Sprechen wir über den Tod. Ein Thema, das uns alle angeht, um das aber viele Menschen einen großen Bogen machen. „Sie reisen durch das Leben, als ob der Tod ein weit entferntes Land sei, das sie nicht betreten müssten“, schreibt Main-Post-Redakteur Herbert Scheuring in seinem Buch „Der Trauer Worte geben“. Durch das Coronavirus funktioniert das Verdrängen der eigenen Sterblichkeit allerdings nicht mehr wie bisher. Denn mit der Pandemie ist uns der Tod dichter auf die Pelle gerückt.
Auch wenn die Opferzahlen uns in den Medien wie nüchterne Wasserstandsmeldungen präsentiert werden: dahinter verbergen sich hunderte von Schicksalen. Von Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Freunde und Kollegen, die täglich in Deutschland an Covid-19 sterben. Nicht selten geschah und geschieht das unerträglich einsam, weil Angehörige wegen „Infektionsvermeidung“ nicht am Bett sitzen und die Hand halten dürfen.
Für die Schriftstellerin und Philosophin Thea Dorn ist das „der größte Skandal während dieser Pandemie“, wie sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung bekannte. Ihre Empörung darüber hat den Anstoß zu ihrem gerade erschienenen Buch „Trost“ gegeben. Darin thematisiert Dorn den schwierigen Umgang mit dem Sterben in Zeiten von Corona. Ihre Protagonistin Johanna bezweifelt, dass wir noch in der Lage sind, das „Kleingedruckte im Lebensvertrag zu entziffern“. Denn warum sonst klammern wir die eigene Sterblichkeit im Alltag aus?
Ein wesentlicher Grund für dieses Verhalten dürfte in der Angst begründet liegen, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Es scheint, als hätten wir den natürlichen Umgang mit dem Sterben und das Trauern verlernt. „Früher wurde der Tote noch zwei, drei Tage im Haus aufgebahrt“, erinnert sich Gottfried Amendt. Er hat 30 Jahre lang als Klinikseelsorger in Würzburg Sterbende und ihre Angehörige begleitet. „Verwandte, Freunde und Nachbarn sind dann gekommen und haben am Totenbett Rosenkranz gebetet und sich vom Verstorbenen verabschiedet. Für mich war das als kleiner Junge ganz normal. So etwas gibt es nicht mehr.“ Gestorben wird heutzutage vor allem in Krankenhäusern und Seniorenwohnheimen.
Nicht nur der Tod ist unser Problem, sondern auch die Art und Weise, wie wir darüber denken. Der Arzt und Schriftsteller Günter Loewit ist davon überzeugt, dass ein großer Teil der Bevölkerung zu hohe Erwartungen "an ein zunehmend ausuferndes Gesundheitssystem mit fast schon religiösen Heilsversprechen" hat. Das Coronavirus sei auf eine Gesellschaft getroffen, "die im Glauben lebt, dass die Medizin alles kann und der Tod nicht mehr das natürliche Ende des Lebens, sondern das Versagen der Medizin darstellt." Mit fatalen Folgen: Weder Patienten noch Mediziner wollten akzeptieren, dass die "Mortalität des Menschen bei hundert Prozent" liege.
Der Würzburger Theologe und Sozialpädagoge Ernst Engelke, ein Pionier der Hospiz- und Palliativbewegung, hat viele Jahre lang Sterbenskranke begleitet. Seine ernüchternde Erkenntnis: „Die Wahrheit über das Sterben ist: Man kann ihm nichts von seinem Schrecken nehmen.“ Im günstigsten Fall finde man einen Zipfel Trost. Engelke empfiehlt deshalb, dass wir uns eingestehen: „Wir fürchten uns vor dem Sterben und sind zugleich von ihm fasziniert. Die Angst vor dem Sterben werden wir nicht verlieren, weil wir das Leben lieben und uns nicht von den Menschen, die uns lieben und die wir lieben, verabschieden möchten. Machen wir uns da nichts vor, und lassen wir uns da nichts vormachen!“
Engelke hat die Erfahrung gemacht, dass Sterbenskranke nicht sterben wollen, sondern leben. Sie akzeptierten ihre lebensbedrohliche Erkrankung nicht und lehnten sich dagegen auf. „Die gesamte Gesundheitsindustrie lebt doch glänzend davon, dass wir nicht sterben wollen. Warum sollte das bei Sterbenskranken anders sein?“, fragt er in seinem Buch „Die Wahrheit über das Sterben“.
Für den Münsterschwarzacher Benediktinermönch und Bestsellerautor Anselm Grün ist es wichtig, sich einzugestehen: „Ja, ich habe Angst. Ja, es kann sein, dass ich sterbe.“ Aber in der Angst stecke zugleich auch immer die Hoffnung, dass es gutgehen werde. „Ich habe viele Menschen auf ihrem Weg in den Tod begleitet. Sie hatten weniger Angst vor dem, was anschließend kommt, sondern mehr vor dem Kontrollverlust. Auch wenn ich keine Angst vor dem Tod habe, bleibt irgendwo ein großes Unbehagen.“
Als Mönch folgt Anselm Grün der Empfehlung des Heiligen Benedikt, sich täglich den Tod vor Augen zu führen. „Das habe ich in den letzten Jahren schon eingeübt und deshalb hat es für mich nichts Beängstigendes“, verrät der Pater. „Es ist eine Einladung, jetzt im Augenblick bewusst zu leben, zu wissen, dass mein Leben begrenzt ist. Und deswegen versuche ich, jede Begegnung bewusst wahrzunehmen und im Augenblick zu sein.“
Dennoch: Sterben war und ist zu allen Zeiten weder schön noch sanft oder angstfrei. Doch wer bereit ist, über den Tod zu sprechen, nimmt ihm ein wenig den Schrecken. Es lohnt sich also, ihn ins Leben zurückzuholen und als Gesprächsthema gesellschaftsfähiger zu machen. Dazu trägt auch eine öffentliche Trauerfeier für die Pandemie-Opfer bei, wie sie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 14. April im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt plant.Sie ist ein wichtiges Zeichen, dass wir als Gesellschaft gemeinsam trauern und, so der Bundespräsident, "wir die Toten und das Leid der Hinterbliebenen nicht vergessen".
vielen vielen Dank für diesen Artikel!!! Als Fachärztin Allgemeinmedizin mit kleinem Schwerpunkt auf die Palliativmedizin empfinde ich es als sehr wohltuend, auch von anderer Seite diese Beobachtungen bestätigt zu bekommen. Das Zitat von Herrn Loewit hat mich sehr berührt, ich finde, er bringt es wunderbar auf den Punkt.
Noch vor 3 Monaten wurde ich in Ihrer Zeitung verlacht für ähnliche Aussagen.
Wie gesagt, Danke für diesen Artikel!!!