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Medienethiker zu Köln: „Kritik ist angebracht, Misstrauen nicht“
Alexander Filipovic       -  Alexander Filipovic
Foto: SJ-Bild / Leopold Stuebner, dpa | Alexander Filipovic
Von unserem Gastautor Alexander Filipovic
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:51 Uhr

Hinter uns liegt ein in vieler Hinsicht furchtbares Jahr: Terror, Krieg, die Erfolge der Populisten und Antidemokraten – das alles beschäftigt uns immer noch. Die Medien berichten über diese Dinge und sind oft bloß Überbringer der schlechten Nachrichten. Wir sollten aber in unserer Medienkritik die schlechte Botschaft nicht mit dem Überbringer verwechseln.

Wie die Medien berichten – das können und sollten wir kritisch beobachten. Allerdings: In Zeiten, in denen sich alle am öffentlichen Gespräch beteiligen, ist Medienkritik immer auch Selbstkritik. Die Akteure der öffentlichen Kommunikation sind nämlich schon längst nicht mehr nur das Fernsehen, die Zeitungen und das Radio, sondern auch Facebook, alternative Nachrichtenplattformen, Twitter – und damit alle, die in Facebook „liken“, auf Twitter „retweeten“ und in Foren und Kommentarspalten ihre Meinung beitragen – also Sie und ich.

Das Jahr 2016 begann mit der Kölner Silvesternacht. Erstaunlich an „Köln“ war, dass die tatsächlichen Ausmaße der sexuellen Übergriffe durch überwiegend aus Nordafrika stammende Tatverdächtige erst nach und nach ans Licht kamen. Die Polizei geriet dabei ebenso in die Kritik wie die überregionalen Medien. Hatten zwar die Kölner Medien recht bald über die ungeheuerlichen Vorgänge berichtet, so war dies beispielsweise in der „Tagesschau“ erst am 4. Januar der Fall.

Natürlich war die Flüchtlingssituation die Hintergrundfolie für die vergiftete Debatte. In dieser Stimmung entlud sich einmal mehr der Hass gegenüber den etablierten Medien. Zwar wurde auch sachliche Kritik an einer verspäteten Berichterstattung geäußert und in Teilen war eine vernünftige Debatte über die medialen Probleme möglich.

Vorwürfe in den Nutzerkommentaren

Gerade aber in den Nutzerkommentaren entluden sich die hasserfüllten Vorwürfe, dass die etablierten Medien das wahre Ausmaß der Verbrechen, die von Geflüchteten begangen werden, unter den Teppich kehren wollen. Und, so die Vorwürfe weiter, dass die Medien auf diese Weise mit einer Politik gemeinsame Sache machten, die das Land an Fremde und Andersgläubige ausliefere.

Diese Diskussion wiederholte sich in den letzten Wochen dieses Jahres, in denen dem Fernsehen vorgeworfen wurde, nicht adäquat über einen mutmaßlich von einem geflüchteten Menschen begangenen Mord an einer Studentin in Freiburg berichtet zu haben. Zwar ist eine Kritik im Kontext von „Köln“ berechtigt. Der Vorwurf mangelnder Sorgfalt und der Verdacht, dass einige Sender zu wenig Engagement gezeigt haben, die tatsächlichen Ausmaße schnell zu recherchieren, haben ihre Berechtigung. Der Vorwurf aber, die etablierten Medien täten dies absichtsvoll, verfolgten eine politische oder ideologische Agenda und verließen im Zuge dieser Agenda ihre Leitperspektive, objektiv zu berichten, ist absurd. 95 Prozent der Berichterstattung ist nicht zu beanstanden.

Warum dann diese Vorwürfe? Sie lassen sich zum Teil erklären mit der Unkenntnis in breiten Teilen der Bevölkerung darüber, wie im Journalismus Themen ausgewählt, in ihrer Relevanz sortiert, auf ihre Richtigkeit überprüft und präsentiert werden. Der Journalismus selbst könnte hier mehr leisten, aufklären über seine Entscheidungen, welche Themen gebracht werden und welche anderen aus welchen Gründen nicht. Aber das erklärt die Aggressivität der Vorwürfe nur zum Teil.

Hang zu Verschwörungstheorien

Bedeutender erscheint mir, dass es einen starken Hang zu Verschwörungstheorien gibt, der sich mit einem ätzenden Misstrauen gegenüber einer als Elite wahrgenommenen Personengruppe verbindet, die in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Medien die zentralen Positionen besetzt. Die Populisten und Antidemokraten der Stunde nutzen dieses Misstrauen, rufen es eigens hervor und erzielen damit Erfolge. Zum Schaden unserer Demokratie, wie ich meine.
 

Ausgehend von „Köln“ lassen sich viele Probleme unserer Öffentlichkeit beschreiben. Es gab 2016 allerdings noch mehr Fälle. Vor allem sind hier der Terroranschlag in Nizza und der Amoklauf in München zu nennen. In Sachen Medienkommunikation fiel bei „Nizza“ auf, wie unbedacht Zeugen des Anschlags unmittelbar direkt danach gefilmt und die schrecklichen Bilder ins Netz gestellt haben. Die Polizei hat hier gute Kommunikationsarbeit geleistet und die Bevölkerung gebeten, dies zu unterlassen. Erstaunlich, dass man darum erst gebeten werden muss.

Der Amoklauf in München hat andere Probleme der vernetzten Kommunikation hervorgebracht: Gerüchte wurden vielfach geteilt („Am Stachus wird geschossen!“), sie verunsicherten viele Menschen, ängstigten sie gar zu Tode und erschwerten die Polizeiarbeit enorm. Auch hier fällt auf, dass die Menschen ihre neuen Möglichkeiten, sofort und öffentlich via Internet zu kommunizieren, nicht immer verantwortungsvoll nutzen.
 

Jan Böhmermanns Satire schließlich war eine schlechte Satire, weil sie schlimme Vorurteile gegenüber türkischen Menschen unkritisch ausgesprochen hat. Rechtlich gesehen allerdings war die Satire in Ordnung: Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit sind hohe Güter unserer Gesellschaft, die nicht nur in der Türkei massiv unter Druck geraten. Dass Böhmermann darauf aufmerksam gemacht hat, ist wiederum sein großes Verdienst.

Mit Gefühlen politische Erfolge erzielen

Der Brexit und der Wahlkampf in den USA mit der Wahl Donald Trumps zum künftigen US-Präsidenten wiederum haben gezeigt, dass gerade veritable politische Erfolge mit den Gefühlen der Menschen erzielt werden können. Dies sind die Ängste der Menschen und deren Gefühl dauernder Ohnmacht gegenüber erlittener Ungerechtigkeit und Gefühlen persönlichen Zurückgesetztseins. Die Wahrheit fällt dabei hintenüber, interessiert als Kategorie nicht mehr. Wahrheit – was soll das schon sein? So die Meinung. Der Journalismus, der seine Glaubwürdigkeit aus geprüften Informationen schöpft, hat in solch einer Lage schlechte Karten. Er kann seine wichtige Aufgabe für die Demokratie nicht erfüllen. Überhaupt steht er den Erfolgen der Populisten ziemlich ratlos gegenüber: In den USA haben die journalistischen Medien den Wahlerfolg Trumps nicht kommen sehen.
 
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Wir leben also in „postfaktischen Zeiten“. Aber: Dass man alles auch anders sehen kann, dass die eigene Perspektive immer auch das Wahrgenommene prägt, dass es zu jedem Faktum eine gegenteilige Meldung gibt und dass man jeder Äußerung unterstellen kann, ideologisch zu sein – das bedeutet nicht, dass wir die Realitätsbezüge in unserem Reden und Handeln aufgeben dürfen.
 

Menschen in Deutschland schätzen laut Umfragen, dass in unserem Land Muslime 21 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Tatsächlich sind es fünf Prozent. Was auch immer daraus folgt, eines ist sicher: Wenn wir mit der falschen Einschätzung und dem trügerischen Gefühl Politik machen, machen wir eine falsche Politik.

Die Kritik an der Medienwelt ist angebracht, generelles Misstrauen nicht. Verwechseln wir im Jahr 2017 daher nicht gesunde Skepsis mit destruktivem Misstrauen. Vertrauen wir auf die Kraft wahrer Informationen. Und vertrauen wir denen, die uns versprechen, ihr Bestes zu geben, um uns mit solchen Informationen zu versorgen.

Zur Person

Der Autor Alexander Filipovic, 1975 in Bremen geboren, studierte in Bamberg Katholische Theologie, Kommunikationswissenschaft und Germanistik. Er ist Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München. Zudem koordiniert er das „Netzwerk Medienethik“, gibt die Zeitschrift „Communicatio Socialis“ heraus und beschäftigte sich auf ARD alpha mit medienethischen Aspekten von Journalismus oder TV-Unterhaltung.
 
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Kommentare
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  • spiesheimer
    Jeglicher Art von Medienberichten in D gegenüber ist Misstrauen nicht nur angebracht, sondern Grundvoraussetzung!

    Siehe hier:

    https://de.sputniknews.com/gesellschaft/20170104314014036-syrien-madchen-propaganda/
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  • uwe.luz@t-online.de
    In der Tat: Die professionellen Medien schulden den Nutzern (die ja auch dafür bezahlen) im Rahmen eines ethisch regelgerechten Journalismus wahre Tatsachen. Dies setzt allerdings voraus, dass man derartige Tatsachen auch erfährt. Der berechtigte Zorn vieler über das ZDF beruht darauf, dass der Sender Tatsachen anfang Januar 2016 tagelang unterschlagen hat. Im Verschweigen einer wahren, relevanten Tatsache liegt ein (Filipovic liegt hier falsch) von einer Absicht motiviertes Handeln, das zu einem erheblichen und berechtigten Vertrauensverlust führt. Und zwar gerade bei denjenigen, die sich aus guten Gründen nicht über die Gerüchteküche irgendwelcher sozialen Netzwerke informieren wollen. Die überwältigende Mehrheit unser Mitbürger/innen ist dazu in der Lage, sich auf der Grundlage von Fakten selbst seriös und demokratisch fundiert eine Meinung zu bilden. Es geht nicht an, dass das ZDF quasi wie eine "Reichspropagandaanstalt" darüber befindet, was wir zu wissen haben, und was nicht.
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