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Würzburg/Schweinfurt
Kommentar: Das Nein zur Impfpflicht ist ein Desaster - nicht nur für Lauterbach und Co.
Der Gesundheitsminister verspielt in der Impfpflicht-Debatte Vertrauen, das Abstimmungsverhalten der Union ist peinlich: Die Politik hat aus zwei Jahren Corona nicht viel gelernt.
Das Nein zur Impfpflicht ist auch seine Niederlage: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Donnerstag im Bundestag.
Foto: Michael Kappeler | Das Nein zur Impfpflicht ist auch seine Niederlage: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Donnerstag im Bundestag.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:06 Uhr

Ob die Entscheidung des Bundestags, überhaupt keine Impfpflicht gegen Corona zu beschließen, auf Dauer richtig war, weiß heute noch niemand. Genau das aber ist das Problem.

Falls auch die nächste Virusvariante bei Erkrankten zu deutlich weniger schweren Verläufen führt als etwa Delta, dann könnte die Gesellschaft ohne größere Einschränkungen durch die nächste Corona-Welle kommen. Falls dem aber nicht so ist, dann droht der ganze Schlamassel von vorne zu beginnen: Wieder werden ungeimpfte ältere Menschen – wie im vergangenen Winter – die Intensivstationen der Krankenhäuser bevölkern, das Gesundheitssystem wird einmal mehr überlastet sein, es wird wieder mehr Corona-Tote geben.

Den Vernünftigen droht erneut ein Winter mit vielen Einschränkungen

Und all die anderen, die so vernünftig waren und sich impfen ließen, müssen sich erneut auf ein strenges Testregiment, auf eine Maskenpflicht an vielen Orten sowie auf jede Menge Kontakt- und Zugangsbeschränkungen einstellen. Junge Leute, Kulturschaffende, Gastronomen und Einzelhändler  werden darben – so wie in den vergangenen beiden Jahren.

Kommentar: Das Nein zur Impfpflicht ist ein Desaster - nicht nur für Lauterbach und Co.
Foto: dpa-infografik GmbH

Der Impfpflicht-Kompromiss der Ampel-Parteien war ein guter. Er hätte die Chance geboten, proaktiv Vorsorge zu treffen und nicht erst zu reagieren, wenn eine neue Corona-Welle mit nicht absehbaren Folgen am Horizont auftaucht. Die Idee, erst die Über-60-Jährigen zum Impfen zu verpflichten, es bei allen anderen zunächst mit Beratung zu versuchen, war angesichts der Erfahrungen mit der milden Omikron-Variante verhältnismäßig. Und der Gesetzentwurf enthielt, falls die Impfquoten im Sommer doch noch steigen, auch ein Ausstiegsszenario.

Dass aus alledem nichts wird, muss zuallererst die Scholz-Regierung verantworten. Das Bild, das viele ihrer Vertreterinnen und Vertreter zuletzt abgaben, war desaströs. Wenn trotz Ansteckungszahlen in Rekordhöhe Lockerungen nicht stufenweise, sondern auf einen Schlag beschlossen werden, verlieren die Warnungen vor der nächsten Welle, so wissenschaftlich fundiert sie auch sind, einfach an Glaubwürdigkeit. Eine Impfpflicht war so nur schwer zu vermitteln.

Verheerend ist dabei die Performance von Karl Lauterbach. Dass der Gesundheitsminister, der lange als die personifizierte Vorsicht galt, den von der FDP erstrittenen Freedom-Day zum 3. April verkünden musste, ließ sich vielleicht noch mit den Sachzwängen einer Koalition erklären. Mit seinem Hin und Her bei den Regelungen zur Isolation hat der Professor in dieser Woche endgültig Vertrauen verspielt. Dass Sabine Dittmar, die Staatssekretärin im Lauterbach-Ministerium, am Tag vor der Bundestagsentscheidung ihre Haltung zur Impfpflicht öffentlich nicht begründen wollte, passt da ins schwache Bild.

Das Nein der Union wird dem Thema Impfpflicht nicht gerecht

In der Union ist der Jubel groß, der Ampel-Regierung eine Niederlage beigebracht zu haben. Dabei ist das Abstimmungsverhalten von CDU und CSU peinlich. Rein aus parteitaktischem Kalkül heraus einem Gesetzentwurf die Zustimmung zu verweigern, wird dem Thema Impfpflicht nicht gerecht. Erst einmal bis zum Sommer abwarten, wie sich die Corona-Lage entwickelt und dann eine Entscheidung treffen, reicht nicht, sagen die meisten Experten.

Vorausschauende Politik sieht in Zeiten der Pandemie anders aus. Endlich vor die Welle kommen, das war eigentlich mal ein gemeinsames Ziel aller Parteien. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz und seine Mitstreiter brüskieren mit ihrem Nein auch viele Parteifreunde. Aus guten Gründen hatten bis zuletzt auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Gesundheitsminister Klaus Holetschek (beide CSU) eine allgemeine Impfpflicht gefordert.

Was also bleibt nach dem Desaster? Nicht viel mehr als Hoffen und Bangen. Die Politik jedenfalls hat aus zwei Jahren Corona nicht viel gelernt.

 
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