Berechtigt und zum Nachdenken geeignet ist das, was Herr H.W. der Redaktion schreibt. Am Samstag, 30.6., wurde er in der Zeitung auf einen Leserbrief aufmerksam, weil es darin um Österreich ging, aber auch weil er persönliche Ansichten der Schreiber dann nicht akzeptieren könne, wenn es zu Angriffen auf Personen oder ganze Völker komme.
Österreichische Politiker schwer belastet
Und das konnte an diesem Tag nicht nur er lesen:
„Dass es gefährlich sein kann, sich in politischen Fragen bei einem österreichischen Politiker Rat zu holen, sollte jeder Deutsche mit ein wenig Wissen um die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre verinnerlicht haben. Nicht so unser bayrischer Ministerpräsident: Nach seinem Besuch in Linz beglückte er uns mit der Erkenntnis, dass der 'geordnete Multilateralismus‘ in Europa ausgedient habe.“
Diese Passage hat Herrn H.W zu seiner Kritik veranlasst: Ein demokratisches Land (Österreich) und eine Menschengruppe (die Politiker) werde in die Nähe des schlimmsten Verbrechens der Weltgeschichte gebracht. Während man ähnliches aus dem Netz kenne, frage man sich, ob das auch in der Zeitung zu akzeptieren sei. Die Redaktion habe doch die Möglichkeit, verhetzende Kommentare nicht zu veröffentlichen. War es dem Personalmangel (Streik) zu verdanken, dass dieser Kommentar (siehe Kopie) "durchrutschte"?
Nicht justiziabel
Nein, die Veröffentlichung der kritisierten Passage ist keine Streik-Folge. Die Redaktion hat die Zuschrift als persönliche Meinung des Absenders bewertet. Sie argumentiert: Der Schreiber halte sich allgemein. Er nenne keine Namen und greife keine Person an. Und er argumentiere historisch. Der Inhalt sei auch nicht justiziabel. Ich füge dem erklärend hinzu, Leserbriefe müssen vor Veröffentlichung nicht mit derselben Aufmerksamkeit geprüft werden, wie journalistische Beiträge. Meist bleibt dazu eben nicht die Zeit. Diese Bewertung, die dann gilt, wenn sich die Redaktion im Leserforum von den Inhalten ausreichend distanziert, wurde schon in der Rechtsprechung deutlich. Siehe: (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, Rn. 67, juris).
Verbrämter Hinweis
Die Begründung der Redaktion ist richtig – aber trotzdem nur vordergründig. Tatsächlich findet sich kein verbotenes Wort in der veröffentlichten Zuschrift. Allerdings sage ich: Selbst wenn der Verweis auf die Nazi-Diktatur oder Adolf Hitler in dem Brief nur über deutsche Geschichte verbrämt daher kommt, ist klar: Gemeint sind die schrecklichen Jahre von 1933 bis 1945. Das unterstreicht in der Zuschrift noch ein Hinweis auf den 16. März 1945 in Würzburg, dem Tag des schrecklichen Bombenangriffs.
Das geht nicht
Natürlich darf man den 16. März oder die Nazi-Diktatur als Warnung vor Gefahren einsetzen, die mit Nationalismus einhergehen können. Was aber nicht geht, ist das, was Herr H.W. im Hinblick auf eine aktuelle Demokratie "auf das schrecklichste Verbrechen der Weltgeschichte" moniert hat. Dem füge ich hinzu: Egal ob man nun für oder gegen „Multilateralismus“ ist, ob man Nationalismus für eine Gefahr hält oder nicht – eine demokratische Regierung mit der Nazi-Diktatur zwischen 1933 und 1945 in Verbindung zu bringen, das ist mindestens unseriös und meist voll daneben. Kurzum: Es wäre besser gewesen, das Argument mit der Historie, das Österreichs Regierung schwer belastet und mit ihr Bayerns Ministerpräsident, aus dem Leserbrief zu streichen, so wie es sonst mit Nazi-Vergleichen geschieht. Egal ob digital oder vor dem Druck.
Frühere Leseranwalt-Kolumne zu Nazi-Vergleichen
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de