Zwei Personen haben sich bei mir gemeldet. Sie waren zurecht überrascht über eine Mitteilung im Kalenderblatt der Zeitung vom 9. März. Unter den Todestagen war zu lesen: „2018 Oskar Gröning, deutscher SS-Unteroffizier, 1942-1944 im Konzentrations- und Vernichtungslager tätig, am 15. Juli 2015 zu vier Jahren Haft verurteilt, geb. 1921.“ So stand diese „Tätigkeit“ da, direkt unter Geburtstagen von ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und Schriftsteller Arnulf Zitelmann.
Die schreckliche Tätigkeit
Ob seiner schrecklichen „Tätigkeit“ wurde Gröning, so kann man es nicht nur Wikipedia entnehmen, vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilt, bestätigt vom Bundesgerichtshof. Leser F.K. aus dem Spessart empfand deshalb die nüchterne Mitteilung, die in der Zeitung erschienen ist, als „geschmacklos“ und Leserin U.S. aus der Rhön hat gefragt, „folgen jetzt weitere Kriegsverbrecher, deren Todestage gewürdigt werden?“
So nicht mehr
Nein, auf diese Weise sollte das nicht wieder geschehen! Das war keine Würdigung, stand aber an einer Stelle, an der meist wichtiger Persönlichkeiten gedacht wird. Dort sollte ein solcher Todestag aber nicht erscheinen, zumindest nicht ohne Erklärung. Warum wurde aber, was offenbar niemand wollte, so verbreitet? Ich habe nachgefragt.
Blindes Vertrauen
Was sich mir auf Nachfrage vermittelt hat, ist viel blindes Vertrauen. Werden doch die Inhalte für das Kalenderblatt von der Deutschen Presseagentur (dpa) geliefert, bevor man sie in Würzburg an zwei Redaktionsdesks routinemäßig zur täglichen Veröffentlichung auf den lokalen Serviceseiten vorbereitet, passend für das Platzangebot in der Zeitung.
Wertfreie Übermittlung
Und warum hat die dpa jenen Todestag übermittelt? Das geschieht völlig wertfrei, erklärt man in der Agentur. Man biete als Service historische Daten möglichst komplett an, auch Todestage. Da könne man verurteilte Täter nicht auslassen oder nach bösen und guten Menschen unterscheiden. Was die Medien vor Ort daraus machen, liegt in ihrer Verantwortung. Das hat dazu geführt, dass der von der dpa ebenfalls angebotene Todestag des amerikanischen Schriftstellers Henry Charles Bukowski, Jr. gestrichen wurde, wohl aus Platzgründen. Gröning blieb stehen. Leider.
Aufmerksamkeit und Verantwortung
Die Lehre aus der ungewollten Auflistung eines SS-Täters im Kalenderblatt, ist eigentlich eine selbstverständliche: Auch routinemäßige Abläufe erfordern Aufmerksamkeit. Die darf nie fehlen, auch nicht bei Mitteilungen der dpa. Außerdem bedarf es eines verantwortlichen Umgangs mit Geschichte. So hätte man es für unangemessen und überflüssig halten können, bei Erinnerungen an Todestage einen solchen Täter überhaupt aufzunehmen. Aber wenn doch, dürfen die fürchterlichen Verbrechen, deren er beschuldigt wurde, nicht fehlen. Dann kann eine Erinnerung als Mahnung oder unter dem Stichwort „wider das Vergessen“ akzeptiert und nicht mit einer Würdigung verwechselt werden.
Ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:
"Über einen nicht alltäglichen journalistischen Erfolg" 2015)
"Warum einen Zeichnung mit Hakenkreuz veröffentlicht werden durfte" (2017)
"Der verbrämte Nazi-Vergleich" (2018)
"Die kleine Freundlichkeit zwischen forschen Forderungen" (2008)
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de