vor Veröffentlichung dem Berichterstatter oder der Redaktion mitteilen. Er muss dafür nachvollziehbare Gründe vorbringen (etwa Gefahr für Leib und Leben oder Repressalien). Dann wird die Redaktion entscheiden, ob das öffentliche Interesse oder ob sein Schutzbedürfnis schwerer wiegt. Bei Kindern, Jugendlichen und anderen schutzwürdigen Personen muss öffentliches Interesse selbstverständlich zurückstehen.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu diesem Thema:
"Sagen Sie es Journalisten, wenn Sie in der Berichterstattung nicht erkennbar sein wollen." (2013)
"Ihre diskreten Aussagen müssen Bürger nicht in öffentlichen Veranstaltungen machen" (2009)
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de