
Der Mord an der 19-jährigen Mezgin sorgt für Aufregung – auch weit außerhalb des Gerichtssaales. Dabei hat der Prozess in Aschaffenburg gerade erst begonnen. Ein Urteil darüber, ob und warum der syrische Flüchtling Hashem N. seine Tochter getötet hat, liegt in weiter Ferne.
Einzelfall oder exemplarischer Konflikt?
Aber schon steigt die Erregungswelle, weil manche Medien dem Verfahren das Etikett "Ehrenmord" verpassten: Das war, als halte man ein Streichholz an ein Benzinfass. Denn der Begriff – gespeist aus drei Zeilen der Aschaffenburger Anklage – macht aus einem tragischen Schicksal in der unterfränkischen Provinz einen exemplarischen Konflikt.
Wie darf man solche Fälle nennen, wie muss man sie bestrafen? Das berührt ein heikles Feld: Das kulturelle Ringen bei der Integration von Flüchtlingen: Wie stark müssen sie sich anpassen? Wie tolerant muss man ihrer Herkunft Rechnung tragen?
Mord aus niederen Motiven
Der syrische Flüchtling Hashem N. war – nach allem, was man bisher hört – 2015 mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg aus Aleppo nach Aschaffenburg geflohen. Offenbar tat sich der 46-Jährige schwerer damit, sich in der neuen Welt zurecht zu finden als seine 19-jährige Tochter Mezgin. Dass er seine Kinder schlug, sah er als sein selbstverständliches Recht an. Dabei wollte Mezgin, das wurde im Prozess deutlich, so sein wie einheimische Mädchen, ohne sich von ihrem Vater viel sagen zu lassen – bei Kleidung, im Umgang mit Sozialen Medien und dann auch beim Sex.
Deshalb "kam es immer wieder zu Konflikten mit ihrem sehr konservativ eingestellten Vater", heißt es in der Anklage. Hashem N. habe die 19-jährige "aus niederen Motiven" umgebracht, "um sie für ihren Lebenswandel zu bestrafen und vermeintlich seine Ehre wieder herzustellen – ein Motiv, das nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert ist und auf tiefster Stufe", betonte Staatsanwalt Jürgen Bundschuh.
Auch diese Redaktion verwandte dafür die griffige Bezeichnung "Ehrenmord" – und erntete Proteste von Frauen: Dies sei gefährlich verharmlosend für solche (leider nicht seltenen) Fälle : "Mord ist keine Frage der Ehre," lautete die Kritik – zu Recht.
Ein neuer Begriff: Femizid
Der kleine Unterschied: Während Männer kaum jemals um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie eine Beziehung beenden, ist der häufigste Auslöser männlicher Tötungsdelikte in Beziehungen die Trennung oder Trennungsabsicht der Partnerin. Das sind mehr, als man glauben möchte, 300 pro Jahr laut BKA. Seit der Istanbul-Konvention von 2018 gibt es für Gewalt gegen Frauen (gleich, aus welchen Motiven) den Begriff „Femizid“. Der ist aber, wenn man Juristinnen glauben darf, ihren Kollegen bisher noch so wenig vertraut wie dem Rest der Bevölkerung.
Ein zweites Phänomen: Etwa ein Drittel aller Morde, die das BKA in der Statistik unter "Partnerschaftsgewalt" führt, begehen Männer, die keinen deutschen Pass besitzen. Dabei liegt der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung hierzulande laut einer Erhebung des Statistikportals "Statista" nur bei rund 12,5 Prozent.
Zwiegespaltene Täter
Enis Tiz von der juristischen Fakultät der Universität Würzburg sagte in einem Interview mit dieser Redaktion zu dem Thema: "Die meisten Täter sind zwiegespalten zwischen der westlichen Kultur des Landes, in dem sie leben und der patriarchalischen Tradition, die sie aus ihrem Heimatland konserviert haben. Sie leben in einer Parallelgesellschaft und können die Frage 'Wer bin ich?', also die Frage nach ihrer eigenen Identität, nicht beantworten."
Seine Kollegin Ulrike Lemke aus Berlin warnt aber in einem Beitrag für "Die Zeit" davor, zweierlei Maß anzulegen: Der Bundesgerichtshof habe zwar wegweisend am 22. März 2017 festgelegt: Es ist besonders verwerflich (und damit strafrechtlich Mord), wenn ein Mann seine Frau tötet, die ihn verlässt. Damit ist das Gericht der Istanbul-Konvention gefolgt, einem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Bis dahin hätten Gerichte aber "großes Einfühlungsvermögen für den Mann" und seine Verlustängste gezeigt, als seien die weiblichen Opfer irgendwie auch selbst mit Schuld an ihrem Schicksal.
Dieses Verständnis für die Täter "fand ein abruptes Ende, wenn es sich nicht um einen weißen deutschen Täter handelte", hat die Professorin in der "Zeit" festgestellt. War der Täter "im Osten der Türkei geboren" oder "von kurdischer Volkszugehörigkeit", wurde sein Motivbündel nicht mehr als vulnerabler emotionaler Zustand verstanden, kritisiert die Expertin, die zum Antidiskriminierungsrecht forscht.
Mitteleuropäische Maßstäbe?
Wolle ein Ausländer in die deutsche "Rechtsgemeinschaft" aufgenommen werden, müsse er "deutsche Bräuche und Überzeugungen hinsichtlich des Verhältnisses von Mann und Frau" verinnerlichen und sich an "mitteleuropäischen Maßstäben" orientieren. Ironisch merkt die Juristin an: "Zu diesen Bräuchen und Maßstäben gehörte offenkundig auch das strafmildernde Verständnis der Rechtsprechung für den weißen deutschen Mann, der seine Frau tötet, die ihn verlassen will, und die Bewertung solcher Tötung von Frauen als Ausdruck von Verzweiflung, Verlustangst oder als eine Form der Selbstschädigung."
Sie hält dagegen: "Wenn ein Mann seine Partnerin tötet, weil sie ihn verlassen will oder verlassen hat, ist das Femizid – egal, ob der Täter weißer Deutscher ist oder Migrationsgeschichte hat oder einer bestimmten Religion anhängt". Das gleiche gilt, "wenn ein Mann seine Tochter tötet, weil sie anders leben will, als für sie vorgesehen ist". Das klingt, als sei es für den aktuellen Fall Mezgin geschrieben.