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Wir über uns: Wie Lockdown und Impfchaos die Menschen zermürben
Die überall im Land grassierende Gereiztheit bekommt auch die Redaktion in Telefonaten, Zuschriften und Mails zu spüren. Der Ton ist oft rau und unversöhnlich.
Verschwörungsmythen und Desinformationen haben in der Corona-Pandemie nach wie vor Hochkonjunktur.
Foto: Boris Roessler, dpa | Verschwörungsmythen und Desinformationen haben in der Corona-Pandemie nach wie vor Hochkonjunktur.
Michael Reinhard
Michael Reinhard
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:12 Uhr

Liebe Leserinnen und Leser!

Geht Ihnen Corona mit seinen gravierenden Einschränkungen für unser Leben mittlerweile auch gehörig auf den Wecker? Fühlen Sie sich im Lockdown mürbe und erschöpft? Willkommen im Club! Denn ob am Arbeitsplatz oder im Freundes- und Bekanntenkreis – überall macht sich dieses lähmende Gefühl der Lethargie breit. Im Frühjahr war das anders. Da versetzte Corona die meisten Menschen in einen Zustand von Verunsicherung und erhöhter Wachsamkeit. Die zweite Welle der Pandemie ist indes auf eine bereits ausgelaugte und gereizte Gesellschaft geschwappt. Wir sehnen uns nach unserem alten Leben zurück: Endlich wieder Menschen umarmen, uns mit Freunden treffen, ins Restaurant gehen, in den Urlaub fahren, gemeinsam feiern...

Könnte sein, dass es durch das augenblickliche Impfhickhack länger dauern wird, bis wir solche Sehnsüchte stillen können. Kein Wunder, dass sich darüber Frust in der Bevölkerung breit macht. Lieferengpässe, Missmanagement und Hilflosigkeit dokumentieren politisches Versagen auf breiter Front.

Sorgen bereiten vor allem einige Corona-Mutationen, die sich derzeit rasant verbreiten.

Zunehmend mehr Bürger fragen sich in diesen Tagen, ob unsere Politiker die Lage noch im Griff haben. Dies umso mehr, nachdem durchgesickert ist, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich bei einer internen Diskussion mit den Unions-Fraktionschefs von Bund und Ländern gesagt haben soll: "Uns ist das Ding entglitten." Das zeigt, wie angespannt die augenblickliche Pandemie-Situation ist – trotz sinkender Neuinfektionen.

Sorgen bereiten vor allem einige Corona-Mutationen, die sich derzeit rasant verbreiten. Beim Blick auf den Rest der Welt wird aber schnell klar: In den meisten Ländern ist die Gemengelage ähnlich wie hierzulande. Keine Regierung hat bislang einen Königsweg gefunden, um das tödliche Virus zu eliminieren. Ohne großflächige Impfung, da sind sich die meisten Experten einig, wird es keine Rückkehr zur Normalität geben.

Zur Wahrheit gehört ebenfalls: Laut aktuellem ZDF-Politbarometer werden die bis Mitte Februar verlängerten und weiter verschärften Corona-Regelungen von einer Mehrheit (56 Prozent) als richtig angesehen. 28 Prozent plädieren sogar für eine weitere Verschärfung und nur 14 Prozent halten sie für übertrieben.

Nie war die Wächterfunktion der Presse wichtiger als heute

Die im Lande grassierende Gereiztheit bekommt auch die Redaktion in Telefonaten, Zuschriften und Mails unmittelbar zu spüren. Der Ton ist oft rau und unversöhnlich. So wird uns pauschal vorgeworfen, dass wir, "wie die meisten anderen Medien auch", kaum Kritik am Regierungshandeln übten. Eine Leserin hat unsere Zeitung abbestellt, weil "die seit Jahren gleichgeschalteten System- und Staatsmedien nur die politisch-korrekte Meinung propagieren und leider keinerlei objektive Berichterstattung (mehr) zulassen!" Nicht nur das. Die Journalistinnen und Journalisten der Mediengruppe Main-Post trügen dazu bei, dass kritische Meinungen zur Corona-Politik "unterdrückt werden", beschwert sich ein Leser. "Wer sich kritisch äußert, wird als Verschwörungstheoretiker abgetan und in die rechte Ecke gestellt."

Wir haben seit Ausbruch der Pandemie weit über 5000 Berichte, Kommentare, Reportagen und Meldungen zum Thema Corona geschrieben. Viele Artikel haben sich kritisch mit Entscheidungen des Bundes und der Länder auseinandergesetzt. Wir sind uns bewusst: Gerade in einer Phase, in der über Jahrhunderte erkämpfte Grundrechte massiv beschnitten werden, ist die Wächterfunktion der Medien bedeutender denn je.

So hat beispielsweise mein Kollege Andreas Jungbauer in einem Kommentar angeprangert, "dass Kanzlerin und Ministerpräsidenten durchregieren – der Bundestag darf keine 24 Stunden später hinterher diskutieren. Eine Demütigung des Parlaments und der Demokratie. Dabei wäre das öffentliche, kritische Ringen um die Einschränkung von Grundrechten so wichtig für das Verständnis in der Bevölkerung".

Wir werden weiter genau hinschauen und konsequent und kritisch alles hinterfragen

Ich  versichere Ihnen: Wir werden weiter genau hinschauen "und konsequent und kritisch alles hinterfragen. Dafür nehmen wir gerne in Kauf, dass wir Politiker verärgern oder überlasteten Pressestellen noch mehr Arbeit machen", wie unser Reporterchef Benjamin Stahl es in einem kritischen "Samstagsbrief" an Bundeskanzlerin Angela Merkel formulierte.

Nach wie vor lehnen wir es jedoch ab, uns mit erkennbaren Desinformationen zu beschäftigen. Offenkundigen Unsinn werden wir weiterhin genauso wenig thematisieren wie erkennbare Falschinformationen. Wir sind nicht bereit, fragwürdige Positionen auf eine Stufe mit anerkannten Fakten zu stellen. Die Folge wäre eine sogenannte falsche Gleichgewichtung, wodurch Fake News und Verschwörungsmythen mehr Raum bekommen, als ihnen zusteht.

Ich weiß, dass einige Leserinnen und Leser mit dieser Linie nicht einverstanden sind. Tag für Tag bekomme ich Mails, in denen mir teils hanebüchene Inhalte auf Youtube empfohlen werden, verbunden mit der Aufforderung: "Der Bericht muss in die Zeitung!" Dazu sollte man wissen: Von den weltweit beliebtesten Corona-Videos auf dieser Plattform enthält laut Untersuchungen über ein Viertel Falschinformationen. Ich empfehle Ihnen deshalb, nichts für bare Münze zu nehmen, wofür es keine Beweise gibt. Seien Sie skeptisch. Informieren Sie sich nur aus nachweislich seriösen Quellen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in dieser nach wie vor ungewöhnlich herausfordernden Zeit stets verlässliche Informationsquellen, gute Nerven, Durchhaltevermögen und Zuversicht.

Herzlichst

Ihr

Michael Reinhard

 
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  • StephanOch
    Michael Reinhard >>Nie war die Wächterfunktion der Presse wichtiger als heute<<

    Nein. Genau anders herum wird ein Schuh daraus:
    NIE haben die PRESSEMEDIEN KOLLEKTIV MEHR VERSAGT ALS HEUTE.

    Denn die Aufgabe der Pressemedien war es immer, den Staat bzw. die Regierung zu überwachen. Nicht aber die Bürger, dessen Sprachorgan die Presse EIGENTLICH sein sollte, Herr Reinhard!
    Ich erwarte von Ihnen eine Stellungnahme und nicht wieder eine "Nichtverbreitungsmaßnahme" meines ernst gemeinten Kommentars. Dankesehr.

    Stephan D. Schwarz
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  • mhm
    Selbstverständlich dürfen Sie Ihre Arbeit positiv darstellen. Sie liefern ja auch nichts Falsches, doch lassen Sie manche Aspekte bei Ihrer Berichterstattung weg. Sie lassen einfach, wie die Regierung auch, bestimmte Leute zu Wort kommen und andere erwähnen Sie nicht. Streeck findet bei Ihnen kaum Erwähnung, Ioannidis und seine lockdown-Kritik wird total verschwiegen und Schweden wird nur erwähnt, wenn der König mal Kritik äußert. Wie der andere Weg dort aussieht wird nicht dargestellt. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
    Die journalistische Freiheit erlaubt Ihnen ein solches Vorgehen, doch ist es in meinen Augen sehr fragwürdig.
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  • hirschkaefer
    @mhm: Schweden ist auch kein gutes Beispiel. Es wird deswegen erwähnt, wenn der König Kritik äussert, weil er sich sonst nicht in diesem Maße nicht in das Tagesgeschehen einmischt.
    Generell ist Schweden auch kein gutes Beispiel wie man daran sieht, welche Maßnahmen getroffen wurden seit die zweite Welle richtig eingeschlagen ist. Selbst in Nordschweden lag die 7-tage-Inzidenz für eine Stadt in Nordschweden bei über 350. Die Todeszahlen in Västerbotten für die Region haben sich alleine in Dezember gegenüber der Zahlen von März-November verdoppelt. Hier ist die Kacke am Dampfen kann ich sagen!

    Schweden ist kein passendes Beispiel für "wie man es anders machen kann".
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  • Doedi.wue
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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  • steve67
    Tja, was soll man zu diesem Erguß sagen. Da verschlägt es mir die Sprache...
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  • m.schmitt.stadtlauringen@gmail.com
    Zitat: "Viele Artikel haben sich kritisch mit Entscheidungen des Bundes und der Länder auseinandergesetzt. Wir sind uns bewusst: Gerade in einer Phase, in der über Jahrhunderte erkämpfte Grundrechte massiv beschnitten werden, ist die Wächterfunktion der Medien bedeutender denn je."

    Den Eindruck habe ich persönlich nicht. Gerade wegen der Querdenker und ihren dubiosen Quellen und hanebüchenen Verschwörungstherien sowie angeblichen Fachleuten ist wichtig das sachliche, gut vorgetragene und belegbare Kritik vorgebracht wird und "Ungerechtigkeiten" klar angesprochen werden.

    Wenn das unterbleibt braucht man sich nicht wundern wenn dubiosen Selbstdarstellen mit Abschluss von der Youtube-Universität Tür und Tor geöffnet werden.

    Vor allem muss auch die Politik darauf achten das es möglichst gerecht und verständlich zugeht. Ungerechtigkeit sorgt für Kritik. Und Ungerechtigkeiten und Unverständlichkeiten kann man allerorten erkennen bei den schnell zusammengeschusterten Regeln.
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  • k.a.braun@web.de
    Liebe Mainpost, Sie haben auf ihrer Webseite das Hausrecht - ich persönlich würde mir wünschen, das Sie dieses im Dienste der Vernunft noch viel stärker gegen Krakeeler und diejenigen, die zwischen Fakten und Meinungen nicht unterscheiden können, zum Einsatz bringen.

    Gleichzeitig wünsche ich mir, dass Sie nicht jedes kontroverse Thema befeuern - es sind nicht zuletzt Medien wie diese Zeitung, die durch allzu aufgeregte Berichterstattung die angesichts eines weltweiten Pandemiegeschehens völlig erwartbaren Schwierigkeiten bei Beschaffung und Verteilung der Vakzine sofort zum "Impfchaos" erklärt haben. Etwas mehr Weitsicht und Geduld tut allen gut.
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  • DFR4
    Während andere impfen, veranstaltet Deutschland politische Laberrunden.
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  • Einwohner
    Auch beim Thema der Impfstoffbeschaffung sieht man doch mal wieder unser Problem, welches an vielen anderen Beispielen ebenfalls so anzutreffen ist: Vor lauter Ehrfurcht, Zurückhaltung, Helfersyndrom, Angst vor Kritik oder übersteigerter Moral wollen wir nur nichts falsches tun, damit niemand auch nur etwas negatives über uns Deutsche denken kann, kümmern wir uns erstmal um alle anderen in Europa und auf dieser Welt und ganz am Schluss um unsere eigenen Bewohner und Mitbürger.
    Hauptsache, die Osteuropäer wurden nicht verärgert wegen zu vermeintlich zu teurem Impfstoff, die Franzosen wurden nicht verärgert weil ihre Firmen nicht ausreichend bedacht wurden, bei den Briten entsteht nicht der Eindruck sieh würden benachteiligt nur weil sie aus der EU ausgetreten sind,... Und jetzt lassen wir auch noch den russischen Impfstoff zu, nicht das Putin dann irgendwie beleidigt sein könnte.
    Ein bisschen mehr Mut und Selbstbewusstsein würde auch uns in Deutschland gut tun.
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  • DFR4
    Toll auf den Punkt gebracht
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  • semistar
    Es waren die Fotos aus Bergamo, die ein panisches Abschalten der Hauptsicherung bedingten. Das war nur zu menschlich und zunächst auch entschuldbar.
    Was dann aber folgte sind Pleiten, Pech und Pannen.
    Wie ein wütender Kampfhund, der sich immer stärker in seine Beute verbeisst wurden die überbordenen Maßnahmen gerechtfertigt, als „alternativlos“ hingestellt und Zweifelnden wurde angeboten, doch bessere Vorschläge zu machen.
    Die gab es zuhauf, nicht alle waren schlüssig und umsetzbar. Doch eine intensive Auseinandersetzung mit den Brauchbaren fand auch nicht statt. Alle Konzentration galt der Austüftelung von Lockdown-Maßnahmen – und Strafmaßnahmen bei Nichtbeachtung.
    Und hier liegt das Versagen. Schön brav wurde die Regierungslinie ins Volk gestreut. Andersdenkende wurden regelrecht verhöhnt.
    Nach Silvester fand endlich ein Umdenken statt. Meinungsprägende Medien berichten nun viel differenzierter. Mit dem Einräumen ihrer falschen Einschätzung tun sie sich aber immer noch schwer.
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  • jutta.noether@web.de
    Danke für diesen "Leserbrief". Den Eindruck einer steigenden allgemeinen Aggression kann man auch aus den Postings im Forum und aus den Äußerungen in Verwandt- und Bekanntschaft gewinnen.

    Natürlich liegen überall die Nerven blank. Das mag ein Grund, aber keine Entschuldigung sein.

    Ich sehe in Ihren Artikeln keine einseitige Berichterstattung, und dass Sie Falschinformationen nicht bringen, ist vollkommen in Ordnung.
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  • DominikBerthel@t-online.de
    Daumen hoch MP.... bitte durchhalten!
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