Wer ihn kennt, und das sind viele Menschen in der Region, schwärmt von seiner Ausstrahlung. "Bei dem kannst du dein Herz ausschütten", hört man oft, wenn von Monsignore Gottfried Amendt die Rede ist. Dem beliebten Klinikseelsorger sind solche Lobeshymnen eher unangenehm. "Meine Aura ist ein Geschenk, für das ich nichts kann", sagt er im Interview bescheiden. "Die Anerkennung und Dankbarkeit, die ich erfahre, ist viel mehr als das, was ich den Menschen geben kann." 30 Jahre lang hat Amendt Sterbende begleitet. Das bedeutet: ihnen und ihren Angehörigen in schweren Stunden zur Seite zu stehen. "Tagtäglich habe ich erfahren: Das Leid gehört zum Leben. Genauso wie der Tod", sagt der 75-Jährige. Als Begleiter bleibe ihm oft nichts anderes übrig, "als das Leid auszuhalten". Und ja: "Auch für einen Pfarrer ist es ganz normal, dass er mit Gott auch mal hadert."
Gottfried Amendt: Zunächst einmal müssen wir akzeptieren, dass man die Situation nicht ändern kann. Aber wir können versuchen, das Beste daraus zu machen. Wichtig ist, sich um gute Beziehungen zu kümmern. Denn wenn wir Menschen in unserem Umfeld haben, die für uns da sind und einfach nur zuhören, ist das schon Balsam für die Seele. Denn der menschliche Kontakt ist ganz wichtig. Ich spüre das immer wieder, wenn ich Patienten besuche oder Telefonseelsorge mache.
Amendt: Ich habe keine allzu große Angst vor dieser Erkrankung. Wenn ich Corona trotz aller Vorsicht bekommen sollte, kann ich es nicht ändern. Dann werde ich die Krankheit annehmen.
Amendt: Das ist ganz unterschiedlich. Für manche Menschen ist das sehr schlimm, andere wiederum wollen im Angesicht des Todes lieber allein sein. Ich könnte mir vorstellen, dass ich auch gut allein sterben könnte. Von einem Corona-Patienten weiß ich, dass er abends wenigstens noch mit seiner Tochter per Skype sprechen wollte. In der Nacht ist er dann gestorben. Da sind die Menschen sehr unterschiedlich.
Amendt: Auf jeden Fall. Ich habe jetzt 30 Jahre lang Sterbebegleitung gemacht. Das bedeutet, da zu sein für Sterbende, aber auch für ihre Angehörigen. Tagtäglich habe ich erfahren: Das Leid gehört zum Leben. Genauso wie der Tod.
Amendt: Das ist mit Sicherheit so. Früher wurde der Tote noch zwei, drei Tage im Haus aufgebahrt. Verwandte, Freunde und Nachbarn sind dann gekommen und haben am Totenbett Rosenkranz gebetet und sich vom Verstorbenen verabschiedet. Für mich war das als kleiner Junge ganz normal.
Amendt: Als mein Großvater mit 73 Jahren gestorben ist. Da war ich sechs Jahre alt. Damals war ich ganz nah dabei. Er lag im Schlafzimmer und man konnte immer zu ihm. Später ist eine Cousine mit vier Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ein Cousin wurde mit 24 Jahren bei einem Fahrradunfall tödlich verletzt. So musste ich mich bereits als Kind und Jugendlicher mehrfach mit dem Tod nahestehender Menschen auseinandersetzen.
Amendt: Nein, er ist mit 36 Jahren im Krieg gefallen. Meine Mutter war damals im zweiten Monat schwanger mit mir. Ich bin auf den Tag genau acht Monate nach dem Tod meines Vaters auf die Welt gekommen. Wenn ich recht überlege, bin ich also schon im Mutterschoß durch die Trauer meiner Mutter mit dem Tod konfrontiert worden. Das blieb sicher nicht ohne Folgen für das Kind im Mutterleib. So richtig reflektiert habe ich das alles aber erst im Alter.
Amendt: Das ist gut möglich. Ich akzeptiere den Tod jedenfalls als einzig sicheren Termin, den wir im Leben haben. Wir alle müssen gehen. Das ist eine unumstößliche Tatsache. Ich sage mir aber auch: Das kann ja nicht alles gewesen sein. Da muss noch was kommen. Es wird und muss weiter gehen. Da vertraue ich auch auf meinen Glauben.
Amendt: Ja und nein. Ich habe vor allem Angst davor, wie es in der Stunde des Todes sein wird. Viele Menschen, die ich im Sterbeprozess begleitet habe, sind ganz ruhig und zufrieden eingeschlafen. Oft sogar mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Manche haben sich allerdings auch sehr schwer getan. Wenn es ans Eingemachte geht, wird der Glaube aber für fast alle ein Thema. Für mich war Angst schon von klein auf ein Thema. Ich war ein sehr ängstliches Kind, habe beispielsweise Gespenster in der Zimmerlampe gesehen.
Amendt: Die Angst ist so eine Art Lebensthema für mich geworden. Der Kern der Angst ist noch immer da. Aber ich kann sie viel besser verstehen und besser damit umgehen. Ich habe auch ein ganzes Leben lang daran gearbeitet.
Amendt: Ich bin leidenschaftlich gerne in der Natur: Rhön, Spessart, Steigerwald. Beim Wandern kann ich hervorragend abschalten und Energie tanken. Ich bin schon mehrfach den Jakobsweg gelaufen. Meist wandere ich ganz alleine. Ich brauche dieses Alleinsein für mich. Ich genieße dann die Zeit, in der ich nicht reden und zuhören muss.
Amendt: Ich sehe mein ganzes Leben als Fügung an. Allein schon die Tatsache, dass ich lebe, ist ein Wunder für mich. Denn meine Mutter hätte mich ja unter den erwähnten Umständen auch abtreiben können. Materiell ging es uns gut, aber meine Mutter konnte ihren Kindern keine Wärme geben. Die bekam ich von meinem Großvater. Er hat mich geprägt. Er war Bäcker und Landwirt und hat mich öfter mitgenommen in die Backstube und auch raus aufs Feld. Er hat so gut wie nichts geredet, aber er hat mich sehr gemocht. Das gab mir als Kind ein gutes Gefühl. Und dieses gute Gefühl wollte ich auf jeden Fall auch an andere weitergeben. Ich habe später viel Telefonseelsorge gemacht und bekam dann 1990 das Angebot, Klinikseelsorger im Uniklinikum Würzburg zu werden. Da habe ich gerne zugegriffen.
Amendt: Ja, das ist genau mein Ding: da sein und zuhören. Der Alltag in der Klinikseelsorge besteht aus vielen Gesprächen, in denen Menschen mir oft schon bei unserer ersten Begegnung ihre ganze Lebensgeschichte anvertrauen. Mich erstaunt es immer wieder, wieviel Vertrauen mir entgegengebracht wird.
Amendt: Ich habe gelernt, Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Jeder Mensch hat seine Geschichte. Wichtig ist, barmherzig zu sein. Mir steht es weder zu, zu urteilen, noch zu verurteilen. Ich kann auch damit leben, wenn jemand mit Gott nichts anfangen kann.
Amendt: Sehr nahe ist mir zum Beispiel das Schicksal einer jungen Frau gegangen, die so um die 18 Jahre alt war. Sie war vom Pferd gestürzt und lag mit schweren Verletzungen auf der Intensivstation. Die Ärzte empfahlen den Eltern, die lebenserhaltenden Apparate abzustellen, weil keine Hoffnung mehr bestand, dass sie überlebt. Ich stand ganz in der Nähe der Familie. Da kam die Mutter völlig aufgelöst und verzweifelt auf mich zu gerannt. "Warum stirbt unsere Tochter jetzt, warum? Sagen sie mir das, sie sind doch Pfarrer", bat sie schluchzend. Ich konnte ihr auch nur sagen, dass ich sprachlos bin und keine Antwort habe. Dann ist sie zurück zu ihrem Mann gerannt und rief ihm zu: "Der Pfarrer weiß auch keine Antwort…" Mir bleibt in so einem Fall nichts anderes übrig, als da zu sein und das Leid auszuhalten.
Amendt: Ja, es ist auch für einen Pfarrer ganz normal, dass er mit Gott auch mal hadert.
Amendt: Das kann ich voll unterstützen. Was ich selber erlebt habe, prägt mich und wirkt sich auf meine Haltung zu den Mitmenschen aus. Eigene Leiderfahrungen ermöglichen häufig ein besseres Verständnis für das Leid anderer.
Amendt: Ich strahle offensichtlich etwas Positives aus. Vielleicht hat das mit meiner Aura zu tun. Das ist ein Geschenk, für das ich nichts kann. Aber natürlich freut es mich, wenn Menschen so über mich denken. Ich weiß aber sehr wohl: Die Anerkennung und Dankbarkeit, die ich erfahre, ist viel mehr als das, was ich den Menschen geben kann.
Amendt: Ja, immer mehr. Mein ganzes Leben bezeichne ich als eine großartige Fügung Gottes. Ich betrachte das Leben als Geschenk.
Amendt: Ich hoffe, dass mir noch etwas Zeit bleibt und ich runterkommen kann. Ich war ja praktisch jeden Tag in der Klinik. Ich will auf jeden Fall viel in der Natur sein und mich ein bisschen mehr um mich selbst kümmern.
Amendt: Nein, ich nehme es so, wie es kommt. Ich will nichts mehr erreichen. Ich bin dankbar für das Leben, so wie es ist.