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WÜRZBURG
Vom Leben mit Spenderleber - und einem doppelten Wunder
Christina Wiedenhofer lebt mit Spenderleber und hat mit ihrem Mann Benjamin ein Baby bekommen: Fünf Monate alt ist Kilian jetzt.
Foto: Ivana Biscan | Christina Wiedenhofer lebt mit Spenderleber und hat mit ihrem Mann Benjamin ein Baby bekommen: Fünf Monate alt ist Kilian jetzt.
Anke Faust
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:55 Uhr

Vor fünf Monaten ist Kilian geboren worden. Seine Eltern, Christina und Benjamin Wiedenhofer, staunen immer wieder. „Es ist ein doppeltes Wunder, dass er da ist“, sagt die 35-Jährige. „Hier hat eine Organspende quasi zweimal Leben geschenkt“. Vor zwölf Jahren hatte Christina Wiedenhofers Leben an einem seidenen Faden gehangen, als ihre Leber innerhalb weniger Tage akut versagte.

Eingestuft als High Urgency - und von Hoffnung über Todesangst bis zur bloßen Gefühllosigkeit

Als Verursacher war rasch ein Medikament ins Visier geraten, das bald danach vom Markt genommen wurde. Es hatte ihre Leberwerte hundertfach in die Höhe getrieben. Die Einweisung in die Uniklinik Würzburg erfolgte prompt. Doch auch hier konnte das Versagen des Organs, das für die Entgiftung des Körpers zuständig ist, nicht aufgehalten werden. Die damals 23-Jährige wurde bei Eurotransplant in die Sonderkategorie „High Urgency“ eingestuft.

Die junge Würzburgerin ging in diesen Tagen durch ein Wechselbad der Gefühle: „Anfangs hatte ich noch Hoffnung, dann Todesangst und zum Schluss fühlte ich eigentlich nichts mehr.“ Zu schwach, zu müde, ohne Appetit war ihr Körper, die schleichende Vergiftung hatte sie „dem Tode so nahe gebracht“. Der erlösende Anruf von Eurotransplant kam in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai. Die Nachricht erfüllte Christinas Familie mit großer Dankbarkeit.

Anruf von Eurotransplant

Professor Ingo Klein, seinerzeit noch Assistenzarzt an der Uniklinik Würzburg, hatte den Anruf entgegengenommen: „Da freut man sich immer mit seinen Patienten und den Angehörigen. Patienten, die den High Urgency-Status haben, sind todkrank, schweben in akuter Lebensgefahr. Oft wissen wir nicht, ob sie den nächsten Tag überleben.“ Daher bekommen Patienten in dieser höchsten Dringlichkeitsstufe bevorzugt vor den übrigen Patienten auf der Warteliste das nächstmögliche Organ-Angebot. Leber-Patienten sind häufig darunter, weil Lebern sehr komplexe Aufgaben haben: „Ein pumpendes Herz können wir mit einer Maschine leichter für einige Zeit ersetzen, eine Niere auch. Aber die komplizierte Arbeit einer Leber können wir bei akutem Leberversagen manchmal nur ein bis zwei Tage aufrechterhalten.“

Rund um die Uhr für eine OP vorbereitet

Für ein Transplantationsteam bedeuten der Anruf und die Annahme des Angebots: Organ kommt, Operation muss vorbereitet werden. Egal zu welcher Uhrzeit. Das weiß Christina Wiedenhofer bis heute zu schätzen: „Ich bin vor allem den Ärzten und OP-Teams für diese Höchstleistungen unglaublich dankbar.“ Am 29. Mai 2006, morgens um acht Uhr, begann ihre Leber-Transplantation und dauerte rund fünf Stunden. Nur weil ein anderer Mensch starb und seine Organe spendete, konnte sie überleben.

Heute ist Professor Ingo Klein Leiter der Hepatobiliären- und Transplantationschirurgie des Würzburger Leberzentrums. Die Universitätsklinik Würzburg hatte sich 2011 entschlossen, ihr Leber-Zentrum zu reaktivieren. In der ersten Phase von 1991 bis 2007 waren fünf bis zehn Lebern jährlich transplantiert worden. Seit 2011 werden doppelt so viele Lebern, nämlich zwischen zehn und 20 transplantiert. Und das mit „vorbildhaften Strukturen“, so das Urteil einer Expertenkommission im Jahre 2013, die nach dem Bekanntwerden von Organspende-Unregelmäßigkeiten im Auftrag des Wissenschaftsministeriums die fünf bayerischen Transplantationszentren (Würzburg, München mit zwei Kliniken, Regensburg, Erlangen) untersucht hatte. Einzig in Würzburg gab es damals keinerlei Auffälligkeiten.

29. Mai: der zweiter Geburtstag, den Christina Wiederhofer jetzt jedes Jahr feiert

Nach einer Woche Intensiv- und zwei Wochen Normalstation konnte die Würzburgerin die dreiwöchige Reha antreten. Seitdem feiert sie jedes Jahr am 29. Mai ihren zweiten Geburtstag mit einem Besuch im 'Raum der Stille' der Uniklinik, „dem Ort, an dem wir damals so viel gebetet haben“.

Dass sie im Oktober, kaum ein halbes Jahr nach dem Leberversagen, ihr Studium für Grundschullehramt wieder aufgenommen hat, verdankt Christina Wiedenhofer neben den Ärzten und ihrer Familie vor allem zwei besonderen Gesprächspartnern. Ihrem Bruder, der ihre Fragen nach dem Sinn ihres Lebens beantwortet hat: „Es war noch nicht Zeit zu gehen, wir brauchen Dich hier noch.“

Ein Pfleger der Intentensivstation gab ihr die Hoffnung zurück

Und einem Pfleger auf der Intensivstation des Uniklinikums, der ihr die Hoffnung auf ein normales Leben zurückgegeben hat. „Er hat sich sehr viel Zeit für Erklärungen genommen und mir Mut gemacht, trotz meines unterdrückten Immunsystems als Grundschullehrerin zu arbeiten und auch ein eigenes Kind zu bekommen.“ Zwölf Jahre später ist Kilian zur Welt gekommen, im nächsten Frühjahr wird Christina Wiedenhofer nach ihrer Elternzeit wieder an eine Würzburger Grundschule zurückkehren.

Eine Frage, die umtreibt: Wie geht es der Familie des Spenders?

In der Zeit der Lebertransplantation: Christina Wiedenhofer im Jahr 2006 auf der Intensivstation der Würzburger Uniklinik.
Foto: Franz Wiedenhofer | In der Zeit der Lebertransplantation: Christina Wiedenhofer im Jahr 2006 auf der Intensivstation der Würzburger Uniklinik.

Auch die Frage nach dem Spender und seiner trauernden Familie trieb die junge Frau um: „Es fühlt sich anfangs schon komisch an, dass man selbst nur weiterleben kann, weil ein anderer Mensch gestorben ist.“ Wer er oder sie war, ob Mann oder Frau, ob alt oder jung, ob krank oder Unfallopfer – das weiß sie nicht. Gerne hat sie ihre Dankbarkeit in einem Brief an die Familie ihres Spenders ausgedrückt. In der Hoffnung, dass er eventuell ein kleines bisschen Trost spenden kann. Ob der Brief die Familie erreichte, weiß sie nicht, da diese ihn nicht annehmen muss, wenn sie das nicht möchte. Ob sich ihre neue Leber fremd anfühlt? Energisch schüttelt Wiedenhofer den Kopf: „Noch nie.“ Sich der Spende würdig zu erweisen, sieht sie als ihre Verpflichtung: „Ich lebe gesund und gehe sorgsam mit meinem Körper um.“

„Eine Organspende ist das größte Geschenk, das man einem Menschen machen kann“

In Deutschland befürworten zwar 85 Prozent der Menschen die Organspende. Trotzdem hat es hier die niedrigste Transplantationsrate in Europa. Ein Paradoxon für Ingo Klein: „Wir können nur helfen, wenn sich Menschen für eine Organspende bereit erklären.“ Für die Protestantin Christina Wiedenhofer ist der Glaube kein Argument gegen Organspende, im Gegenteil: „Für mich ist das ein Akt der Nächstenliebe. Eine Organspende ist das größte Geschenk, das man einem anderen Menschen machen kann.“ Sie selbst trägt seit ihrem 14. Lebensjahr einen Organspendeausweis bei sich.

Sofort den Organspendeausweis ausgefüllt

Benjamin Wiedenhofer, ihr Mann, sagt, dass er nach dem frühen Tod seiner Mutter sich mit dem Thema Tod nicht wirklich beschäftigen wollte. „Aber es ist alles anders, wenn man es selbst erlebt.“ Er habe damals sofort einen Organspendeausweis ausgefüllt. Man solle sich nur fragen: „Würde ich selbst ein Spenderorgan haben wollen? Dann muss es ja irgendwoher kommen.“

Seit bald fünf Jahren engagiert sich Christina Wiedenhofer als Ansprechpartnerin für junge Transplantierte im Verein „Lebertransplantierte Deutschland e.V.“ und für die Kontaktgruppe Unterfranken. „Neue sind meist überrascht, dass wir da nicht im Kreis sitzen und hadern, sondern dass wir durch das Geschenk der Organspende ein ganz normales Leben führen können.“

Wie Organspende organisiert ist

Stiftung Eurotransplant: Die Service-Organisation ist verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien) und arbeitet hierzu eng mit den Organspende-Organisationen, Transplantationszentren, Laboratorien und Krankenhäusern zusammen. Die Zuteilung von Organen basiert ausschließlich auf medizinischen und ethischen Gesichtspunkten.

Im Einzugsgebiet leben circa 136 Millionen Menschen. Die Vorteile der internationalen Zusammenarbeit ergeben sich zum einen aus einem gemeinsamen Spender-Meldesystem und einer zentralen Warteliste.

Auf der Warteliste stehen über 10 000 Patienten.

Im Jahr 2017 gab es 5464 neue Registrierungen und 3058 Organtransplantationen von verstorbenen Spendern.

Koordinierungsstelle: Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) organisiert die Zusammenarbeit aller beteiligten Partner bei der Organentnahme, einschließlich der zugehörigen vorbereitenden Maßnahmen und dem anschließenden Transport der Spenderorgane in die Transplantationszentren. Zurzeit können beide

Nieren, Herz, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse und

Dünndarm nach dem Tod gespendet werden. Diese Organe gehören zu den vermittlungspflichtigen Organen. Ihre Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung unterliegt den Regelungen des deutschen Transplantationsgesetzes.

 
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Kommentare
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  • Braun_Matthias@hotmail.com
    Es gibt immer noch viel zu wenig Organspender in Deutschland. Wer stirbt braucht seine Organe definitiv nicht mehr. Ich trage einen Organspende Ausweis ständig bei mir. Natürlich mit der Hoffnung ihn so lange wie möglich nicht zu brauchen. Und wenn doch, dann kann eine kleine Unterschrift Menschen neues Leben geben.
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  • ManfredSchweidler
    Mehr als das. Ermutigend für alle Pstienten, die auf Rettung hoffen - und auffordernd für alle, denen ein Organspende-Ausweis vor die Nase kommt: jede(r) kann helfen.
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  • Fr-goetz@t-online.de
    Schön für die Familie!
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