Auch im Spätherbst seiner Karriere kann Horst Seehofer noch immer großes Theater: Nach der CSU-Niederlage bei der Landtagswahl ruft er seine Partei etwa mit besorgter Miene zu „Ruhe und Besonnenheit“ auf. Ohne rot zu werden, lobt er die „enge Zusammenarbeit“ mit Markus Söder. Demütig räumt er gar eigene Fehler ein. Und kündigt – wenn auch erst in ein paar Wochen – eine „vertiefte Analyse“ der Gründe an.
Es ist wie ein Deja-vu der Tage nach der Bundestagswahl vor gut einem Jahr: Man habe die Botschaft der Wähler verstanden, heißt es in der CSU-Spitze erneut. Doch Konsequenzen werden wieder auf die lange Bank geschoben. Stabilität sei jetzt wichtig, wird als Begründung angeführt. Personalstreit wäre das falsche Signal. Erst müsse die Koalition stehen. Dann könne man weiterreden. Bayerns Wohl komme schließlich vor dem der Partei.
Die Partei muss sich für eine Richtung entscheiden
Das klingt gut. Doch logisch ist es nicht: Denn um ein zukunftsfestes Regierungsprogramm aushandeln zu können, müsste die CSU erst einmal die notwendigen Schlüsse aus dem manifestierten Unmut der Wähler ziehen. Die Partei müsste sich vor allem klar entscheiden, ob sie sich wirklich dem Rechtspopulismus öffnen will – wofür etwa die schnelle Wiederwahl des CSU-Rechtsaußen Thomas Kreuzer zum Fraktionschef im Landtag spricht.
Oder ob sie nicht besser ganz klar eine soziale, werteorientierte Kraft der konservativen Mitte bleiben möchte, für die lange Zeit Persönlichkeiten wie Alois Glück oder Barbara Stamm standen. Beides gleichzeitig sein zu wollen – für Europa und dagegen, für Merkel und dagegen, für kontrollierte Einwanderung und dagegen – hat sich für die CSU jedenfalls zuletzt gar nicht ausgezahlt.
Die gewählte Schrittfolge – erst Koalition, dann Aufarbeitung – dient aber auch nicht der Stabilität Bayerns, sondern nur dem Eigennutz der CSU-Granden: Vor allem Seehofer hat das politische Zeitspiel zum persönlichen Vorteil inzwischen zu hoher Perfektion geführt. Dass sich Parteivorstand und Landtagsfraktion nach den Erfahrungen von 2017 erneut von ihm haben einlullen lassen, hat aber auch viel mit Markus Söder zu tun.
Markus Söder will vor allem seine eigene Macht sichern
Der Ministerpräsident hat derzeit nämlich vor allem das Interesse, seine eigene Macht abzusichern: Betriebe Söder jetzt aktiv Seehofers Sturz, könnte auch schnell die berechtigte Frage nach seinem Anteil an den Wahlverlusten zur Sprache kommen. Zumal Seehofer auch in der CSU zugetraut wird, im Fallen zuvorderst seinen Erzfeind Söder mit in den Abgrund reißen zu wollen – eine Befürchtung, die durchaus disziplinierend wirkt.
Darüber hinaus hat Söder derzeit gar keine Lust, selbst CSU-Chef zu werden – und sich auf diese Weise mit dem GroKo-Gewürge in Berlin oder den Unwägbarkeiten des anstehenden Europa-Wahlkampfs zu belasten. Vor zehn Jahren war dies übrigens völlig anders: Da betrieb ein gewisser Horst Seehofer nach einem CSU-Wahlergebnis von 43,4 Prozent sehr aktiv den schnellen Sturz des angeschlagenen Führungs-Duos Huber/Beckstein – und verhandelte erst danach in neuer CSU-Aufstellung eine Koalition mit der FDP.
Was einzelnen Führungsleuten nutzen mag, könnte der Partei schaden
In der CSU gibt es durchaus Stimmen, die ein solches Szenario zumindest für die Personalie Seehofer auch diesmal für richtig hielten. Offen ist zudem, ob sich auch die zornige CSU-Parteibasis noch einmal von Seehofer einwickeln lässt. Denn klar dürfte sein: Steht in ein paar Wochen eine Koalition, ist der CSU-Schmerz der Landtagswahl längst neuen Alltagssorgen gewichen. In sieben Monaten steht zudem die Europawahl an, bei der CSU-Mann Manfred Weber zum EU-Chef gewählt werden soll. Je näher dieser Termin rückt, desto überzeugender kann man Personalstreit ersticken.
Was einzelnen Führungsleuten nutzen mag, könnte der Partei auf Dauer schweren Schaden zufügen: Denn die offensichtlichen Probleme erneut nur auszusitzen, hieße für die CSU nur, den Fehler vom Herbst 2017 zu wiederholen. Wer aber nicht bereit ist, notfalls auch für sich persönlich notwendige und schmerzhafte Konsequenzen zu ziehen, der wird nur sehenden Auges in die nächste Wahlschlappe laufen.